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Als ihr Vater die Tür öffnete, wurde aus diesem Gefühl Gewissheit.

Es war Fröhlich, aber er sah alles andere als fröhlich aus. Soweit das überhaupt möglich war, wirkte er noch nervöser als am vergangenen Abend. Er trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen und hob abwehrend die Hände, noch bevor ihr Vater überhaupt etwas sagen konnte. »Ich weiß, es ist früh«, sprudelte er los. »Und ich weiß, dass Sie mich im Moment wahrscheinlich nicht zu sehen wünschen, aber es ist wichtig, bitte glauben Sie mir.«

Leonies Vater sagte nichts von all dem, was ihm sichtbar auf der Zunge lag, sondern blickte nur ein paar Sekunden schweigend und mit steinernem Gesicht auf Fröhlich herab. »Ich habe die Verträge noch nicht ganz durchgelesen«, sagte er dann.

»Deshalb bin ich auch nicht hier«, versicherte ihm Fröhlich. »Ich... ähm... ich müsste Ihre Tochter sprechen.«

»Leonie?«, fragte Vater überrascht.

»Allein, wenn es möglich wäre«, bestätigte Fröhlich.

»Kommt nicht in Frage«, sagte Vater in einem Ton, der jede weitere Diskussion von vornherein überflüssig machte. Trotzdem trat er nach einem weiteren Moment zurück und gab die Tür frei.

»Sie können mit Leonie reden, aber ich bleibe dabei. Ich habe sowieso ein paar Fragen an Sie.«

Fröhlich trat erleichtert ein und Vater schloss die Tür hinter ihm. Der Notar schien darauf zu warten, dass er ihn weiter ins Haus hineinbat, aber Vater starrte ihn nur finster und auffordernd zugleich an. »Also?«

»Also gut«, seufzte Fröhlich. Er wandte sich direkt an Leonie. »Deine Großmutter und du, ihr hattet doch ein gutes Verhältnis, oder?«

»Selbstverständlich«, antwortete Leonie fast empört.

»Hat sie mit dir über...« Fröhlich suchte einen Moment nach Worten, schüttelte den Kopf und setzte neu an: »Das alles muss dir sehr sonderbar vorkommen, Leonie. Aber ich muss dich - und vor allem deine Eltern - einfach darum bitten, mir zu vertrauen.« Er trat immer unbehaglicher von einem Fuß auf den anderen. »Es könnte sein, dass es hier in den nächsten Tagen einige... ähm... ungewöhnliche Vorkommnisse gibt.«

»Ungewöhnliche Vorkommnisse?« Vaters Stimme wurde scharf.

»Ich kann nicht ins Detail gehen, aber was immer auch passieren mag, ich beschwöre Sie, nicht darauf zu reagieren.«

»Was genau meinen Sie damit?«

»Ich kann Ihnen nicht mehr sagen«, antwortete Fröhlich.

»Vielleicht geschieht nichts, vielleicht auch etwas sehr Seltsames. Aber was auch immer es sein mag, ich beschwöre Sie, nicht darauf zu reagieren, solange die Eigentumsumschreibung zugunsten Ihrer Tochter nicht rechtskräftig geworden ist. Die Folgen wären möglicherweise unabsehbar. Wie gesagt: Ich kann Ihnen nicht sagen, was genau...«

»Zum Beispiel eine verborgene Tür, die plötzlich aus dem Nichts auftaucht und durch die nur eine einzige Person gehen kann?«, fiel ihm Leonie ins Wort.

Fröhlich fuhr wie von der berühmten Tarantel gestochen herum. Seine Augen weiteten sich in blankem Entsetzen. »O mein Gott! Du hast es schon...«

»Meine Frau«, unterbrach ihn ihr Vater mit plötzlicher Nervosität in der Stimme, auch wenn er sich alle Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen. »Sie hat die Tür entdeckt. Vor ungefähr einer Stunde.«

»Ihre Frau!« Fröhlich wurde noch bleicher. »Das habe ich befürchtet. Die legitime Erbin. Aber sie hat die Gabe nicht.«

Leonie fuhr zusammen, als hätte sie einen elektrischen Schlag erhalten. »Was haben Sie gesagt?«, fragte sie.

