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Er verstummte, und seine kleinen Augen weiteten sich vor Schreck, als sein Gegenüber die Fäuste hob. Blind vor Wut und Enttäuschung hätte Conn wohl zugeschlagen, hätte nicht Bischof Adhémar ihn von hinten ergriffen und energisch festgehalten.

»Lasst mich los«, schrie Conn und versuchte, sich aus dem Griff des Legaten zu befreien. Geschwächt, wie er noch immer war, gelang es ihm jedoch nicht.

»Das werde ich«, zischte Adhémar ihm ins Ohr, »aber erst, wenn du dir alles angehört hast, was der Bruder dir zu sagen hat.«

»Wozu sollte ich?« Conn schüttelte störrisch den Kopf. »Der Kerl lügt, sobald er das Maul aufmacht!«

»Ich habe dir die Wahrheit vorenthalten, und ich bin nicht stolz darauf, Conn, aber nun musst du mir zuhören«, sagte Berengar beschwörend. »Ich sagte dir, dass das Buch von Ascalon Hinweise auf den Ort enthält, wo die Lade des Bundes zu finden ist.«

»Und?«

»Ich glaube, der Lösung des Rätsels auf der Spur zu sein. Die Lade befindet sich unter dem Tempelberg von Jerusalem, wo sie die Zeit überdauert hat.«

»Meinen Glückwünsch«, stieß Conn voller Bitterkeit hervor. »Warum geht Ihr dann nicht und holt sie Euch?«

»Das würden wir gerne«, raunte Bischof Adhémar ihm ins Ohr, »aber alles, was ich tue, wird streng beobachtet. Würde ich einem meiner Ritter befehlen, gen Jerusalem zu reiten, so würde es nicht unbemerkt bleiben, zumal ich nicht mehr weiß, wem von meinen Leuten ich noch trauen kann und wem nicht. Dunkle Dinge gehen in dieser Stadt vor sich, Conwulf.«

»Was für Dinge?«

»Sagt dir der Name Eustace de Privas etwas?«

Conn knurrte zustimmend. Er erinnerte sich gut an den Provenzalen, der ihm am liebsten die Kehle durchgeschnitten hätte.

»Und auch von Guillaume de Rein hast du gehört, wie mir berichtet wurde.«

Conn war so verblüfft, dass sein Widerstand augenblicklich nachließ. Daraufhin gab Adhémar ihn frei und stieß ihn von sich. Conn strauchelte und schlug auf den strohbedeckten Boden, raffte sich jedoch sofort wieder auf die Beine. »Was ist mit de Rein?«

»Er ist gewissermaßen der Grund dafür, dass ich mich wie ein Dieb hierherschleichen muss und mich bei Tag und Nacht beobachtet finde«, erklärte der Bischof verdrießlich. »De Privas und de Rein sind die Anführer einer Gruppe von Rittern, die sich die ›Bruderschaft der Suchenden‹ nennt und sich dem Finden der heiligen Reliquien verschrieben hat – wenn auch nur mit dem Ziel, ihre Macht und ihren Einfluss zu mehren. Der Fund der Lanze war ein erster Erfolg, wenngleich ich ihre Echtheit ernstlich in Zweifel ziehe.«

»Ihr bezweifelt die Echtheit der Waffe?«, hakte Conn verwundert nach. »Aber – habt nicht Ihr selbst sie in die Schlacht getragen?«

»Weil ich ihren Wert darin sah, unseren Kämpfern, die bereits geschlagen am Boden lagen, noch einmal Mut zu machen – offiziell bestätigt habe ich die Echtheit des Fundes nie, und ich werde es auch nicht tun. Kommt es dir nicht auch seltsam vor, dass die Lanze just vor der entscheidenden Schlacht gefunden wurde? Dass jener Bartholomaios, der von sich behauptet, mit Sankt Andreas in Verbindung zu stehen, nicht nur genau wusste, wo die Heilige Lanze zu finden war, sondern zugleich auch meine Führerschaft anzweifelt? Und dass man ihn zuletzt des Öfteren in de Reins Gesellschaft gesehen hat?«

»Das ist eigenartig«, musste Conn zugeben.

