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»Kann blutgetränkter Boden ein falsches Zeugnis geben?«, fragte der Vorsteher der Kölner Gemeinde. »Oder das Wehklagen der Hinterbliebenen? Ich fürchte, mein Freund, dass Ihr Eure Meinung die Christen betreffend ändern müsst. Viele von ihnen mögen nach wie vor Handel mit uns treiben – unsere Freunde jedoch sind sie nicht und waren es wohl auch nie. Freunde jedenfalls pflegen ihresgleichen nicht nächtens zu überfallen und sie mit vorgehaltener Waffe zur Taufe zu zwingen.«

»Das haben sie getan?« Erstmals schienen dem jungen Kaufmann aus der Enggasse die Worte zu fehlen. Seine sonst so hitzigen Züge erblassten, blankes Grauen schlug aus seinen Augen wie Flammen aus den Fenstern eines brennenden Hauses.

»Das und noch mehr«, bestätigte der Parnes mit tonloser Stimme. »Wie es heißt, wurde die Residenz des Bischofs angegriffen, wohin sich viele der Unseren geflüchtet hatten. Sie wurden entweder getötet oder gezwungen, den christlichen Glauben anzunehmen. Noch sind die Opfer nicht gezählt, aber es werden viele sein. Fünfhundert, vielleicht mehr.«

»Aber das wäre ja die gesamte Gemeinde!«, rief Usija, einer der beiden Gehilfen des Rabbiners, voller Entsetzen aus. »Warum, bei Gottes Allmacht, tun die Christen so etwas?«

»Weil sie Krieg gegen die Heiden führen – und damit auch gegen uns.« Bar Levis Stimme wurde vorwurfsvoll. »Ihre Prediger schreien es seit Monaten durch die Gassen, aber Ihr habt Augen und Ohren verschlossen und Euch geweigert, die Wahrheit zu erkennen!«

Einige der Versammelten starrten schuldbewusst zu Boden, andere wechselten verstörte Blicke. Nur einer hielt dem Augenspiel des Vorstehers stand – Mordechai Ben Neri, der seine erste Überraschung verwunden hatte und wieder ganz der Alte schien. »Obschon ich keineswegs an Eurer Lauterkeit zweifle, ehrwürdiger Parnes, fällt es mir noch immer schwer zu glauben, dass sich solches wirklich zugetragen haben soll. Wenn Ihr jedoch recht habt, so dürfen wir nicht untätig bleiben und abwarten, bis es womöglich zu spät ist und auch uns das Verderben ereilt.«

»Ihr gesteht also endlich zu, dass diese Möglichkeit besteht?«

»Ich gestehe zu, dass uns Nachrichten erreicht haben, die Anlass zur Besorgnis geben«, wich der Kaufmann aus. »Wir sollten also handeln, wenngleich besonnen und mit dem nötigen Maß.«

»Und das bedeutet?«, fragte jemand.

»Dass wir uns dem Erzbischof anvertrauen und ihm von unseren Sorgen berichten sollten«, entgegnete Mordechai.

»Und Ihr glaubt, das würde genügen?«, ergriff erneut Isaac das Wort. »Erzbischof Hermann mag uns zugeneigt sein, wenn es darum geht, seine Keller mit erlesenem Wein aus Aquitanien zu füllen. Aber können wir uns auch auf ihn verlassen, wenn es darum geht, sich auf unsere Seite und gegen seine eigenen Leute zu stellen?«

»Ihr habt recht«, pflichtete Bar Levi ihm ohne Zögern bei. »Viel sicherer wäre es, die Stadt zu räumen und bis zum Monat Tammus in der Ferne abzuwarten. Wenigstens aber, bis Emichos Horden wieder abgezogen sind.«

»Niemals!«, widersprach Mordechai entschieden, und auch unter den anderen Vornehmen regte sich Widerstand, der sich in Kopfschütteln und verhärteten Mienen niederschlug. »Bedenkt, was wir zurücklassen würden! Sollen wir unsere Wohnungen, unsere Lager, unsere Werkstätten und nicht zuletzt das Haus Gottes ungeschützt der Zerstörungswut dieser Barbaren überlassen?«

»Diese Barbaren, Mordechai«, konterte Isaac, »habt Ihr noch vor wenigen Tagen Eure Freunde genannt. Pflegt Ihr im Verteilen Eurer Gunst immer so wankelmütig zu sein?«

»Bisweilen«, stimmte der junge Kaufmann zu, und seinem vernichtenden Blick war zu entnehmen, dass er dies nicht nur auf die Christen bezog.

