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Conns verblüffte Blicke pendelten zwischen dem Bischof und Berengar hin und her. Weder verstand er die Anspielung noch hatte er eine Ahnung, worauf der päpstliche Gesandte hinauswollte. Hatte er sich etwas zuschulden kommen lassen? Und was hatte der Mönch damit zu tun?

»Herr«, sagte er deshalb, »bitte verzeiht, aber ich bin nur ein einfacher Mann und …«

»Conwulf«, fiel Adhémar ihm ins Wort, »ich mache dich darauf aufmerksam, dass nichts von dem, was hier gesprochen wird, diesen Ort verlassen darf. Willst du das feierlich bezeugen, in Christi Namen und bei deinem Leben?«

»Ja«, erwiderte Conn, der ohnehin nicht wusste, was er sonst hätte antworten sollen. Was sollte die Geheimniskrämerei? Was mochte einen Gesandten des Papstes dazu bewegen, seine Gesellschaft zu suchen, noch dazu zur Unkenntlichkeit vermummt?

»Was weißt du über das Buch von Ascalon?«, fragte der Bischof so unvermittelt, dass es Conn für einen Moment die Sprache verschlug. Ein wenig hilflos schaute er in Berengars Richtung, worauf der Mönch ihm ermunternd zunickte.

»Es ist gut, Conwulf. Du kannst dem Bischof vertrauen.«

Conn zögerte dennoch. Chaya und ihr Vater hatten das Buch mit ihrem Leben gehütet, folglich kam es ihm falsch vor, in aller Offenheit darüber zu sprechen. Andererseits schien der Bischof bereits davon zu wissen, aus welcher Quelle auch immer.

»Es ist eine Schriftrolle«, brach Conn schließlich sein Schweigen, »die ein jüdischer Kaufmann bei sich trug. Aber soweit ich weiß, ist sie spurlos verschwunden.«

»Nicht ganz«, widersprach Adhémar mit einem bedeutsamen Blick in Berengars Richtung.

»Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, Conwulf, dass sich das Buch in meinem Besitz befindet und dass ich die letzten Wochen und Monate damit zugebracht habe, es zu übersetzen.« Berengars Miene war unbewegt.

»Es zu übersetzen?« Conns Überraschung war so groß, dass er ganz vergaß, sich zu fragen, wie Berengar in den Besitz der Schrift gelangt sein mochte. »Und was steht darin geschrieben?«

Bischof Adhémar übernahm es, zu antworten. »Im Wesentlichen und für das Auge desjenigen Lesers, der nur das Offenkundige zu sehen vermag, handelt es sich um eine Sammlung von Berichten, die bis in die Tage des weisen König Salomon zurückgehen. Unserer Vermutung nach hat eine Hofdame Salomons sie verfasst und berichtet darin vom Besuch der Herrscherin von Saba am königlichen Hof in Jerusalem – und von einem Geschenk, das sie Königin Salomon machte. Die Rede ist von zwei Figuren aus purem Gold, Cherubim mit nach vorn gestreckten Flügeln.«

»Cherubim?«, fragte Conn, der nur jedes zweite Wort verstand.

»Engelsgleiche Wesen«, übersetzte Berengar in eine verständlichere Sprache. »Von Belang jedoch ist nicht so sehr die Herkunft der Figuren als vielmehr ihre Bestimmung: die Heilige Lade zu bewachen, die tief im Inneren von Salomons Tempel ruhte.«

»Die Lade«, echote Conn verständnislos.

»Hast du noch nie von der Lade des Bundes gehört, Sohn?«, erkundigte sich Bischof Adhémar verwundert. »Von der Truhe, in die die Hebräer die Steintafeln mit den Gesetzen des Mose legten, um sie auf ihrer langen Wanderschaft durch die Wüste zu bewahren?«

»Ihr meint die Zehn Gebote«, folgerte Conn aus dem Wenigen, das er gelegentlich aus den Reden der Straßenprediger aufgeschnappt hatte.

»In der Tat. Als Mose vom Berg Horeb stieg und dem Volk Israel die Gesetzestafeln brachte, ließ er einen Mann namens Bezalel eine Truhe aus Akazienholz anfertigen, das mit Gold überzogen wurde. Dort hinein legte er die Tafeln, die Gottes Bund mit dem Volk Israel besiegelten, und dort verblieben sie während der vierzigjährigen Wanderschaft durch die Wüste, bis sie schließlich im Gelobten Land eine neue Heimat fanden. Unter der Herrschaft König Davids wurde die Lade nach Jerusalem gebracht, unter Salomon wurde ihr ein neuer Tempel errichtet, in dem sie fortan ruhte.«

Conn spürte, wie seine innere Unruhe wuchs. Er ahnte, dass er kurz davor war, das Geheimnis des Buches von Ascalon zu erfahren, aber er war sich nicht sicher, ob er es wirklich wissen wollte.

