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Verblüfft schoss er von seinem Lager hoch, aber brennender Schmerz, der von seiner Schulter in seinen Nacken sprang und von dort in den Schädel schoss, ließ ihn sofort wieder niedersinken.

»Chaya«, stieß er stöhnend hervor. »Wie …?«

»Ruhig«, ermahnte sie ihn und drückte ihn sanft, aber bestimmt auf sein strohgedecktes Lager zurück. »Du musst dich schonen, Conn. Du hast Fieber. Und du hast sehr viel Blut verloren.«

»Blut verloren«, echote er und starrte sie verständnislos an. Seine Erinnerungen waren bruchstückhaft, wie die Scherben eines Mosaiks. Der Angriff auf die Stadt, die Kämpfe in den Gassen – all das war gegenwärtig, aber er vermochte es nicht zu ordnen. Wie war er hierhergekommen? Und wo war er überhaupt?

Verwirrt schaute er sich um, konnte jedoch nicht sehr viel mehr erkennen als trübe dunkle Flecke, die ineinanderschwammen. Dafür hörte er entsetzliche Schreie, und der Gestank von Exkrementen und geronnenem Blut stach in seine Nase.

»Du bist in einem Verwundetenlager, das die Cluniazenser unterhalten«, beantwortete jemand seine unausgesprochene Frage. Eine massige Gestalt trat hinter Chaya, die Conn jedoch erst erkennen konnte, als sie sich zu ihm herabbeugte – Baldric.

Conn versuchte ein Lächeln, aber er hatte die Kontrolle über seine Gesichtsmuskeln noch nicht zurückgewonnen, sodass es beim Versuch blieb. »Ver… verzeih«, presste er stattdessen hervor, worauf sein Adoptivvater resignierend schnaubte.

»Zwei Tage lang haben wir dich gesucht, Junge, und nur einer glücklichen Fügung ist es zu verdanken, dass man dich nicht mit den Toten begraben hat. Die Mönche haben für dich getan, was sie konnten, aber sie sind mit ihrer Weisheit am Ende. Deshalb habe ich Hilfe geholt.«

Conn wollte sich Chaya zuwenden, um sich, geschwächt wie er war, bei ihr zu bedanken – als ihm plötzlich etwas einfiel. Das letzte Mal, als er Chaya gesehen hatte, war sie …

»Es ist gut«, versicherte sie lächelnd. »Dem Kind geht es gut.«

Er wusste nicht, ob er die Frage tatsächlich gestellt oder ob sie sie erraten hatte – seine Freude jedoch war überwältigend, trotz seiner Schmerzen und des Fiebers, das ihn quälte.

»Ist es …?«

»Es ist ein Junge.«

Conn schloss für einen Moment die Augen.

Er hatte einen Sohn!

Wie unbegreiflich das Leben doch spielen konnte, selbst an einem Ort wie diesem.

»Was ist in jener Nacht geschehen?«, fragte Baldric.

»Söldner«, scharrte Conn das wenige zusammen, was seine Erinnerung im Augenblick hergab. »Flamen … ein Hinterhalt.«

»Remy?«, fragte Baldric nur.

Conn schloss die Augen und sah den Freund vor sich, die Kehle von einem Armbrustbolzen durchbohrt. Traurig schüttelte er den Kopf.

»Verdammt.« Das eine Auge des Normanen glomm wütend auf. »Dafür werden diese Mordbuben bezahlen.«

»Viele sind gestorben in jener Nacht«, brachte Chaya in Erinnerung. »Eure Leute haben das ganze Viertel geplündert, sogar die Synagoge.«

»Ja«, knurrte Baldric. »Ich fürchte, viele von uns haben das Ziel dieser Pilgerfahrt weit aus den Augen verloren. Aber womöglich spielt es schon bald keine Rolle mehr.«

»Was bedeutet das?«, wollte Conn von Baldric wissen, doch Chaya schüttelte heftig den Kopf, sodass der Normanne zögerte. Offenbar gab es etwas, das sie ihm nicht sagen wollten. »Was ist los? Sagt es mir!«

»Nein«, lehnte Chaya ab, aber Baldric schien nicht ihrer Meinung zu sein. Grübelnd strich er sich über den silbergrauen Bart und schürzte dabei die Lippen.

