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»Großmutter«, murmelte sie.

»Großmutter?« Ihre Mutter legte nachdenklich den Kopf auf die Seite. »Was soll mit ihr sein?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Leonie. »Diese Tür... es hat irgendetwas mit... mit Großmutter zu tun.« Sie hob unglücklich die Schultern. »Mehr weiß ich auch nicht.«

Sie rechnete damit, dass ihre Eltern sie nun mit Fragen bombardieren würden, aber die beiden sahen sie nur sehr nachdenklich an und schließlich sagte Vater leise: »Vielleicht hat sie sogar Recht damit.« Er hob rasch die Hand, als Mutter widersprechen wollte. »Nein, überleg doch mal selbst: Ich weiß nicht, wie oft ich in diesem Keller war - Tausend Mal, eine Million Mal, auf jeden Fall aber sehr oft - und ich habe niemals auch nur eine Spur von dieser Tür gesehen.«

»Tust du doch auch jetzt nicht«, wandte Mutter ein.

»Aber du«, beharrte Leonies Vater. »Und du warst mindestens so oft hier unten wie ich, wahrscheinlich öfter. Schließlich bist du in diesem Haus geboren und groß geworden. Hast du diese Tür jemals gesehen?«

»Nein«, gestand Mutter. Sie klang ein bisschen widerwillig.

»Siehst du. Und kaum ist deine Mutter gestorben und du bist ihre legitime Erbin, da kannst du diese Tür nicht nur sehen, du kannst auch hindurchgehen.«

»Was willst du damit sagen?«, fragte Mutter. Plötzlich klang sie nicht mehr widerwillig, sondern beinahe schon feindselig.

»Ich habe ja immer gesagt, dass deine Mutter eine Hexe ist«, antwortete Vater. Es sollte ein Scherz sein, aber er ging so gründlich daneben, wie es nur möglich war. Leonies Mutter starrte ihn wütend an und er rettete sich in ein ziemlich verunglücktes Grinsen. »Entschuldige. Das war... nicht so gemeint. Aber Tatsache ist, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Das wirst du doch wohl zugeben.«

»Etwas seltsam ist es schon«, räumte Mutter ein.

»Etwas seltsam?!« Vater hörte sich an wie ein Fisch auf dem Trockenen, der vergeblich nach Luft japste.

»Vielleicht... vielleicht hat Fröhlich sich ja deshalb so seltsam aufgeführt«, meinte Leonie.

»Dieser Notar?« Ihr Vater machte ein zustimmendes Gesicht. »Ja, das würde Sinn machen. Ich denke, ich sehe mir jetzt erst einmal diesen so genannten Vertrag etwas genauer an. Und während ich es tue, können wir gemeinsam überlegen, was wir damit...«, er schlug mit der flachen Hand gegen die Wand hinter sich und es klang sogar nach Stein, »... anfangen.«

»Was sollen wir schon damit anfangen?«, fragte Mutter. »Wir müssen herausfinden, was dahinter liegt. Wenn sich Mutter solche Mühe gemacht hat, es zu verbergen, dann muss es schon etwas ziemlich Wertvolles sein.«

»Oder Gefährliches.« Vater machte eine entschlossene Handbewegung. »Keine Diskussion mehr. Wir gehen jetzt nach oben und trinken Tee. Diese Tür ist wahrscheinlich schon seit hundert Jahren hier. Sie wird in einer Stunde auch noch da sein.«

Ihre Mutter sah nicht begeistert aus, aber ihr Vater sah auch nicht aus, als würde er nur einen Millimeter von seinem Entschluss abweichen. Schließlich signalisierte sie seufzend ihre Zustimmung und sie verließen hintereinander den Keller.

Leonie warf einen raschen nervösen Blick in die Runde, als sie die Buchhandlung durchquerten, aber von der Maus war nichts zu entdecken. Vielleicht hatte der kleine Nager ja endgültig eingesehen, dass er hier nicht erwünscht war.

Ihr Vater schloss die Zwischentür zur Buchhandlung hinter sich ab, nachdem er als Letzter hindurchgetreten war. Das trug ihm zwar einen giftigen Blick seiner Frau ein, von dem er sich aber nicht sonderlich beeindruckt zeigte. Schweigend gingen sie in die Küche und Leonies Mutter setzte einen Topf mit Wasser auf, um Tee zu kochen. Die Atmosphäre war so angespannt, dass man glaubte, es knistern zu hören.