»Was weiter geschah, ist nicht bekannt. Als die Babylonier unter ihrem König Nebukadnezar Jerusalem eroberten, plünderten sie den Tempel Salomons, und die Lade ging verloren. Über viele Jahrhunderte war ihr Schicksal ungewiss – unser getreuer Bruder Berengar jedoch«, wandte sich Adhémar mit vor Begeisterung bebender Stimme an den Mönch, »glaubt, neue Antworten gefunden zu haben.«

»Was für Antworten?« Conn schaute Berengar fragend an.

»Als ich das Buch von Ascalon übersetzte, fielen mir die vielen Rätsel auf, die in den Text eingestreut sind – kabbalistische Zahlenspiele, die allesamt auf das Alte Testament verwiesen, auf das Buch Exodus und das Buch Samuel, aber auch auf das Buch der Könige. Oberflächlich betrachtet, erzählt das Buch die Geschichte der Bundeslade, und zwar weit über die babylonische Gefangenschaft hinaus. Von genauen Orten und Begebenheiten ist die Rede, Namen und Jahreszahlen werden genannt, und ich erkannte, dass die Verfasser des Buches die Lade gesehen haben und dass sie den Sturm der Babylonier überdauert haben musste. All das erklärte allerdings noch nicht, weshalb es all diese Rätsel gab und warum Chaya und ihr Vater so versessen darauf gewesen waren, die Schriftrolle unter Einsatz ihres Lebens zu hüten – doch schließlich wurde es mir klar.«

»Was wurde Euch klar?«, hakte Conn argwöhnisch nach.

»Dass die Heilige Bundeslade noch immer existiert und dass das Buch von Ascalon erklärt, wo und wie sie zu finden ist«, eröffnete der Mönch feierlich und zu Adhémars sicht­lichem Entzücken.

»Und wir«, fügte der Bischof entschlossen hinzu, »müssen diese kostbare Reliquie in unseren Besitz bringen.«

»Warum?«, fragte Conn.

»Diese Frage würdest du nicht stellen, wenn du wüsstest, was im Buch von Ascalon geschrieben steht«, antwortete Be­rengar an des Bischofs Stelle. »Dort heißt es, dass in Zeiten der Not die Lade gefunden werden und wie in alter Zeit der Sanhedrin, der Große Rat der Juden, zusammentreten soll. Dann wird der Tempel Salomons neu errichtet und Jerusalem stark werden wie einst – und wenn das geschieht, ist unsere heilige Unternehmung, die doch zum Ziel hat, die Geburtsstätte unseres Glaubens von Heiden zu reinigen, unwiderruflich gescheitert.«

Conn nickte. Jäh verstand er, weshalb das Buch Chayas Vater so wichtig gewesen war, dass er sein Leben dafür geopfert hatte – es ging dabei um die Zukunft seines Volkes.

»Ob auch Chaya davon gewusst hat?«, überlegte er.

»Natürlich«, war Berengar überzeugt. »Weißt du noch, als ich dich fragte, ob du dir bezüglich der Jüdin ganz sicher seist? Mir war schon damals klar, dass sie dich hinterging.«

Conn fühlte einen Stich im Herzen, als er sich an das Gespräch erinnerte und an die unbeschwerten Tage, die sie auf dem Weg nach Antiochia genossen hatten – bis zu jenem Morgen, an dem Chaya …

»Ihr wart es«, rief Conn. »Ihr und niemand sonst habt das Buch gestohlen!«

»Ich musste es tun«, erwiderte Berengar, der noch nicht einmal den Versuch unternahm, die Tat abzustreiten. »Ich ahnte, dass das Buch eine große Gefahr für uns birgt.«

»Also habt Ihr Euch des Nachts angeschlichen wie ein gemeiner Dieb, während wir …« Conn unterbrach sich, Wut kochte in ihm hoch. Er sprang auf und trat auf den Ordensmann zu, der mit dem Rücken zur Tür stand. »Ich kann nicht glauben, dass Ihr das wirklich getan habt. Die ganze Zeit über habt Ihr die Wahrheit gekannt und mir frech ins Gesicht gelogen. Und Ihr habt zugelassen, dass Chaya mich zu Unrecht verdächtigt.«

»Es war notwendig«, erklärte der Benediktiner schlicht.

»Notwendig.« Conn schürzte abschätzig die Lippen. »Und ich dachte, Ihr wärt mein Freund.«

»Das bin ich, Conwulf«, versicherte Berengar und versuchte ein Lächeln, »auch wenn du in diesem Augenblick wohl noch nicht ermessen kannst, was ich für dich …«