»Verdammt, er soll es ruhig wissen, womöglich ist es in ein paar Stunden ohnehin nicht mehr von Belang. Ein feindliches Heer ist draußen vor den Toren der Stadt aufmarschiert. Es will Antiochia zurück – und ich fürchte, es gibt nichts, was wir ihm entgegenzusetzen haben.«

»Wie … wie ist das möglich?«, fragte Conn. »Wir haben die Stadt eingenommen.«

»Das haben wir. Aber du hast keine Vorstellung von dem, was draußen in den Gassen los ist, Junge. Unsere Leute sind am Ende ihrer Kräfte, Elend und Seuchen grassieren. Nacht für Nacht fliehen Ritter aus der Stadt, die sich wie gemeine Diebe über die Mauer abseilen und in der Dunkelheit verschwinden. Manche haben vor Hunger den Verstand verloren und sind darüber zu Kannibalen geworden, andere sind in heillosen Fanatismus entbrannt. Wir wollten erleuchtet werden und finden uns im dunkelsten Höllenpfuhl gefangen. In diesem Zustand werden uns die Muselmanen überrennen. Und wenn ich sehe, was aus uns geworden ist, dann ist es vielleicht auch besser so.«

Conn hielt den Atem an.

Selbst seinem von Schmerz und Fieber benebelten Geist blieb die Bitterkeit in Baldrics Worten nicht verborgen. Sein Adoptivvater zweifelte. Keine Rede mehr von Prüfungen, die der Herr den Kreuzfahrern stellte, um die Würdigen von den Unwürdigen zu trennen.

»Wie viele?«, presste er mühsam hervor.

»Wenigstens zwanzigtausend Krieger. Wenn sie zum Sturm ansetzen, werden selbst die Wälle von Theodosius und Iustinian nachgeben.«

»Dann muss ich …«, stieß Conn hervor und versuchte abermals, sich zu erheben. Er wollte aufstehen und sein Schwert ergreifen, schließlich hatte er eine Familie zu verteidigen. Doch der Schmerz, der durch seinen geschwächten Körper fuhr, belehrte ihn rasch eines anderen. Ein matter Laut entfuhr ihm, dann fiel er kraftlos zurück, und hätte Chaya ihn nicht aufgefangen, wäre er mit dem Hinterkopf zu Boden geschlagen.

»Lass mich«, beschwerte er sich und wollte sich ihrem Griff entwinden. »Ich muss aufstehen, muss …«

Die Worte erstarben auf seinen Lippen, der Schmerz und die Erschöpfung forderten Tribut. Conn merkte, wie seine Sinne sich wieder einzutrüben begannen, und wehrte sich mit aller Macht dagegen – jedoch erfolglos. Wie durch eine geschlossene Tür nahm er Chayas aufgeregte Stimme wahr, die Baldric eindringlich mahnte, Conn zu schonen, weil dieser noch längst nicht gerettet sei und Aufregungen wie diese seinen Tod bedeuten könnten. Weder war Conn in der Lage, die Tür zu öffnen, noch sich verständlich zu machen – wie ein gefährlicher Sog hatte die Bewusstlosigkeit ihn erneut erfasst und zog ihn zurück in den dunklen Abgrund des Vergessens.

Nur für einen kurzen Augenblick schien sie ihn noch einmal loszulassen, als jemand in das Hospital stürmte und lauthals etwas rief, das Conn zunächst nicht verstand. Gleichzeitig konnte er hören, wie im Hintergrund die Glocken der Kathedrale zu läuten begannen, klar und hell wie ein Frühlingsmorgen.

Mühsam hob Conn die Lider und sah, wie Baldric sich bekreuzigte.

Dann sank er zurück in jenes dunkle Labyrinth, dem er eben erst entkommen war.

7.

Feldlager vor Antiochia

Nacht zum 28. Juni 1098

Es war still geworden im Zelt Kur-Baghas.

Von seinem breiten Sitz aus Kamelfell schaute der Atabeg von Mossul auf die beiden Männer herab, die vor ihm standen. Obschon sich beide mühten, einen würdevollen Eindruck zu bieten, waren ihnen die Entbehrungen anzusehen, die sie erlebt hatten; beider Züge waren ausgemergelt, ihre Haut trotz der Sommersonne totenbleich. Auch ihre Kleidung hatte merklich gelitten und war verschmutzt und zerrissen. Hätte Kur-Bagha es nicht besser gewusst, hätte er geglaubt, es mit zwei Bettlern aus den dunkelsten Gassen von Mossul zu tun zu haben. Was hingegen vor ihm stand, war die offizielle Gesandtschaft, die die Kreuzfahrer ihm geschickt hatten.

»Wie sagtet Ihr, war Euer Name?«, erkundigte sich der Atabeg, seinen Spott kaum verhehlend.

»Herluin, Herr«, entgegnete der kleinere der beiden, der Arabisch und sogar ein wenig Persisch sprach.