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»Und? Welche Zukunft hätte ein solches Kind, wenn doch beide Seiten in ihm nichts als einen Bastard sähen?«

»Das ist nicht wahr«, widersprach Conn, aber es klang hilflos.

Chaya holte tief Luft. Was sie zu sagen im Begriff war, fiel ihr nicht leicht. »Das Kind, von dem du sprichst, gibt es nicht, Conwulf.«

»Was?«

»Es ist wahr, dass ich einen Sohn zur Welt gebracht habe – aber sein Vater ist Caleb Ben Ezra, ein ebenso frommes wie geachtetes Mitglied der jüdischen Gemeinde von Antiochia.«

»Was … was redest du? Ich bin der Vater des Kindes, das hast du selbst …«

»Caleb«, widersprach sie mit bebender Stimme und nur mühsam zurückgehaltenen Tränen, »ist der einzige Vater, den der Junge jemals kennenlernen wird. So ist es am besten für ihn und für uns alle. Caleb hat um meine Hand angehalten, Conn. Ich werde ihn heiraten, und er wird gut für mich und den Jungen sorgen.«

»Nein, Chaya.« Conn schüttelte den Kopf, während er entsetzt zu ihr aufblickte. »Bitte nicht. Das darfst du nicht …«

»Es ist das Beste«, sagte sie, wobei eine Träne über ihre Wange rann, die sie jedoch unwirsch beiseitewischte.

»Aber ich … ich will dich nicht verlieren«, beteuerte Conn und griff nach ihrer Hand. »Dich nicht, und auch das Kind nicht.«

»Das kannst du nicht«, versicherte sie traurig, während sie sich von ihm losmachte und sich erhob. »Denn was man niemals besessen hat, kann man auch nicht verlieren.«

»Chaya, bitte warte!« Verzweifelt rang Conn nach Worten. »Wohin willst du gehen?«

»Nach Acre«, lautete die Antwort, aber nicht Chaya hatte sie gegeben, sondern Baldric, der unvermittelt wieder im Eingang aufgetaucht war und nun hinter ihr stand. »Bei der dortigen jüdischen Gemeinde werden Chaya und ihr Cousin Unterschlupf finden, ebenso wie das Kind.«

»Nein!« Conn war verzweifelt. Natürlich wusste er, dass Chaya recht hatte; dass sie in Antiochien niemals sicher sein und der Sohn eines Christen und einer Jüdin überall auf der Welt ein Ausgestoßener sein würde. Aber die Aussicht, sie gehen zu lassen und das Kind, das er noch nie gesehen hatte, in der Obhut eines anderen Mannes zu wissen, brachte ihn halb um den Verstand.

Jäh wurde ihm klar, dass es seine Liebe zu ihr gewesen war, die ihn durch die dunkelsten Fiebernächte geleitet und ihm ein Ziel vor Augen geführt hatte, für das es sich lohnte, ins Leben zurückzukehren. Und nun sollte sich all das als bloße Täuschung erweisen? Musste er sie ziehen lassen, um sie vor Schaden zu bewahren? Warum nur nahm der Herr ihm immer jene, die er liebte?

»Shalom, Conwulf«, hauchte sie. Dann wandte sie sich ab und wollte die Kammer verlassen.

»Chaya!« Conn wollte aufstehen, um sie am Gehen zu hindern, aber seine noch immer schwachen Beine versagten ihren Dienst. Verzweifelt wand er sich am Boden, wissend, dass er sie verlieren würde, wenn sie die Kammer verließ. Sie und das Kind … »Ich liebe dich!«

Sie hatte den Durchgang bereits erreicht, drehte sich jedoch noch einmal um. Ihre dunklen Augen schwammen in Tränen. »Und weil das so ist«, flüsterte sie, »wirst du mich gehen lassen.«

Conn fühlte sich wie ein Krieger, dem das Schwert aus der Hand genommen wurde, zu einer Gegenwehr war er nicht mehr fähig.

Mit entsetzt geweiteten Augen schaute er zu, wie sie hinausging und verschwand, unfähig, auch nur ein Wort zu sagen. Lediglich Baldric blieb zurück, einen Ausdruck tiefen Bedauerns in den herben Zügen.

»Es tut mir leid, Sohn«, sagte er leise.

»Warum?«, fragte Conn nur, hilflos am Boden liegend.

