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Er erwachte abermals, allein am Feuer in der Einsamkeit der nächtlichen Steppe.

Das Zeichen am Himmel jedoch war verschwunden.

Antiochia

Mitte Juli 1098

Der Gestank war unerträglich.

Schweiß, Urin, Eiter und geronnenes Blut – all das vermischte sich zu einer Übelkeit erregenden Mixtur, die Conns Magen rebellieren ließ. Von Grauen geschüttelt sah er zu, wie ein in der Heilkunde beschlagener Cluniazensermönch einem lothringischen Knappen die eitrigen Narben öffnete. Der Junge, der nicht mehr als sechzehn Winter zählen mochte, schrie wie von Sinnen, als die Lanzette durch die zum Zerreißen gespannte Haut schnitt und gelbe Wundflüssigkeit hervorschoss. Mit aller Kraft hielt Conn den Knaben fest, der sich verzweifelt wehrte. Plötzlich jedoch erlosch sein Widerstand, und er verstummte – der Junge hatte das Bewusstsein verloren.

Ruhe kehrte dennoch nicht ein.

Allenthalben schrien Verwundete ihre Pein und ihre Todesangst laut hinaus; irgendwo übergab sich jemand, und am benachbarten Lager erteilte ein Pater einem Sterbenden die Letzte Ölung.

An der letzten Schlacht um Antiochia mochte Conwulf nicht teilgenommen haben, ihre Auswirkungen jedoch bekam er deutlich zu spüren. Da sein Adoptivvater und Bertrand die Stadt verlassen hatten, um Chaya und ihr Kind nach Acre zu geleiten, war Conn erneut der Obhut der Mönche übergeben worden, die seine allmählich heilende Wunde mit Balsam versorgten und die Verbände wechselten.

Zwar war Conn noch weit davon entfernt, wieder genesen zu sein – er ermüdete schnell, und oft befiel ihn solcher Schwindel, dass er sich setzen musste, um nicht umzufallen –, jedoch war ihm rasch aufgegangen, dass er sich in ungleich besserer Verfassung befand als die meisten im Hospital der Mönche. Also hatte er aufgehört, sich im Selbstmitleid zu suhlen, und angeboten, den Mönchen zur Hand zu gehen, die gegenüber den vielen Hilfebedürftigen ohnehin in hoffnungsloser Unterzahl waren.

Conns Ziel war es gewesen, sich abzulenken, damit er nicht unablässig an Chaya und das Kind denken musste – freilich ohne zu ahnen, worauf er sich einließ. Dem Kampf auf dem Feld beizuwohnen, war eine Sache. Die blutige Nachgeburt jedoch, die jede Schlacht hervorzubringen pflegte, war noch ungleich schlimmer. Denn hier gab es keine Sieger, sondern nur Geschlagene.

Jene Kämpfer, die die schwersten Verwundungen davongetragen hatten, waren bereits in den ersten Tagen nach der Schlacht von einem gnädigen Tod erlöst worden; die jetzt noch übrig waren, klammerten sich zäh an ihr Leben, obschon abzusehen war, dass sich die wenigsten von ihnen noch einmal von ihrem Lager erheben würden, und wenn, dann nur als Krüppel. Conn sah reihenweise Männer, die Gliedmaßen eingebüßt hatten und von Glück sagen konnten, wenn der Wundbrand ihnen nicht auch noch den Rest vom Körper fraß; andere trugen Verbände um die Köpfe und schrien sich die Seelen aus dem Leib, wieder andere waren in die Brände geraten, die die Sarazenen auf ihrem Rückzug legten, und hatten schwarz verbrannte Haut. Dies, dachte Conn beklommen, war das wahre Gesicht des Krieges, und wohl nicht einer von denen, die hier verwundet und sterbend lagen, dachte an das Seelenheil, das sie sich erworben hatten und das sie direkt ins Himmelreich führen würde. Sie alle wollten am Leben bleiben, schrien nach ihren Müttern und ihren Frauen, während die Mönche versuchten, ihre Leiden so gut als möglich zu lindern.

»Conwulf?« Der Heilkundige, dem Conn als Helfer zugeteilt worden war, wandte sich zu ihm um. »Sieh zu, dass du irgendwo neue Verbände auftreibst. Die hier sind faulig und nicht mehr zu gebrauchen.«

»Ja, Pater.«

Conn wandte sich um und ging den schmalen Gang hinab zur Eingangshalle des einstigen Bades, vorbei an unzähligen Verwundeten, die ihn um Hilfe anflehten, Furcht und Verzweiflung in den Blicken. Nicht nur die Schmerzen und das Wundfieber setzten ihnen zu, gegen das die Mönche kein Mittel hatten, sondern auch die Hungersnot, die noch immer in der Stadt grassierte und gegen die auch der Sieg über Kur-Baghas Heer kaum Abhilfe geschaffen hatte.

