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Bei der jüdischen Gemeinde von Acre hatten Chaya und Caleb bereitwillig Aufnahme gefunden. Der Tuchhändler Dov Ben Amos, der zugleich auch Parnes der Gemeinde war, hatte ihnen Obdach gewährt und sie in sein Haus aufgenommen, nicht zuletzt deshalb, weil er erpicht darauf war, von den Vorgängen im Norden zu erfahren, die man in Acre mit großer Anspannung verfolgte.

Da sich Caleb, um Chaya vor Anfeindungen zu schützen, bereits als ihr Ehemann ausgegeben hatte, durften sie eine gemeinsame Kammer bewohnen, die im obersten Stockwerk des verwinkelten, mit einer Unzahl von Balkonen und Erkern versehenen Gebäudes lag. Dort hielt sich Chaya die meiste Zeit über auf und kümmerte sich um das Kind, das zu früh zur Welt gekommen und entsprechend klein und schwach war. Dennoch schien es fest entschlossen, sich im Leben zu behaupten, und wurde mit jedem Tag ein wenig kräftiger, wie Chaya am eigenen Leibe spüren konnte. Sie merkte, dass der Junge zunehmend fester an ihr sog. Es erfüllte sie mit Freude zu sehen, dass er trotz seines zarten Alters bereits ein zäher Kämpfer war.

Genau wie sein Großvater.

Und wie sein Vater.

»Nun? Wie schlägt sich unser Sohn?«

Caleb trat in die Kammer. Da sie sich als Mann und Frau ausgaben, hatte Chaya keine andere Wahl, als sich an einen vertrauten Umgang mit ihrem Cousin zu gewöhnen. Allerdings missfiel es ihr, wenn er das Kind als seinen Sohn bezeichnete, und zum ungezählten Mal ertappte sie sich dabei, dass sie seine Anwesenheit als Störung empfand, auch wenn er es sicher nicht verdiente.

»Er schlägt sich wacker, was sonst?«, antwortete sie lächelnd und mit dem Stolz einer liebenden Mutter. Das Kind trank unbeeindruckt weiter.

»Gut so.« Caleb nickte zufrieden. »Schließlich soll unser Sohn einst ein tapferer Krieger werden und die Ungläubigen bekämpfen, nicht wahr?«

Chaya, die vor dem von einem Holzgitter beschatteten Fenster auf einem schlichten Schemel saß, schaute zu ihm auf.

»Was ist?«, wollte Caleb wissen.

»Er ist nicht dein Sohn, das weißt du«, sagte Chaya leise.

»Ja, und ich werde es auch niemals vergessen, wenn du mich fortwährend daran erinnerst.«

»Verzeih, Caleb. Ich wollte nur …«

»Schon gut.« Er winkte ab. »Ich weiß, dass all das nicht leicht für dich ist. Und ich nehme an, dass du ziemlich durcheinander sein musst nach allem, was geschehen ist.«

»Das ist wahr.« Sie lächelte, dankbar für das Verständnis, während sie das Kind in ihren Armen umlagerte, um die Brust zu wechseln.

»Hast du dennoch schon über meinen Vorschlag nachgedacht?«

Chaya unterdrückte ein Seufzen. »Ja, Caleb, das habe ich. Aber ich bin mir noch nicht sicher.«

»Der Junge braucht aber einen Namen«, führte Caleb einmal mehr jenes Argument ins Feld, das er täglich geltend machte, »und er muss beschnitten werden! Ohnehin ist der festgesetzte Tag der Brit Mila bereits lange verstrichen. Und Ezra ist wirklich ein sehr guter Name.«

»Vor allem«, erwiderte Chaya, »ist es der Name deines Vaters. Ich bedaure, dass du dich meinetwegen mit ihm überworfen hast, Caleb. Aber dies ist nicht der Weg, um seine Zuneigung zurückzugewinnen.« Sie hatte leise gesprochen, um das Kind nicht zu erschrecken, dennoch aber mit einer Entschlossenheit, die es ihm schwer machte zu widersprechen.