»In der Tat.« Adhémar nickte. »Und dies ist nicht das einzige Vergehen, dessen ich die Bruderschaft verdächtige. Ihre Mitglieder ziehen marodierend durch die Lande, rauben und morden um des bloßen Gewinns willen, und das alles im Namen des Herrn. Sollte die Bundeslade in ihren Besitz gelangen, so werden sie sie dazu benutzen, noch mehr Einfluss zu gewinnen und womöglich Rom und Byzanz gegeneinander auszuspielen, was sowohl für seine Heiligkeit den Papst als auch für Kaiser Alexios unabsehbare Folgen hätte.«

»Verzeiht, Herr«, sagte Conn, dem der Kopf schwirrte von all den Namen und Dingen, die ihm nichts oder nur wenig sagten, »ich bin nur ein einfacher Kämpfer und verstehe nichts von …«

»Als diese heilige Unternehmung begann«, erklärte der Bischof seufzend, aber bereitwillig, »wurde ich zum päpstlichen Legaten und damit zum Anführer der Pilgerfahrt bestimmt. Nach allem, was seither geschehen ist, wird selbst dir jedoch aufgegangen sein, dass es inzwischen andere sind, die über die Geschicke des Feldzugs bestimmen. Zwar halten mir einige der Fürsten noch immer die Treue, andere jedoch, wie die Normannen Tankred und Bohemund, trachten nur noch danach, ihre eigene Macht und ihren Besitz zu mehren. Wenn nun auch noch die Lade in die Hände weltlicher Kreuzfahrer gelangt, würde die Kirche vollends entmachtet und das von Gott gewollte Kräfteverhältnis ins Gegenteil verkehrt. Alles, wofür diese heilige Unternehmung steht und weswegen sie einst begonnen wurde«, fügte Adhémar leiser und, so schien es, mit einem düsteren Blick in die Zukunft hinzu, »wäre dadurch gefährdet, alle Opfer vergeblich gewesen.«

»Was wollt Ihr dagegen unternehmen?«, fragte Conn, der sich noch immer nicht denken konnte, was das alles mit ihm zu tun haben sollte.

»Der Feldzug selbst mag unserer Kontrolle entzogen sein – die Lade jedoch muss Rom gehören, weswegen ein Ritter im päpstlichen Auftrag nach ihr suchen und sie im Namen der Kirche in Besitz nehmen soll«, antwortete der Bischof mit fester Stimme. »Du, Conn.«

»Ich?« Erst nach einigen Augenblicken wurde Conn bewusst, dass er den päpstlichen Legaten wie jemanden anschaute, der den Verstand verloren hatte. »Aber ich bin kein Ritter, Herr.«

»Noch nicht, aber du wirst einer sein. Die Prüfungen dafür hast du längst bestanden und die notwendigen Kenntnisse erworben. Wie Bruder Berengar mir mitteilt, bist du sogar in der Schrift bewandert. Das ist mehr, als viele Edelleute von sich behaupten können.«

»Aber – warum gerade ich?«

»Weil wir etwas gemeinsam haben. Genau wie ich hast du eine Rechnung mit Guillaume de Rein zu begleichen, nicht wahr?«

Conn schaute ihn entgeistert an.

Er konnte nicht glauben, dass Berengar ihm davon erzählt hatte. Andererseits hatte der Mönch manches getan, das Conn niemals für möglich gehalten hätte.

»Ihr wisst von meiner Feindschaft mit de Rein?«

»Ich weiß, dass er die Frau getötet hat, die du liebtest, und dafür gehört dir mein Mitgefühl. Doch dir muss klar sein, dass du als Sohn eines entehrten normannischen Kämpfers nicht die geringste Aussicht hast, Guillaume de Rein jemals zum Kampf zu stellen. Als Ritter der Kirche hingegen mag es dir gelingen.«

»Und ich erweise Euch einen Dienst, wenn ich ihm schade«, fügte Conn hinzu.

Ein Lächeln spielte um die dünnen Lippen des päpstlichen Legaten. »Wie der Zufall es will, spielt beides zusammen. Ich gebe dir eine Frist von vier Tagen, um über alles nachzudenken, Conwulf.«

»Was ist, wenn ich mich dagegen entscheide?«

»Das wirst du nicht. Denn du weißt sehr wohl, dass nur ich dir geben kann, wonach es dich am meisten verlangt. Willst du inneren Frieden finden, Sohn, dann solltest du auf mein Angebot eingehen.«

»Und die Lade?«, fragte Conn. »Was wird mit ihr geschehen, wenn ich sie finde?«

»Sie wird nach Rom gebracht, auf dass kein weltlicher Herrscher jemals Kenntnis von ihr erlange«, versicherte Adhémar. »Über Jahrhunderte hinweg ist die Kirche die alleinige Mittlerin zwischen Himmel und Erde gewesen. Und sie soll es auch bleiben.«

11.

Acre

Wenige Tage später

Obwohl es ihr längst zur Gewohnheit geworden war, empfand Chaya es noch immer als Freude, ihrem Kind die Brust zu geben.

Das winzig kleine, noch so zerbrechliche Wesen im Arm zu halten, sein pochendes kleines Herz zu spüren und ihm das zu geben, was es zum Überleben so dringend brauchte, erfüllte sie mit tiefer Zufriedenheit, und bisweilen gelang es ihr in solchen Augenblicken, alles um sich herum zu vergessen. Momente der Harmonie und des inneren Friedens – wie selten sie geworden waren.