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Acht Monate waren seither vergangen, und man hätte annehmen sollen, dass sie sich wie Fremde gegenüberstanden.

Aber das war nicht der Fall.

»Conn«, flüsterte Chaya nur.

Kein Wort von den Dingen, die zwischen ihnen standen.

Nichts von dem Diebstahl, dessen man ihn verdächtigte, und auch nichts von ihrer Schwangerschaft. Nur grenzenlose Überraschung war in ihren Zügen zu lesen, die fülliger und rosiger geworden waren. Der Blick ihrer dunklen Augen war auch nach all der Zeit noch dazu angetan, Conn alles vergessen zu lassen, was sich um ihn herum befand.

So viel hätte es gegeben, das er ihr sagen und dessen er sie versichern wollte, aber es war nicht die Stunde dafür. Wenn Chaya und das ungeborene Kind leben sollten, so musste gehandelt werden.

»Uns bleibt nicht viel Zeit«, sagte Conn. »Unsere Leute sind in die Stadt eingedrungen, und sie kennen keine Gnade. Du musst mit uns kommen, Chaya, rasch!«

»Aber …« Fassungslos glitt ihr Blick von Conn zu Remy, der in seiner blutbesudelten Rüstung einen furchterregenden Anblick bot, dann zu Caleb und wieder zurück. »Ich … ich kann nicht.«

»Vertrau mir, Chaya«, sprach Conn beschwörend auf sie ein. »Remy und ich werden versuchen, dich aus der Stadt zu bringen. Nur so bist du in Sicherheit, und das Kind ebenso.«

»Und Caleb?«

Conn streifte Chayas Cousin mit einem Seitenblick. »Wenn er es wünscht, mag er uns begleiten. Aber ich garantiere nicht …«

»Niemals!«, schrie Caleb. »Das fehlte noch, dass ich einem Christen mein Leben anvertraue!«

»Caleb! Hast du nicht gehört, was er gesagt hat?«, fragte Chaya.

»Ich habe es gehört – und ich gebe nichts darauf. Dies ist meine Heimatstadt, Chaya. Sie hat schon viele Angriffe überstanden und sogar Erdbeben getrotzt.«

»Wenn schon«, widersprach Conn, »die Streiter Christi interessiert das nicht. Sie sind bereits innerhalb dieser Mauern, und ihr Zorn ist groß genug, um jeden zu töten, der nicht ihres Glaubens ist. Willst du einen solch sinnlosen Tod sterben, Chaya? Willst du, dass das Kind in dir einen solch sinnlosen Tod stirbt?«

»Nein«, erklärte sie entschieden und wandte sich Caleb zu. »Cousin, ich bitte dich …«

Sie kam nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen, denn eine große Gestalt erschien auf dem Gang, deren buschige Brauen finster zusammengezogen waren und aus deren Augen Zorn funkelte. »Was geht hier vor?«

Conn fuhr herum, Remy zückte sein Schwert so rasch, dass man ihm mit Blicken kaum folgen konnte. Schon lag die Klinge auf der Brust des Mannes, bereit, sie zu durchstoßen.

»Nein!«, rief Chaya entsetzt. »Onkel Ezra!«

Conn begriff, dass der Hüne der Mann war, den Chaya in Antiochia hatte treffen wollen. Der Bruder ihres Vaters, ein Kaufmann namens Ezra Ben Salomon.

»Ich bin Conwulf, Baldrics Sohn, und wir kommen in Frieden, Herr«, erklärte Conn knapp, hoffend, dass der andere ihn verstand. »Wenn Euch Euer Leben lieb ist, so flieht. Lasst alles zurück und versteckt Euch, bis der Sturm vorüber ist. Nur diesen Rat kann ich Euch geben.«

Er bedeutete Remy, das Schwert sinken zu lassen, worauf Ezra einige Worte sprach, die Conn nicht verstand.

»Was sagt er?«, wollte er deshalb wissen.

»Es gibt Vorratskeller unter den Häusern«, übersetzte Chaya.

»Dann haltet Euch dort verborgen«, nickte Conn dem Kaufmann zu. »Ich werde versuchen, Chaya aus der Stadt zu schaffen und einen Ort zu finden, wo sie und das Kind sicher sind.«

Ezras dunkle Augen musterten ihn. Die krausen Barthaare des Kaufmanns bebten, aber er widersprach nicht. Wortlos wendete er sich ab und verschwand die Treppe hinunter. Fast gleichzeitig war draußen auf der Straße Hufschlag zu hören. Fackelschein fiel durch das Fenster, Befehle in französischer Sprache wurden gebrüllt.