»Weil es so am besten ist, das weißt du besser als jeder andere.«

Conn schüttelte den Kopf. »Ich will es aber nicht besser wissen. Und ich will Chaya nicht auch noch verlieren.«

»Aber genau das wird geschehen, wenn sie hierbleibt, denn die Fanatiker in unseren Reihen werden erst ruhen, wenn jeder Jude und jeder Muselmane in Antiochia entweder vertrieben oder erschlagen ist. Wenn Chaya und ihr Kind leben sollen, müssen beide die Stadt verlassen. Ich werde sie selbst nach Acre bringen, um sicherzugehen, dass sie wohlbehalten dort ankommen. Mehr kann ich leider nicht tun.«

Conn nickte. Baldrics Argumente leuchteten ihm ein, auch wenn der Schmerz überwältigend war. Er hatte keine Wahl, als Chaya und ihr Kind ziehen zu lassen, zumal er sie in seinem Zustand nicht beschützen konnte. »Willst du mir etwas versprechen?«, flüsterte er.

»Was, Sohn?«

»Versprich mir, gut auf sie aufzupassen, sie mit deinem Leben zu beschützen«, bat Conn leise.

»Das werde ich, mein Junge«, versicherte der Normanne ohne Zögern und legte die Hand auf das Kreuzsymbol auf seiner Schulter. »So wahr der Herr mir helfe.«

Berengar war in heller Aufregung.

Der Atem des Mönchs ging stockend, mit bebenden Händen blätterte er in dem Bibelkodex, den er aufgeschlagen vor sich liegen hatte, unablässig zuckten die Blicke seiner vor Anstrengung tränenden Augen zwischen den lateinischen Buchstaben und den hebräischen Schriftzeichen des Pergaments hin und her.

Obwohl der Verdacht, den er schon seit geraumer Zeit gehegt hatte, allmählich zur Gewissheit geworden war, konnte Berengar es noch immer kaum glauben. Das Geheimnis der Schriftrolle hatte sich offenbart. Der Mönch wusste nun, wovon sie handelte, doch die Erkenntnis war so ungeheuerlich, dass sie ihm keine Befriedigung verschaffte.

Wie beim Aufstieg auf einen hohen Berg hatte sich das Ziel als schwer zugänglich und nur unter großen Mühen erreichbar herausgestellt – und nun, da er den Gipfel erreicht hatte und den Ausblick wagen wollte, musste er feststellen, dass das Tal im Nebel lag. Denn wie so häufig, wenn der Mensch nach letzter Erkenntnis strebte, ergaben sich aus dem gewonnenen Wissen neue Fragen, und eine davon war von solch zentraler Bedeutung, dass sie alle anderen weit übertraf.

Das Geheimnis des Buches, jenes aus alter Zeit stammende Vermächtnis, wurde auf den letzten Seiten ausdrücklich genannt – wozu also dienten all die Rätsel, die in den Text eingestreut und in den Krypten kabbalistischer Wortspiele verborgen waren? Wenn es nicht darum ging, den Inhalt des Buches zu verhüllen, was hüteten sie dann?

Im Schein der Öllampe dachte der Mönch fieberhaft darüber nach, verglich wieder und wieder die Textstellen des Alten Testaments mit den Verweisen der Schriftrolle – und plötzlich kam ihm eine neuerliche Vermutung, die an Kühnheit alle zuvor gehegten noch übertraf: Das Buch von Ascalon, wie die Jüdin es genannt hatte, berichtete nicht nur von Dingen, die einst gewesen waren, sondern auch von solchen, die noch immer Bestand hatten – und von solchen, die bald geschehen würden.

Es war kein bloßer Mystizismus, kein Glaubenskodex und kein Regelwerk, sondern ein verschlüsselter Plan.

Der Gedanke grenzte an Irrsinn, und fast hatte Berengar das Gefühl, sein alter Meister Ignatius stehe wieder hinter ihm und blicke ihm tadelnd über die Schulter. Aber es war die einzige Folgerung, die Sinn ergab, und plötzlich fügte sich alles zusammen.

Deshalb hatten Chaya und ihr Vater das Buch mit ihrem Leben gehütet, deshalb war vom Zusammentritt eines neuen Judenrats die Rede, und nur deshalb schöpfte das in alle Winde zerstreute Volk Israel neue Hoffnung. Das Geheimnis existierte wirklich, und der einzige Zweck der Schriftrolle bestand darin, demjenigen, der sie zu lesen und ihre Rätsel zu deuten verstand, den rechten Weg zu weisen.

Die Erkenntnis traf Berengar wie ein Blitzschlag, und einem Fanal gleich standen ihm die hebräischen Worte vor Augen, so als hätten sie sich mit feuriger Glut in seine Sinne eingebrannt.

ARON HABRIT

9.

Steppe südwestlich von Antiochia

20. Juni 1098

Es war ein Traum.