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»Ehrwürdiger Kur-Bagha«, antwortete Bahram deshalb vorsichtig. »Ich habe es schon meinem Fürsten gesagt und sage es nun auch Euch – ich weiß nicht, was in den Köpfen der Kreuzfahrer vor sich geht oder was sie bewegt. Auch wenn ich getauft bin und an die Auferstehung Jesu Christi glaube, so bin ich dennoch ein Sohn des Morgenlands und vermag Euch weder zu sagen, was jene Menschen planen noch weshalb sie mit derartiger Bitterkeit kämpfen.«

»Könnt Ihr es nicht?«, fragte der Emir von Menbidj, ein kleiner Mann mit finsterem Blick. »Oder wollt Ihr es nicht? Steht Ihr Euren Glaubensbrüdern näher als uns?«

»Die Loyalität des Armeniers steht außer Frage«, ergriff Duqaq für Bahram Partei – wohl auch deshalb, weil jede Kritik an seinem Schützling auch seine eigene Urteilsfähigkeit in Zweifel zog. »Er hat sie oft genug unter Beweis gestellt.«

»Auch in Kämpfen gegen Christen? Oder ging es dabei gegen Söhne Mohammeds?«, fragte Kur-Bagha.

Bahram fühlte sich zunehmend unwohler. »In der Hauptsache ging es dabei gegen Söhne Mohammeds. Jedoch standen bisweilen auch Christen unter ihrem Banner, und zuletzt habe ich bei Al-Bira auch gegen die Kreuzfahrer gekämpft. Dass ich Eure Fragen nicht beantworten kann, liegt nicht an mangelnder Treue, Herr, sondern einzig daran, dass ich nichts über jene Christen weiß. Sie kommen aus Ländern, in denen ich nie gewesen bin und die mir nicht weniger fremd sind als Euch. Auch lehrt uns unser Glaube, nicht zu töten und den Nächsten zu lieben, sodass ich Euch nicht erklären kann, was sie zu ihren Taten bewegt – außer vielleicht jenen Dingen, die alle Sterblichen in ihrem tiefsten Inneren bewegen.«

»Und diese wären?«, wollte Janah al-Dawlas wissen.

»Furcht«, gab Bahram ohne Zögern zur Antwort. »Zorn und Gier.«

Den Gesichtern der Emire und Unterführer war anzusehen, dass ihnen diese Antwort nicht gefiel – sei es, weil sie sich selbst darin sahen oder weil es den Feind, der sich hinter den Mauern Antiochias verschanzte und in dem sie einen finsteren Dämon sehen wollten, auf bestürzende Weise menschlich machte.

»Wenn Ihr mich also nach den Ansichten der Christen fragt, kann ich Euch nichts antworten«, fügte Bahram hinzu. »Die bisherige Erfahrung allerdings hat mir gezeigt, dass die Kreuzfahrer gefährlich sind, einer tobenden Feuersbrunst gleich, der man keinen Augenblick lang den Rücken zuwenden darf. Auch jetzt noch, so geschwächt und ausgehungert sie sein mögen, dürfen wir nicht den Fehler begehen, sie zu unterschätzen.«

»In der Tat, Armenier«, pflichtete Kur-Bagha ihm bei. »Ein verwundeter Löwe ist am gefährlichsten – und man tut gut daran, ihm nicht in sein Versteck zu folgen.«

Der Atabeg überlegte, und Bahram war froh darüber, dass sich die Fürsten und Offiziere allmählich wieder von ihm ab- und dem Heeresführer zuwandten. Einige der Blicke, die ihn streiften, verrieten jedoch unverhohlenes Misstrauen und machten ihm einmal mehr klar, dass manches anders geworden war.

»Wir werden unser Vorgehen ändern«, verkündete Kur-Bagha. »Wir werden nicht den Fehler begehen, gegen die Mauern des Feindes anzurennen und unsere Kräfte dabei aufzureiben. Wir werden vielmehr alles daransetzen, die Christen zu einem Ausfall zu bewegen.«

»Wie soll dies gelingen?«, fragte jemand.

Kur-Bagha lächelte. »Wenn die Kreuzfahrer wirklich so geschwächt sind, wie wir annehmen, so kann ihnen nicht an einer langen Belagerung gelegen sein. Wir werden die Garnison anweisen, einen Ausfall zu unternehmen und den Feind unter Druck zu setzen. Dann wird ihm nichts weiter übrig bleiben, als die Entscheidung auf freiem Feld zu suchen – und dort, meine Brüder«, sagte er, während er demonstrativ die zur Faust geballte Rechte hob, »werden wir ihn zermalmen.«

4.