»Sie sind bereits hier«, drängte Conn. »Wir müssen verschwinden!«

»Ich werde euch zur Stadtmauer führen«, erbot sich Caleb bereitwillig. »Ohne mich werdet ihr euch in den Gassen verlaufen.«

»Warum tust du das?«, fragte Conn misstrauisch.

»Für dich ganz sicher nicht, Christ, sondern für Chaya.«

Conn überlegte nicht lange. Tatsächlich hatte er keine Ahnung, wo sie waren und welche Richtung sie einzuschlagen hatten. Sie würden Chayas streitsüchtigem Cousin wohl oder übel vertrauen müssen.

»Einverstanden«, sagte er, worauf Caleb die Führung übernahm und ihnen voraus die Stufen hinabhuschte. Conn und Chaya folgten hinterdrein, Remy bildete die Nachhut.

Sie hatten das Ende der Treppe noch nicht erreicht, als Chaya einen lauten Schrei ausstieß.

»Was …?«, wollte Conn fragen – aber die Antwort ergab sich von selbst.

Wie angewurzelt war Chaya stehen geblieben, nach vorn gebeugt und die Hand auf ihren Bauch pressend, das Gesicht schreckverzerrt, während ein wässriges Rinnsal zwischen ihren Beinen herabtroff und sich einen Weg über die steinernen Stufen suchte.

Das Kind war auf dem Weg!

Chaya begann zu weinen, als ihr klar wurde, dass es begonnen hatte, noch lange vor der Zeit.

Conn eilte zu ihr und legte schützend den Schildarm um sie, führte sie die restlichen Stufen hinab, während er ein verzweifeltes Stoßgebet zum Herrn schickte. Selten zuvor in seinem Leben hatte er sich so hilflos gefühlt wie in diesem Augenblick.

»Chaya! Ich bin hier.«

»Conn!«, wimmerte sie verzweifelt. »Das Kind … unser Kind … es kommt. Was soll ich nur tun?«

Conns Gedanken jagten sich. Sein Blick traf den von Remy, aber der Normanne war nicht weniger ratlos als er selbst. Eine Klinge zu führen und Schädel zu spalten mochten seine Sache sein – davon, ein Kind auf die Welt zu bringen, hatte auch er keine Ahnung.

Wenn Conn jedoch geglaubt hatte, dass dies seine einzige Sorge wäre, so wurde er schon im nächsten Augenblick eines Besseren belehrt. Ein dumpfes Poltern war zu hören, gefolgt von gellenden Schreien.

»Das kommt aus der Eingangshalle«, stellte Caleb aufgeregt fest. »Jemand versucht, das Tor aufzubrechen.«

Conn holte tief Luft. Die Situation verlangte nach einer raschen Entscheidung. Es brach ihm das Herz, sich ausgerechnet jetzt von Chaya zu trennen, aber wenn es nicht gelang, die Eindringlinge aufzuhalten, so würde ihr Kind ohnehin keine Chance haben.

»Bring sie in den Keller, von dem dein Vater erzählt hat«, wies er Caleb entschlossen an. »Dort tu, was getan werden muss.«

»Aber ich …«

»Danke, Freund«, sagte Conn, noch ehe Chayas verblüffter Cousin etwas erwidern konnte, und legte ihm die behandschuhte Rechte auf die Schulter. Dann wandte er sich wieder Chaya zu, die sich vor Schmerzen kaum noch auf den Beinen halten konnte, und hauchte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn.

»Ich liebe dich«, flüsterte er dabei – dann hatte er auch schon das Schwert gezückt und war auf dem Weg zum Innenhof, gefolgt von Remy, der ihm dicht auf den Fersen blieb.

Sie brauchten nur dem Kreischen der Dienerinnen nachzugehen, die jedes Poltern gegen die Eingangspforte mit hellem Geschrei beantworteten. Gerade in dem Augenblick, da Conn und Remy das Portal erreichten, brach die Tür aus den Angeln. Ein behelfsmäßiger Rammbock erschien – eine Marmorstatue, die ihres ursprünglichen Zweckes kurzerhand beraubt worden war –, dicht gefolgt von schwer gerüsteten Kämpfern, die mit blanken Waffen hereindrängten.

Die Dienerinnen stoben auseinander wie aufgescheuchte Hühner. Eine jedoch, eine betagte Jüdin mit angegrautem Haar, war zu langsam, sodass einer der Eindringlinge sie zu fassen bekam. Die Frau schrie aus Leibeskräften – bis das Schwert ihres Häschers in ihre Brust fuhr und sie durchbohrte.

»Nein, verdammt!«, brüllte Conn, erbost über diese Bluttat. Die Schwerter kampfbereit erhoben, stellten Remy und er sich den Eindringlingen entgegen.