»Vor Kürze noch schien es Euch am nützlichsten, nichts zu unternehmen und einfach abzuwarten. Nun wollt Ihr Euch dem Schutz des Bischofs anvertrauen. Dabei geht es Euch keinen Deut um die Menschen in unserer Gemeinde. Sondern einzig und allein darum, Euren Besitz zu retten.«

»Und Euch etwa nicht, Ben Salomon?«, rief Mordechai über das einsetzende Getuschel hinweg, sehr viel lauter, als es dem Hause Gottes angemessen gewesen wäre. »Wollt Ihr behaupten, der Gedanke, alles zu verlieren, was Ihr Euch im Lauf Eures Lebens erworben habt, gefiele Euch?«

»Das will ich keineswegs, aber ich hänge nicht so an meinen materiellen Gütern, dass ich mich nicht davon trennen könnte, wenn die Situation es verlangt.«

»Und das sagt ausgerechnet Ihr? Ihr, der Ihr meinen Vater an den Rand des Ruins getrieben habt?«

»Allerdings«, bestätigte Isaac, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich bestreite nicht, dass es eine Zeit gegeben hat, da ich mein Ziel, der mächtigste Kaufmann dieser Stadt zu werden, unnachgiebig und mit aller Härte verfolgt habe. Der Tod meines geliebten Weibes hat mir jedoch klargemacht, dass ich den falschen Zeichen gefolgt bin. Allein das Leben ist das, was zählt, Mordechai. Alles andere kann ersetzt werden.«

»So geht, wenn Ihr unbedingt wollt«, sagte der andere schnaubend. Sein anfängliches Entsetzen war in Wut umgeschlagen, nun, da er jemanden gefunden hatte, an dem sich seine Gefühle entladen konnten wie ein Blitz an einer alten Eiche. »Verlasst die Stadt, wenn das Euer Wille ist, und gebt unsere Häuser und unsere Habe in die Hände von Räubern und Dieben. Ich jedoch sage, dass wir ihnen Widerstand leisten sollten.«

»So wie unsere Brüder in Worms?«, fragte Bar Levi scharf.

»Was dort geschehen ist – wenn es geschehen ist, wie Ihr sagt –, darf und wird sich nicht wiederholen. Jener Emicho mag vornehmen Geblüts sein und eine Tausendschaft von Schlägern hinter sich versammelt haben, aber er wird es nicht wagen, sich gegen den Erzbischof zu stellen.«

»Und wenn doch?«

»Mann, was wollt Ihr von mir? Ist es nicht schlimm genug, dass Euch der Verlust Eures Weibes zu einem Schatten Eurer selbst gemacht hat? Müssen wir alle nun zu greinenden Greisen verkommen?«

»Ben Neri!«, rief Akiba, der Rabbiner, ihn zur Ordnung. Doch der Kaufmann war nicht gewillt, seine Tirade zu unterbrechen.

»Was denn? Ist es verboten, die Wahrheit auszusprechen? Er weiß selbst, dass der Tod seiner Frau ihn gebrochen hat und dass ihm seither sowohl die Freude am Leben als auch der Wille dazu fehlt. Und obwohl ich sein Konkurrent bin und mein Vater sein erklärter Feind gewesen ist, empfinde ich Mitleid mit ihm. Nicht von ungefähr habe ich ihm angeboten, sein Geschäft zu einem guten Preis zu kaufen und seiner Tochter jenes Heim zu bieten, das er ihr als der Schatten, zu dem er geworden ist, nicht mehr geben kann. Er aber hat abgelehnt, obschon es das Beste für ihn und seine Tochter wäre.«

Isaac holte tief Luft. Die aufbrausende Art des Jüngeren und die Worte, die er wählte, erregten sein Gemüt, aber er sagte sich, dass er die wenige Kraft, die ihm verblieben war, aufsparen müsse und nicht in sinnlosem Streit vergeuden dürfe. »Was für Chaya und mich am besten ist, Mordechai Ben Neri, bestimme noch immer ich selbst«, sagte er nur, wobei er jedes einzelne Wort betonte.

»So, wie Ihr über die ganze Gemeinde bestimmen wollt, indem Ihr dazu ratet, die Stadt zu verlassen und sich feige zu verstecken?« Mordechai erhob sich von seinem Sitz, trat in die Mitte der Versammlung und breitete die Arme aus wie ein Prediger. »Wollt ihr alle euch dem Rat eines Mannes anvertrauen, der jeden Mut und jedes Vertrauen in sich selbst und zu Gott verloren hat? Ist das der Weg, den ihr einschlagen wollt?«

»Nicht nur Ben Salomon ist dafür, die Stadt zu verlassen«, brachte Jakob, der Gabbai, in Erinnerung, dem es nicht nur oblag, die Rechnungen der Gemeinde zu führen, sondern auch jede Sitzung auf einem Stück Pergament zu protokollieren. »Auch unser ehrwürdiger Parnes hat uns wiederholt dazu geraten.«

»Und ich ebenso«, erklärte Rabbi Akiba, und der Blick, mit dem er seine beiden Gehilfen bedachte, machte klar, dass er ihre Unterstützung erwartete.

»Und wenn schon«, blaffte Mordechai, »damit ist noch kein mehrheitlicher Beschluss gefasst. Für alte Männer, die den Zenit ihres Lebens längst überschritten haben, mag es angemessen sein, kampflos das Feld zu räumen. Ich jedoch bin jung und lasse mich weder vertreiben noch mir etwas wegnehmen, das von Rechts wegen mir gehört.«