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»Glaubst du, das interessiert mich?« Der Baron gab sich keine Mühe, seine Verachtung zu verbergen. »Diese Leute«, sagte er, auf die Soldaten und die Dienerschaft deutend, die sie auf dem langen Weg nach London begleitet hatten, »sind mit uns gereist und haben uns mit ihrem Leben beschützt. Als ihr Oberhaupt ist es deine Pflicht, für sie zu sorgen, noch bevor du an dein eigenes Wohl denkst. Geht das in deinen blonden Schädel?«

Guillaume verzog angewidert das Gesicht. Er mochte es nicht, wenn sich sein Vater ihm gegenüber solch grober Worte bediente, auch seiner Mutter war das Missfallen deutlich anzusehen. Beide wussten jedoch, dass es weder Sinn gehabt hätte noch besonders klug gewesen wäre, dem Baron vor seinen Gefolgsleuten zu widersprechen, also schwiegen sie, und Guillaume deutete, wenn auch zähneknirschend, eine Verbeugung an.

»Natürlich, Vater. Ihr habt wie immer recht.«

Renald brummte eine unverständliche Erwiderung, und Guillaume setzte sich in Richtung der beiden schlanken, zweistöckigen Steingebäude in Bewegung, die die Südmauer der Burg säumten und wo er die Unterkünfte der örtlichen Garnison vermutete.

Die Gedanken, denen er dabei nachhing, handelten von Rachsucht und Revolte, und er schwor sich, dass er seinem Vater all die Erniedrigungen und Zurechtweisungen einst in gebührender Form heimzahlen würde. Plötzlich war ihm jedoch, als würde die Düsternis seiner Gedanken von einem hellen Lichtstrahl durchbrochen. Klar und leuchtend drang er hindurch, in Gestalt einer jungen Frau, die am Brunnen stand und Wasser schöpfte.

Sie war noch keine zwanzig Jahre alt.

Dunkles Haar wallte auf ihre schmalen Schultern und umrahmte Gesichtszüge, die einfach waren, aber ebenmäßig und voller Anmut, und weder ihr gebräunter Teint noch der Ansatz von Sommersprossen auf ihren Wangen konnte ihre Schönheit mindern. Selbst durch das graue Kleid, das sie trug und das wenig mehr war als ein an den Schultern verschnürter Sack, war ihr vollendeter, jugendlicher Körper zu erahnen. Sie mochte Waliserin sein oder Schottin, eine der unzähligen Gefangenen, die im Zuge der Grenzkonflikte gemacht worden waren und die fortan ihr Dasein als Leibeigene fristeten – die Eisenspange um ihren Hals legte beredtes Zeugnis davon ab.

Dankbar für die willkommene Ablenkung starrte Guillaume sie an. Als sie sich abwenden wollte, um das Joch mit den nunmehr gefüllten Wassereimern zum Turm zu tragen, begegneten sich ihre Blicke. Zu Guillaumes Erheiterung erschrak die Sklavin und starrte sogleich wieder zu Boden, wobei sie ehrerbietig das Haupt senkte.

Er jedoch war überzeugt, in diesem kurzen Moment das ungestillte Verlangen in ihren Augen gesehen zu haben.

6.

Worms

Zur selben Zeit

»Tötet sie! Tötet die Mörder Christi!«

Laut und schrecklich drang der Schlachtruf durch die Halle. Nur wenige Male war der Rammbock gegen das Eingangstor geprallt, das unter den Einschlägen erzitterte, dann hatte das alte Holz nachgegeben und grobschlächtige Gestalten, die teils mit Klingen und Speeren, teils aber auch mit Knüppeln und brennenden Fackeln bewaffnet waren, waren eingedrungen.

Die Männer, Frauen und Kinder, die in der Halle Zuflucht gesucht hatten in der Hoffnung, hier Schutz zu finden, schrien entsetzt auf. Unwillkürlich wichen sie zur rückwärtigen Seite der Halle zurück, sich aneinanderdrängend wie eine Herde Schafe, über die eine Meute hungriger Wölfe hereinbrach. Und wie Wölfe wüteten die Mordbrenner unter ihnen.

Die Ersten, die ihren Hass und ihre Mordlust zu spüren bekamen, waren jene Männer, die sich der erdrückenden Übermacht zum Trotz den Angreifern entgegenstellten. Mit Messern und Dolchen bewaffnet, wollten sie ihrer Raserei Einhalt gebieten, aber der Widerstand wurde im Keim erstickt. Knüppel fuhren mit furchtbarer Gewalt nieder und zerschmetterten Schädel, Speerspitzen zuckten vor und bohrten sich in unschuldiges Fleisch. Frauen, Kinder und Greise schrien, als sie ihre Ehemänner, Väter und Söhne in Fontänen von grellrotem Blut niedergehen sahen, das die Angreifer bespritzte und ihre Mordlust nur noch weiter anstachelte.