»Würdest du das auch sagen, wenn es wirklich mein Fleisch und Blut wäre, das du da im Arm hältst?«, fragte er hilflos und in verletztem Stolz. »Es ist seinetwegen, nicht wahr? Der Christ geht dir noch immer nicht aus dem Kopf.«

»Caleb, bitte …«

»Entschuldige dich nicht dafür. Ich würde es dir ohnehin nicht glauben. Außerdem«, fügte er mit mattem Lächeln hinzu, »brauchst du dir meinetwegen womöglich schon bald nicht mehr den Kopf zu zerbrechen.«

»Wie meinst du das?«

»In der Stadt werden Truppen ausgehoben. Nach allem, was in Antiochia geschehen ist, will man nicht tatenlos warten und bereitet sich auf die Ankunft der Kreuzfahrer vor. Jedes Viertel der Stadt stellt Soldaten für die Bürgerwehr, auch die jüdische Gemeinde. Also habe ich mich freiwillig gemeldet.«

»Oh, Caleb!« Chayas Erschrecken war ehrlich. »Ich dachte, das hätten wir hinter uns gelassen.«

»Sag das nicht mir, sag das deinen Christenfreunden«, entgegnete er bitter.

»Bitte tu es nicht. Geh nicht dorthin.«

Caleb schien diese Reaktion erwartet zu haben. »Du hast Angst um mich?«, fragte er genüsslich. »Oder hast du vielmehr Angst um ihn

»Caleb, diese Bitterkeit verdiene ich nicht. Ich bin dir aus ganzem Herzen dankbar für alles, was du für mich getan hast, aber ich habe dir immer gesagt, dass ich dich nicht liebe.« Sie kämpfte mit den Tränen, und das Kind, das ihre Traurigkeit zu spüren schien, hörte für einen Moment auf zu trinken.

»Ich weiß«, erwiderte Caleb, nun ohne jede Häme, »ich mache dir auch keinen Vorwurf deswegen. Aber ich kann auch nicht zurück, Chaya. Ich habe mein Wort gegeben, und ich muss meinen Beitrag leisten. Gerade du solltest das verstehen.«

»Das tue ich«, versicherte sie.

»Ich habe Kenntnis von meinem Vater. Seine Frau und er haben Antiochia ebenfalls verlassen und sind auf dem Weg hierher, zusammen mit ihren beiden Töchtern. Sollte mir etwas zustoßen, geh zu ihm und bitte ihn auch in meinem Namen um Verzeihung. Mit etwas Glück wird er dich und das Kind, das er für seinen Enkelsohn hält, bei sich aufnehmen.«

Chaya schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten. Alles in ihr sträubte sich dagegen, sich der Gnade ihres Onkels ausliefern zu müssen, aber womöglich würde ihr nichts anderes übrig bleiben, wenn Caleb im Kampf getötet wurde.

»Der Kommandant, dem ich zugeteilt wurde, ist übrigens Armenier und kämpfte bis vor kurzem noch für den Emir von Damaskus«, fügte er hinzu, während er sich wieder zum Gehen wandte. »Er würde dir gefallen.«

»Wieso?«, wollte Chaya wissen.

Ein hintergründiges Lächeln spielte um die milchbärtige Züge ihres Cousins. »Sehr einfach, er ist ein Christ.«

Antiochia

Zur selben Zeit

»Warum nicht, verdammt noch mal?«

Guillaume de Reins Stimme war laut geworden, Ungeduld sprach aus seinen Augen, deren rätselhaftes Grün sich in denen seiner Mutter zu reflektieren schien.

»Du erhebst deine Stimme gegen mich«, stellte Eleanor ohne erkennbare Regung fest. »Das hast du früher nie getan.«

»Verzeiht, Mutter«, erwiderte Guillaume, der sich nur mit Mühe zur Ruhe zwang. »Aber ich bin nicht mehr der Jüngling, der England vor zwei Jahren verlassen hat.«

»Dessen bin ich mir bewusst. Dennoch solltest du nicht vergessen, wer dich hierhergebracht und zu dem gemacht hat, was du bist. Du hast mir viel zu verdanken, Guillaume.«

»Das weiß ich, Mutter«, erwiderte er, jetzt schon ein wenig ruhiger. Die Zornesröte in seinem Gesicht verblasste zu einem zarten Rosa, das eher in die Miene eines eingeschüchterten Knaben passte. »Es ist nur … Ich warte schon so lange auf diese Gelegenheit.«

Eleanor erhob sich von dem mit prunkvollen Arabesken verzierten Stuhl, auf dem sie gesessen und der sich noch vor kurzem im Besitz einer reichen Muslimin befunden hatte. Sie trat auf ihren Sohn zu und nahm sein Gesicht in ihre knochigen Hände. »Glaubst du, das wüsste ich nicht?«, fragte sie, während sie ihn durchdringend aus ihren tief liegenden Augen musterte. »Glaubst du, die Frau, die dich unter Schmerzen in diese Welt geboren hat, wüsste nicht um deine Sehnsüchte und Nöte?«