Vater verschwand für einen Moment, kehrte aber gleich darauf zurück, den dicken Umschlag mit Fröhlichs Vertrag in der Hand und einen zusammengeklappten Laptop unter dem Arm. Mutter beobachtete den Computer stirnrunzelnd - Leonie wusste, dass sie Computer nicht mochte und die Begeisterung ihres Mannes für solcherlei technische Spielereien zwar tolerierte, doch niemals wirklich verstanden hatte -, sagte aber nichts, sondern fuhr fort, den Tee zuzubereiten und Tassen auf den Tisch zu stellen. Bis sie fertig war und der heiße Tee in den Tassen dampfte, hatte Vater seinen Computer eingeschaltet und den Inhalt von Fröhlichs Briefumschlag auf dem Tisch ausgebreitet. All die Unterschriften, Siegel und Stempel wirkten höchst beeindruckend, auch wenn Leonie nicht einmal annähernd klar war, worum es überhaupt ging.

Ihr Vater klaubte ein bestimmtes Blatt heraus und wedelte damit in Mutters Richtung. »Das ist eindeutig die Unterschrift deiner Mutter, wenn du mich fragst.«

Ihre Mutter griff nach dem Blatt und warf einen flüchtigen Blick darauf, ehe sie es ihm mit einem Nicken zurückreichte.

»Das würde bedeuten, dass die Papiere echt sind«, murmelte Vater. »Aus irgendeinem Grund war es deiner Mutter ungeheuer wichtig, dass Leonie das Geschäft erbt und nicht du.« Er hob den Kopf. »Ich dachte immer, ihr hättet euch so gut vertragen.«

»Aber das ist doch Unsinn!«, protestierte Leonie. »Ich will das Geschäft nicht. Und das Geld ist mir erst recht egal!«

Ihre Eltern machten sich nicht einmal die Mühe, ihr zu antworten, so selbstverständlich war das, was sie gesagt hatte.

»Vielleicht ist etwas hinter dieser Tür, etwas von dem sie ausdrücklich wollte, dass Leonie es bekommt, nicht wir.« Er verbesserte sich mit einem raschen Blick in Mutters Richtung. »Du.«

»Und was sollte das sein?«, fragte Leonie.

Ihr Vater hob nur die Schultern, blätterte noch einen Moment in Fröhlichs Papieren und begann dann, auf der Tastatur seines Laptops herumzuhämmern.

»Was tust du da?«, fragte Mutter misstrauisch.

»Ich versuche, mich in die Datenbank der Stadtverwaltung hineinzuhacken«, gestand Vater. »Genauer gesagt, in das Grundbuch- und Katasteramt.«

»Aha«, sagte Mutter. »Und warum?«

»Mittlerweile haben sie fast alle Pläne elektronisch erfasst«, antwortete er. »Mit ein bisschen Glück sind auch die alten Pläne unseres Hauses dabei. Vielleicht finden wir so heraus, was hinter dieser Tür liegt.«

»Einfach hindurchzugehen und nachzuschauen wäre wohl zu leicht, wie?«, fragte Mutter spitz.

»Nein«, antwortete Vater, »aber zu gefährlich.«

Seine Frau zog die linke Augenbraue hoch, sagte aber nichts, sondern nahm die Teetasse in beide Hände und nippte an dem heißen Getränk. Leonie konnte die Feindseligkeit, die ihre Mutter plötzlich ausstrahlte, fast mit Händen greifen. Es erschreckte sie, aber noch mehr verwirrte es sie. Selbstverständlich stritten sich auch ihre Eltern dann und wann, sie waren schließlich keine Heiligen, dennoch führten sie eigentlich eine sehr harmonische Ehe, und derartige Gehässigkeiten gehörten ganz und gar nicht zu ihrem normalen Umgangston.

Leonies Vater hämmerte kommentarlos weiter auf seinem Computer herum und auch Mutter schwieg. Die Stimmung wurde zunehmend eisiger, obwohl Leonie das noch vor ein paar Minuten gar nicht für möglich gehalten hätte. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und stand auf; im gleichen Moment klingelte es an der Haustür.

Ihr Vater blickte einen Moment in die entsprechende Richtung und dann auf die Armbanduhr. »Es ist noch nicht einmal halb sechs«, sagte er. »Wer um alles in der Welt...?«

Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich zusehends, aber er sagte nichts mehr, sondern stand auf und ging aus der Küche, und Leonie schloss sich ihm nach kurzem Zögern an. Das Klingeln wiederholte sich, als sie sich der Haustür näherten. Draußen hatte es zu dämmern begonnen, sodass sie den morgendlichen Besucher als schwarzen Schattenriss hinter dem farbigen Glas erkennen konnten, und Leonie wurde bei seinem Anblick sofort unbehaglich zumute. Sie wusste nicht warum, aber sie spürte, dass der Besucher weiteren Ärger bedeutete.