Выбрать главу

Während ein Teil von ihm Chaya noch immer aufrichtig liebte, wollte ein anderer sie bestrafen für das, was sie ihm angetan hatte – aber hatte sie es nicht zu ihrer aller Wohl getan? Waren sie und das Kind bei Caleb nicht ungleich besser aufgehoben als bei ihm? Andererseits, warum hatte sie ihm nicht vertraut? Warum hatte sie ihm das Geheimnis des Buchs von Ascalon nicht offenbart, da sie einander doch so nahe gewesen waren, wie zwei Menschen nur sein konnten?

Resigniert schüttelte Conn den Kopf.

Er kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass all diese Überlegungen im Grunde nur einem Zweck dienten – nämlich das schlechte Gewissen zu vertuschen, das er Chaya gegenüber hatte.

Die ganze Zeit über hatte er beteuert, mit dem Verschwinden des Buches von Ascalon nichts zu tun zu haben, und jede Anschuldigung weit von sich gewiesen. Indem er Bischof Adhémars Angebot annahm und sich bereit erklärte hatte, nach der Lade des Volkes Israel zu suchen, um sie für die Kirche in Besitz zu nehmen, hatte er jedoch gezeigt, dass sie ihn nicht zu Unrecht verdächtigt hatte. Er mochte nicht ihr Feind sein, so wie andere Kreuzfahrer es waren.

Aber er war auch nicht ihr Freund.

»Sonderbar«, grübelte Bertrand, der neben ihm an der Feuerstelle saß, die die Mitte des Wohnraumes einnahm. »Ich hatte erwartet, das Heer bei unserer Ankunft zum Aufbruch gerüstet vorzufinden, aber das Gegenteil ist der Fall. Es scheint fast, als hätten die hohen Herren das Interesse daran verloren, nach Jerusalem zu ziehen.«

»Ich habe gehört, dass es Uneinigkeit gibt im Fürstenrat«, berichtete Baldric, der ihnen gegenübersaß und an einem winzigen Stück Brot kaute. Conn und Bertrand hatten ihre Rationen bereits vertilgt.

»Uneinigkeit? Wann sind sich die hohen Herren je einig gewesen?«, fragte Bertrand augenzwinkernd dagegen.

»Gemäß dem Eid, den sie Kaiser Alexios geleistet haben, müsste Antiochia seiner Herrschaft übergeben werden«, führte Baldric weiter aus. »Aber es gibt auch Fürsten, die die Ansprüche des Kaisers in Frage stellen, allen voran Bohemund von Tarent, der sich gerne selbst zum Herrn von Antiochia aufschwingen würde. Darüber ist ein heftiger Streit entbrannt, der das Kreuzfahrerheer am Weitermarschieren hindert, von der Hitze des Sommers ganz abgesehen.«

»Von mir aus sollen sie sich ruhig Zeit lassen«, meinte Bertrand achselzuckend. »Ich hätte nichts dagegen, noch eine Weile auszuruhen.«

»In einer Stadt, in der die Menschen hungern?«, fragte Baldric zweifelnd. »In deren Gassen man nachts nicht sicher ist und Seuchen grassieren? Was ist nur aus uns geworden? Viele Kreuzfahrer haben den Eid, den sie als Pilger geleistet haben, verraten und sind zu gemeinen Räubern geworden, nicht besser als jene, die zu vertreiben wir aufgebrochen sind.«

Conn zuckte zusammen. Unwillkürlich fühlte er sich angesprochen, und ihm wurde nur noch elender zumute. Dass es die Kirche selbst war, die ihn beauftragt hatte, tröstete ihn nicht. Das Gefühl, dass er etwas Falsches tat, blieb bestehen, und einmal mehr empfand er ohnmächtige Wut auf Berengar, der ihn zu seinem Komplizen gemacht hatte. Gewiss erhielt Conn dadurch die Chance, sich an Guillaume de Rein zu rächen, und allein das war es vermutlich wert, jede erdenkliche Sünde dafür zu begehen. Aber er würde Chaya dafür verraten, und dieser Handel war ihm unerträglich. Welchem Ansinnen war der Vorzug zu geben – dem Racheschwur, den er einst geleistet hatte, oder der Gerechtigkeit? Nia schien auf der einen Seite zu stehen, Chaya auf der anderen, so als würden sie um seine Seele ringen.

»Das stimmt«, pflichtete Bertrand Baldric bei. »Viele der hohen Herren nutzen die Zeit, um Raubzüge in die Umgebung zu unternehmen und sich das zurückzuholen, was der Feldzug sie gekostet hat.«

»Können sie das denn?«, fragte Baldric dagegen. »Können Gold und Geschmeide die vielen Menschenleben ersetzen, die verloren gingen? Was, wenn wir uns geirrt haben? Was, wenn wir die Zeichen des Herrn falsch gedeutet haben und diese Unternehmung nichts als ein gewaltiger, folgenschwerer Irrtum ist. Was dann?«

Zum ersten Mal blickte Conn auf.