»Sie darf diese Tür nicht öffnen!« Fröhlich wandte sich mit vor Aufregung schriller Stimme direkt an ihren Vater. »Ich kann es Ihnen nicht erklären, aber bitte glauben Sie mir: Sie darf diese Tür nicht öffnen und sie darf schon gar nicht hindurchgehen. Etwas Furchtbares könnte geschehen, wenn sie es tut.«

»Was haben Sie gerade gesagt?«, wiederholte Leonie. »Was haben Sie damit gemeint: Sie hat die Gabe nicht? Welche Gabe?«

»Das ist im Augenblick Nebensache«, wehrte Fröhlich ab. »Ich erkläre es dir später. Jetzt ist erst einmal wichtig, dass deine Mutter nicht durch diese Tür geht.«

»Ich fürchte, dafür ist es zu spät«, erwiderte Vater. »Sie hat die Tür bereits geöffnet und sie ist auch schon hindurchgegangen.«

»O mein Gott«, hauchte Fröhlich.

»Und es ist überhaupt nichts passiert«, fuhr Vater fort. »Weder etwas Schreckliches noch etwas Außergewöhnliches. Gar nichts.«

»Dann haben wir alle mehr als nur ein bisschen Glück gehabt«, sagte Fröhlich mit großem Ernst, aber ohne wirkliche Erleichterung in der Stimme. »Und lassen Sie uns beten, dass es auch so bleibt. Darf ich fragen, wo sich Ihre verehrte Frau Gemahlin im Moment aufhält?«

»In der Küche«, antwortete Vater. Seine Stimme wurde noch einmal um mehrere Grad kühler. »Sie können es ihr selbst mitteilen - und mir bei dieser Gelegenheit auch gleich ein paar Fragen beantworten.« Er machte eine auffordernde Geste - keine Einladung, sondern eindeutig ein Befehl - und Fröhlich setzte sich widerwillig in Bewegung. Er sah fast verzweifelt in Leonies Richtung. Da war noch mehr, was er sagen wollte, und es schien ihm auf der Seele zu brennen, aber er wagte offensichtlich nicht, in Gegenwart ihres Vaters es auszusprechen.

Sie eilten in die Küche. Der Computer stand eingeschaltet auf dem Küchentisch und Mutters Teetasse dampfte vor sich hin, aber sie selbst war nicht mehr da. Vater trat mit zwei schnellen Schritten auf die Terrasse und von dort aus in den Garten hinaus um draußen nachzusehen, während sich Fröhlich über den aufgeklappten Laptop beugte und mit einem Geschick, das Leonie niemals erwartet hätte, Zahlen und Buchstaben einzutippen begann.

»Die Datenbank des Katasteramtes«, sagte er anerkennend. »Dein Vater scheint mir ein sehr kluger Mann zu sein. Aber in diesem Fall ist seine Mühe vergeblich, fürchte ich. Die Pläne des Archivs sind in euren Unterlagen nicht verzeichnet.«

Was sollte das heißen: eure Unterlagen? »Die Gabe«, sagte sie. »Sie wollten mir erklären, was Sie damit gemeint haben. Sie hat die Gabe nicht, Doktor Fröhlich.«

Der Notar kam nicht dazu, zu antworten, aber Leonie hatte das Gefühl, dass ihm das gar nicht so unrecht war. Ihr Vater kehrte zurück, beinahe im Sturmschritt und mit sehr besorgtem Gesicht. Ohne ein Wort ging er zur Anrichte und riss nacheinander sämtliche Schubladen auf.

»Wonach suchst du?«, fragte Leonie.

»Die Taschenlampe!« Vater drehte sich mit einem Ruck um. Er war sehr blass. »Die Hintertür zum Laden steht offen und sie hat die Taschenlampe mitgenommen.«

»Sie wird dort unten nicht funktionieren«, bemerkte Fröhlich. »So wenig wie irgendein anderes technisches Gerät.«

Leonies Vater starrte ihn für die Dauer eines Herzschlages finster an, dann eilte er zur Tür. »Sie kommen mit!«, sagte er barsch. »Und beten Sie, dass meiner Frau nichts passiert ist!«

»Ich bete, dass uns allen nichts passiert«, flüsterte Fröhlich, während sie hintereinander aus der Küche stürmten.

Obwohl Leonie so schnell rannte, wie es nur ging, hielt Fröhlich nicht nur ohne Probleme mit ihr mit, sondern blieb so dicht hinter ihr, dass er ihr auf der Treppe beinahe in die Hacken getreten hätte. Dennoch holten sie ihren Vater nicht ein. Er stand bereits vor der Wand unten im Keller und schlug mit den flachen Händen gegen den Stein, wobei er ununterbrochen den Namen seiner Frau schrie.

»Das hat keinen Sinn«, sagte Fröhlich. »Sie kann sie nicht hören. Jedenfalls nicht, wenn sie die Tür hinter sich geschlossen hat.«