Noch immer wurde in den Straßen Antiochias gedarbt. Nur die Wohlhabenden konnten sich regelmäßige Mahlzeiten leisten, verarmte Ritter und gemeine Soldaten bekamen in diesen Tagen kaum etwas zwischen die Zähne, von der Bevölkerung ganz zu schweigen. An die armen Seelen, die in den Hospitälern lagen, dachte niemand mehr – wohl weil man davon ausging, dass sie ohnehin dem Tod geweiht waren.

In der Eingangshalle, wo es einen Brunnen gab und die Besucher des Bades sich einst gereinigt hatten, lagen haufenweise herrenlose Kleider, deren Besitzer bereits den Weg in die Ewigkeit angetreten hatten. Die Mönche benutzten die durch und durch verschmutzten und oft blutbesudelten Fetzen, um Verbände daraus zu machen, da frisches Leinen oder Baumwolle inzwischen fast ebenso rar waren wie Nahrung. Conn wollte zu einem der Haufen treten, um ihn nach brauchbarem Stoff zu durchwühlen, als er unwillentlich Zeuge eines Gesprächs wurde, das zwei Mönche in nur wenigen Schritten Entfernung miteinander führten.

Der eine, ein trotz seiner hageren Gestalt und strengen Züge leutselig wirkender Mann, dessen Tonsur längst von der Kahlheit des Alters eingeholt worden war, war Pater Antonius, der Prior der cluniazensischen Ordensbrüder. Den anderen kannte Conn nicht, aber ihren Mienen war zu entnehmen, dass beide sich sorgten.

»… nicht umhin, die Rationen abermals zu verkleinern«, hörte Conn Antonius sagen.

»Pater«, widersprach der andere, »bedenkt, was Ihr sagt! Schon jetzt bekommen die Schwächsten kaum mehr als einen Bissen Brot und mit Glück etwas Honig. Wenn wir noch strenger rationieren …«

»Dessen bin ich mir bewusst, mein guter Anselmo«, entgegnete Antonius und ließ ein resignierendes Seufzen vernehmen. »Die meisten von uns verzichten aus diesem Grund auf ihre eigene Ration und geben das wenige, das ihnen zusteht, den Bedürftigen. Aber leider ist es keinem von uns gegeben, zu tun, was unser Herr Jesus tat. Die Brotkörbe werden sich nicht füllen, nur weil wir es wollen, Bruder. Wir müssen das wenige teilen, das wir haben …«

»… während die Wohlhabenden im Überfluss schwelgen«, wetterte Anselmo. »Es ist eine Schande, wie de Rein und seine Leute …«

Conn verharrte wie versteinert.

Hatte er den Namen de Rein tatsächlich gehört oder hatten ihm seine Ohren einen Streich gespielt?

»Damit habt Ihr leider recht«, räumte Pater Antonius ein. »Dennoch haben nicht Guillaume de Rein und seine Leute, sondern wir uns verpflichtet, Benedikts Regeln gemäß zu leben. Und die Starken nehmen sich nun einmal, was sie zum Überleben brauchen. Das ist schon immer so gewesen.«

Guillaume de Rein.

Conn hatte sich also nicht verhört. Pflichtvergessen wandte er sich von dem Kleiderhaufen ab und den beiden Mönchen zu, die ihr Gespräch unbeirrt fortsetzten.

»Und wenn wir versuchen, außerhalb der Stadt Proviant zu beschaffen? Ich habe gehört, dass es in Rugia noch ausreichend Nahrung gibt.«

»Rugia befindet sich in der Hand des Feindes. Dennoch dürft Ihr mir glauben, dass ich keinen Augenblick zögern würde, mich dorthin zu begeben, wenn ich die nötigen Mittel dazu …« Pater Antonius verstummte, als er Conn bemerkte. »Kann ich Euch helfen, junger Freund?«

»Ich – äh – weiß nicht«, gestand Conn verlegen. »Verzeiht, ich wollte Euch nicht belauschen, aber Ihr erwähntet soeben einen Namen, Guillaume de Rein.«

Hätte Conn einen Fluch ausgestoßen, die Wirkung wäre kaum anders gewesen. Antonius’ asketische Züge verrieten schiere Missbilligung, im Gesicht des anderen Ordensbruders standen Furcht und Zorn zu lesen.

»Warum?«, fragte er vorsichtig. »Gehört Ihr zu seinen Leuten?«

»Nein, nein. Ich hörte Euch nur von ihm sprechen und …«