Sein Adoptivvater kauerte vor der Esse und starrte nicht weniger trüb in die Glut, als er selbst es getan hatte.

»Du zweifelst?«, fragte er leise.

»Muss ich das nicht?« Baldrics Auge richtete sich auf ihn. »Nichts ist so, wie wir es erwartet haben, nicht einmal der Feind, den wir bekämpfen. Was, wenn wir uns auch irren, was unsere Seelen betrifft? Was, wenn wir den Pfad des Lichts längst verlassen haben und verloren sind, ohne dass wir es merken?«

Conn schluckte den Kloß hinunter, der sich in seinem Hals gebildet hatte. Baldrics Worte machten ihm Angst, wenn auch auf eine schwer zu fassende Weise, zumal im Hinblick auf die Aufgabe, die er übernommen hatte. »Was genau meinst du, Vater?«

»Ich bin Soldat und kein Prediger, deshalb vermag ich es nicht in Worte zu fassen. Es ist nur ein Gefühl, das mich quält, seit wir aus Acre zurück sind, eine unbestimmte Ahnung, aber was, wenn …«

Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden.

Knarrend flog die Tür des Hauses auf, und Berengar stand auf der Schwelle, dessen Gesellschaft Conn in den letzten Tagen absichtlich gemieden hatte. Ohne zu grüßen oder darauf zu warten, dass man ihn hereinbat, stürzte der Mönch an die Feuerstelle. Blankes Entsetzen stand in den blassen Zügen mit der Habichtsnase geschrieben.

»Was ist geschehen, Pater?«, wollte Bertrand wissen. »Ihr seht aus, als ob …«

»Bischof Adhémar«, stieß Berengar atemlos hervor.

»Was ist mit ihm?«, fragte Conn.

»Er ist tot«, antwortete der Mönch mit tonloser Stimme.

»Was?«

»Eine plötzliche Erkrankung, wie es heißt … wohl eine der Seuchen, die in der Stadt grassieren.«

Conns Gesicht wurde heiß, er hatte das Gefühl, jede einzelne Haarwurzel auf seinem Kopf zu spüren. Es kam in diesen Tagen nicht selten vor, dass Menschen, die von Hunger und Strapazen geschwächt waren, von Krankheiten befallen und innerhalb kürzester Zeit dahingerafft wurden. Er erinnerte sich auch an die Hustenanfälle, die den Bischof von Le Puy bei ihrem letzten Treffen geplagt hatten. Dennoch kam es ihm seltsam vor, dass Adhémar nur wenige Tage nach ihrer geheimen Unterredung eines mehr oder minder natürlichen Todes gestorben sein sollte. Noch dazu, wo er sich auf Schritt und Tritt beobachtet wähnte.

»Das ist nicht gut«, erklärte Baldric. »Adhémar war der Vertreter des Papstes und hat die Fürsten beständig an seine Pflichten erinnert. Ohne ihn wird alles noch schwerer werden.«

»Das wird es«, bestätigte Berengar und bedachte Conn mit einem bedeutsamen Blick. »Kann ich einen Moment mit dir sprechen, Conwulf?«

Obwohl alles in ihm sich dagegen wehrte, folgte Conn dem Mönch nach draußen. Die Neuigkeit hatte auch ihn schockiert, gleichwohl ertappte er sich dabei, dass er die leise Hoffnung hegte, mit dem Tod des Bischofs könnte sich auch ihre Abmachung erledigt haben und er würde nicht gezwungen sein, zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu wählen.

»Was wollt Ihr?«, erkundigte er sich barsch.

»Kannst du dir das nicht denken?«, antwortete Berengar mit gedämpfter Stimme. »Erscheint es dir nicht auch verdächtig, dass der Bischof so plötzlich verschieden ist?«

»Und wenn?«

»Hugo von Monteil, der Bruder Adhémars, hat gesagt, dass er keineswegs an einen Tod durch Krankheit glaubt. Er vermutet, dass der Bischof vergiftet wurde, aber er kann es nicht beweisen.«

»Vergiftet?«

»Ich muss dir nicht sagen, wen Adhémar am meisten gefürchtet hat.«

»Die Bruderschaft der Suchenden«, knurrte Conn. Und Guillaume de Rein, fügte er in Gedanken hinzu.

»Ich weiß nicht, ob Graf Hugo Kenntnis hat von dem Buch und dem Bündnis, das sein Bruder mit uns geschlossen hat«, entgegnete der Mönch. »Aber ich werde mit ihm darüber sprechen.«