»Bekehrt euch«, rief einer von ihnen, der eine Mönchskutte trug und in dessen Augen brennender Irrsinn loderte, »bekehrt euch oder erhaltet die gerechte Strafe für euren Frevel!«

Schon wurde ein Mann gepackt und auf die Knie geworfen. Der Mönch forderte ihn auf, bei dem hölzernen Kreuz, das er um den Hals trug, seinem Glauben abzuschwören und sich zum Christentum zu bekennen. Der Mann, ein gläubiger Jude, dessen Haupt eine Kippa bedeckte, verweigerte dies – worauf einer der Mordbrenner ihm mit einem einzigen Schwertstreich das Haupt von den Schultern hieb.

Der kopflose Torso hatte den blutbesudelten Boden noch nicht erreicht, als Panik unter den Versammelten ausbrach. Schreiend wichen sie zurück, doch die schmale Tür an der Rückseite der Halle ließ jeweils nur wenige hindurch. Die überwältigende Mehrheit musste erkennen, dass das Haus des Bischofs, von dem sie sich Sicherheit und Schutz versprochen hatten, zur tödlichen Falle geworden war.

Das Blutvergießen ging weiter.

Wer sich erdreistete, eine Waffe oder auch nur die geballte Faust gegen die Angreifer zu erheben, der wurde sofort getötet, anderen ließ man die Chance, ihr Leben zu retten, indem sie ihre Religion verleugneten. Nur wenige, vor allem Mütter, die ihre Kinder retten wollten, machten jedoch von dieser Möglichkeit Gebrauch. Die meisten hielten an ihrem Glauben fest und fanden unter Keulenschlägen und Schwerthieben ein grausames Ende – wenn sie ihren Angreifern nicht schon zuvorgekommen waren. Denn um der Schande zu entgehen, durch Feindeshand zu sterben, zogen zahllose Männer und Frauen es vor, sich selbst und ihren Kindern die Kehle durchzuschneiden.

Über allem tönte die Stimme des Mönchs, der mit loderndem Blick verkündete: »Seht, dies ist das Ende der alten und der Beginn einer neuen Zeit! Die Ungläubigen erkennen ihren Frevel und fallen von eigener Hand, der wahre Glaube hingegen erstrahlt heller als je zuvor! Dies spricht Folkmar, der Racheengel, den der Herr gesandt hat, um die Heiden zu strafen!«

Und er warf den Kopf in den Nacken und begann laut zu lachen. Sein sich überschlagendes Gelächter hallte von der hohen Decke wider und drang durch das offene Tor, um die Kunde von der Blutnacht in alle Welt zu tragen.

Köln

Wenige Tage später

In der Synagoge war es vollkommen ruhig geworden. Selbst die Gedanken der Ratsmitglieder schienen plötzlich verstummt zu sein, so groß war das Entsetzen.

Erneut hatte Daniel Bar Levi, der Parnes von Köln, den Gemeinderat einberufen, und wiederum war man im Haus Gottes zusammengetroffen, um über die jüngsten Entwicklungen zu beraten. Die Kunde, die aus Worms nach Köln gedrungen war, war in der Tat erschütternd, denn genau das war eingetroffen, was sowohl Bar Levi als auch sein Freund Isaac Ben Salomon befürchtet hatten: Graf Emicho und seine Horde hatten es nicht länger bei Drohungen gegen das Volk Israel belassen.

Minutenlang währte das Schweigen, das auf den Bericht des Vorstehers folgte. Einer der Ersten, die die Fassung zurückgewannen, war Isaac Ben Salomon – vielleicht deshalb, weil ihn die Nachricht nicht annähernd so unerwartet traf wie jene, die sich in trügerischer Sicherheit gewiegt hatten. »Wie viele?«, fragte er mit bebender Stimme. »Wie viele von unserem Volk haben die Mordbrenner getötet?«

Bar Levi sandte ihm einen düsteren Blick. »Die Zeugen sprechen von mehreren hundert Toten. Männer wie Frauen, Alte wie Kinder.«

»Was?«, ließ sich Mordechai Ben Neri vernehmen. »Aber das … das ist unmöglich! Ihr müsst Euch irren!«