Antiochia

Zur selben Zeit

Es war der fünfte Tag nach der Eroberung.

Anstatt sich zu bessern, hatte sich Conns Zustand beständig verschlechtert, sodass sich die in der Heilkunde beschlagenen Mönche zuletzt keinen Rat mehr wussten. Daraufhin beschloss Baldric, anderweitig Hilfe zu suchen, entgegen Be­rengars ausdrücklicher Warnung, nicht auf heidnische Hexenkunst zu vertrauen. Während Bertrand zurückblieb, um an Conns Lager zu wachen, begab sich Baldric auf den Weg zum jüdischen Viertel.

Die Stadt glich einem Wespennest, in das man gestochen hatte.

Auf der Hauptstraße, die vom Sankt-Pauls-Tor nach Südwesten führte, zum großen Basar und von dort an von Säulen getragenen Fassaden entlang zum jüdischen Viertel, herrschte unbeschreibliches Gedränge. Bettler, Flüchtlinge, Betrunkene und Menschen ohne Obdach waren in Scharen anzutreffen, dazu Dirnen und Diebesgesindel, die sich in all dem Durcheinander gut gehender Geschäfte erfreuten. Diejenigen Händler, die noch etwas zu verkaufen hatten, hatten ihre Läden geöffnet und boten lautstark ihre Waren feil, dazu kamen Kreuzfahrer, die zum Patrouillendienst eingeteilt oder damit beauftragt waren, Arbeitskräfte und Baumaterial zu beschaffen.

Alle Streiter Christi hausten nun innerhalb der Mauern Antiochias, zusammen mit ihren Familien, ihrem Gesinde und dem beträchtlichen Tross, der den Feldzug noch immer begleitete. Die Armen unter den Kämpfern wohnten unter freiem Himmel oder in Zelten, die auf den freien Plätzen und im Südwesten der Stadt errichtet worden waren; der überwiegende Teil jedoch hatte in Gebäuden Unterschlupf gefunden, die noch bis vor wenigen Tagen wohlhabenden Muselmanen gehört hatten oder von den Angehörigen der Garnisonsoffiziere bewohnt worden waren. Sofern sie nicht freiwillig aus ihren Häusern geflüchtet waren, waren sie vertrieben und oft auch getötet worden, nicht selten von den Christen Antiochias, die sich eifrig am Kampf beteiligt hatten. Sicher waren auch noch einige Türken am Leben und versteckten sich an dunklen Orten, wo sie darauf hofften, dass die Besatzer bald wieder verschwinden würden.

Die Aussichten dafür standen nicht schlecht, wie Baldric sich grimmig eingestehen musste. Denn die Armee, die vor zwei Tagen eingetroffen war und nun genau dort weilte, wo sich noch vor Kurzem das Lager der Kreuzfahrer befunden hatte, bestand aus zehntausenden ausgeruhter Krieger, während die Streiter Christi geschwächt waren vom Kampf um die Stadt und vom Hunger. Und da man nicht wusste, worauf der Angriff des feindlichen Heerführers Kur-Bagha zielen würde, wurden überall in der Stadt hastige Vorbereitungen zur Verteidigung getroffen.

Waffen und Rüstzeug wurden ausgebessert und die ausgedünnten Vorräte an Pfeilen und Wurfgeschossen aufgefüllt, dazu versuchte man, in aller Eile die jahrhundertealten, durch die lange Belagerung in Mitleidenschaft gezogenen Mauern der Stadt zu verstärken. Die wichtigsten Baumaßnahmen jedoch gingen dort vonstatten, wo die Zitadelle des Feindes wie ein Stachel im Fleisch der Kreuzfahrer saß: In aller Eile wurde unter der Aufsicht Bohemunds von Tarent und Raymonds de Toulouse ein behelfsmäßiger Wall aufgeschüttet, der die Besatzung der Festung daran hindern sollte, den Kreuzfahrern in den Rücken zu fallen.

Die Unruhe, die über der Stadt lag, war deutlich zu spüren – Furcht, Zorn, Verzweiflung und Trotz, von allem war etwas dabei. Man hatte so lange und unter solch schrecklichen Verlusten um Antiochia gerungen, dass man die Stadt nun nicht gleich wieder aus den Händen geben wollte, folglich wollte man alles daran setzen, sie zu behaupten. Zumal klar war, dass man im Fall einer Niederlage keine Gnade zu erwarten hatte. Man hatte sie bei der Eroberung nicht gewährt und würde sie auch nicht bekommen.