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»Wer seid ihr?«, wollte der Kreuzfahrer von ihnen wissen. Seine Augen, die wegen des Nasenschutzes am Helm leicht schielten, verrieten Verwirrung. »Was habt ihr hier zu schaffen?«

»Ich bin Conwulf, des Baldrics Sohn. Dieses Haus steht unter meinem persönlichen Schutz.«

»Tatsächlich?« Der andere, der die blutige Klinge noch erhoben hatte, grinste breit. »Und das soll ich dir glauben? Ist es nicht vielmehr so, dass du und dein schafsgesichtiger Freund sich den ganzen Mammon, den das Judenvolk hier angehäuft hat, allein unter den Nagel reißen wollen?«

Remy schnaubte.

Zum einen war offenkundig, dass sich der Disput nicht gütlich würde beilegen lassen. Die Eindringlinge, ihrer Sprechweise nach flämische Söldner, waren auf Beute aus und nicht gewillt, sie sich von anderen streitig machen zu lassen. Zum anderen verübelte der Normanne ihnen die Sache mit dem Schafsgesicht.

Ungerührt trat er vor, und noch ehe der Anführer der Söldner ein Wort sagen oder auch nur reagieren konnte, sank er bereits mit durchbohrtem Halse nieder, an dem Blutschwall würgend, der aus seiner Kehle schoss. Die anderen Kämpfer schrien wütend auf und drangen mit ihren Klingen auf Remy ein, dem Conn sofort zur Seite sprang. Ein hitziges Gefecht entbrannte, das Conn und sein Begleiter jedoch beherrschten. Einer der Flamen fiel unter Conns Klinge, ein weiterer wurde von Remy seiner Schwerthand beraubt und sank winselnd nieder. Die übrigen beiden, Armbrustschützen, die ihre Waffen auf dem Rücken trugen, ergriffen die Flucht und verschwanden in einer Gasse, die noch im Halbdunkel der Morgendämmerung lag.

»Danke, mein Freund«, sagte Conn schwer atmend und nickte dem hünenhaften Normannen zu. »Ich fürchte nur, du hast dich meinetwegen in große Schwierigkeiten gebracht.«

Remy lachte auf. »Daran bin ich gewöhnt«, erwiderte er in seltener Redseligkeit. »Angelsachsen machen immer Schw…«

Das Wort blieb ihm im Hals stecken, zusammen mit einem Armbrustbolzen, der die Gesichtsschürze durchschlagen hatte.

»Nein!«, brüllte Conn entsetzt – aber schon zuckte ein weiterer Bolzen heran, der sich in Remys Schulter bohrte.

Schadenfrohes Gelächter drang aus der Gasse.

Die Armbrustschützen hatten sich revanchiert.

Remy hielt sich aufrecht, trotz der beiden Geschosse, die in seinem Körper staken. Sein Blick war starr wie der eines Reptils, sein Schwertarm zitterte – dennoch setzte er sich in Bewegung, auf die Mündung der Gasse zu, in der der hinterhältige Gegner lauerte. Seine Schritte waren wankend und schwerfällig, der Schild entglitt ihm schon nach wenigen Schritten und fiel zu Boden.

»Remy, nicht!«, rief Conn und eilte zu ihm, um ihn vor weiteren Geschossen zu schirmen, aber er kam zu spät. Der nächste Bolzen, der den Freund ereilte, traf ihn in die Brust. Der riesenhafte Normanne verharrte, als wäre er gegen ein unsichtbares Hindernis gestoßen – und nur einen Herzschlag später bohrte sich ein weiteres Geschoss dicht unterhalb seines Helmes in den Kopf.

Remy war tot, noch ehe er den Boden erreichte – und Conn wurde von unbändiger Wut gepackt. Das Schwert erhoben, den Schild schützend vor sich haltend, stürmte er die Gasse hinab. Nach seiner Schätzung würden die beiden Schützen einige Augenblicke brauchen, um ihre Waffen neu zu laden, und tatsächlich erreichte er sie, noch ehe es so weit war.

Conns Schwert stieß zu und durchbohrte das Herz des Flamen, der in einer Mauernische kauerte und aus sicherer Position geschossen hatte. Der andere Schütze kam noch dazu, die Armbrust gegen eine kurze Klinge einzutauschen – den wütenden Hieben, mit denen Conn auf ihn eindrang, hatte er jedoch nichts entgegenzusetzen. Mit einer stark blutenden Schulterwunde sank er nieder.

Rasch kehrte Conn zu Remy zurück.Den hünenhaften Gefährten, der zwar kein Freund großer Worte gewesen war, der ihm jedoch stets treu zur Seite gestanden und ihn nicht zuletzt den Umgang mit dem Schwert gelehrt hatte, leblos in seinem Blut zu sehen, war entsetzlich. Conn merkte, wie ihm die Knie weich wurden. Keuchend fiel er bei ihm nieder. »Remy! Du dämlicher Kerl! Was hast du nur getan…?«

Conn war noch zu sehr im Kampfesrausch, um echte Trauer zu empfinden. Die Tränen, die ihm in die Augen schossen, waren die blanker Wut, wobei er nicht wusste, wem sein Zorn eigentlich galt. Sich selbst, weil er sich Baldrics Ratschlag widersetzt hatte, dem starrsinnigen Remy, weil er ihn begleitet und damit sein eigenes Ende heraufbeschworen hatte, oder den feigen Mördern, die in der Gasse gelauert hatten… oder dem Allmächtigen, weil er ein solches Unrecht zuließ.

Mit vor Aufregung bebenden Händen schloss Conn dem Freund die Augen und sprach ein leises Gebet, das zugleich Wehklage und Bitte um Vergebung war. Dann erhob er sich, um zum Haus Ezra Ben Salomons zurückzukehren. Es widerstrebte ihm, den Leichnam des Freundes zurückzulassen, aber er wollte Chaya suchen, wollte sie beschützen und bei ihr sein, wenn sie ihr Kind zur Welt brachte …

Doch das Schicksal wollte es anders.

Conn hatte das Ende der Gasse gerade erreicht, als ihn etwas von hinten ansprang.

Die Wucht des Aufpralls war so groß, dass er ins Taumeln geriet, während er gleichzeitig das Gefühl hatte, etwas würde ihn mit messerscharfen Zähnen in die linke Schulter beißen.

Ein lauter Schrei entfuhr ihm, und er brach zusammen. Sich am Boden windend und unfähig, sich wieder zu erheben, tastete er nach der Stelle, von der der Schmerz ausging – und berührte den hölzernen Schaft eines Armbrustbolzens!

Die Erkenntnis, einen folgenschweren Fehler begangen zu haben, durchzuckte ihn – er hatte einen der beiden Schützen am Leben gelassen. Conn merkte, wie ihn die Kraft verließ, und obwohl ein neuer Tag herandämmerte, fiel er in Dunkelheit zurück.

Sein letzter Gedanke, ehe er das Bewusstsein verlor, galt Chaya.

27.

Chaya schrie.

Ihre Schreie hallten von der niedrigen Gewölbedecke wider und kamen als schauriges Echo zu ihr zurück. Dennoch konnte sie nicht anders, als ihren Schmerz, ihre Trauer und ihre Furcht laut hinauszubrüllen.

Furcht, weil sie um das Leben ihres Kindes bangte.

Trauer, weil sie nicht gewollt hatte, dass es an solch einem Ort und an einem Morgen wie diesem das Licht der Welt erblickte.

Hals über Kopf waren Caleb und sie in die unterirdischen Gewölbe geflüchtet, die sich unter der Südstadt erstreckten und in alter Zeit als Vorratslager gedient hatten. Hier, inmitten ebenso feuchter wie dunkler Keller, in denen sich Ratten und Schlangen ein Stelldichein gaben, war Chaya niedergesunken, auf brüchigen Stufen, die jemand vor langer Zeit in den Felsen gehauen hatte. Dass die Zeit ihrer Niederkunft noch längst nicht gekommen war, dass an der Oberfläche ein mörderischer Krieg tobte und die Welt womöglich zum Untergang verdammt war – all das spielte in diesem Augenblick keine Rolle mehr.

Der Geburtsprozess war in Gang gesetzt und ließ sich nicht mehr aufhalten, so sehr Chaya es sich auch wünschte. Der Sog des Lebens hatte sie und ihr Kind erfasst und zwang sie dazu, das zu tun, was die Natur ihr diktierte – zum Entsetzen Calebs, dessen Züge von Schrecken gezeichnet waren.

Die Schöße ihres Kleides gerafft, lag sie rücklings auf der Treppe, die Beine weit gespreizt. Sich ihrem Cousin so zu zeigen war eigentlich undenkbar, aber das Verlangen nach Hilfe war größer als alle Scham. Darüber, wie man ein Kind zur Welt brachte, wusste Caleb zwar nur wenig, aber immerhin war sie in dieser Stunde nicht allein – auch wenn sie sich in diesem Augenblick mehr als alles andere ihre Mutter an die Seite wünschte, damit sie ihr beistand. Doch ihre Mutter war nicht hier, und so musste Chaya sich mit dem begnügen, was sie ihr zu Lebzeiten über den weiblichen Körper und den Geburtsvorgang beigebracht hatte – und mit ihrem Cousin, der, obwohl einer ausgewachsenen Panik nahe, sein Bestes gab.