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»Was?«

»So wahr ich vor Euch stehe, Herr!«, bekräftigte der Wächter. »Draußen auf den Straßen herrscht finstere Nacht! Selbst die Vögel sind verstummt.«

Die Unruhe der Sektierer steigerte sich in blankes Entsetzen. Da es erst die sechste Stunde war und die Sonne somit noch weit davon entfernt, am Horizont zu versinken, war jedem klar, dass es sich nicht um ein natürliches Vorkommnis handeln konnte. Abergläubische Furcht erfasste die Ritter. Einige von ihnen rannten panisch aus dem Saal, andere begannen zu beten – und zumindest Brian de Villefort hatte keine Mühe festzustellen, wer die Verantwortung für das Verlöschen des Tageslichts trug.

»Sie ist es gewesen!«, rief er laut und deutete mit dem Finger auf Eleanor. »Diese Frau dort ist von böser Kraft erfüllt! Die verschwundene Sonne ist der Beweis dafür!«

Betroffenheit zeigte sich auf den Gesichtern. Einige Mitglieder der Bruderschaft wichen furchtsam zurück, andere bekreuzigten sich.

»Verzaubert?« wiederholte Eleanor lachend. »Macht Euch nicht lächerlich, de Villefort! Glaubt Ihr wirklich, jemand könnte die Sonne verlöschen lassen?«

»Lasst euch von ihren Beteuerungen nicht täuschen. Sie hat sich ihrer dunklen Kräfte bedient, um Eustaces Sinne zu vernebeln. Sie hat einen Zauberbann über ihn verhängt, um ihren Sohn an die Spitze unserer Bruderschaft zu bringen!«

Von Furcht und Panik angestachelt, wurden die Unmutsbekundungen immer lauter. Die Stimmung drohte gefährlich zu kippen – und Guillaume wusste, dass er handeln musste.

Die Intrigen und Ränke seiner Mutter hatten ihn weit gebracht, hatten ihm Türen geöffnet, die ohne ihr Zutun verschlossen geblieben wären, und ihm Möglichkeiten an die Hand gegeben, die er allein nie gehabt hätte. Aber nun konnte sie ihm nicht mehr helfen.

»Nehmt das augenblicklich zurück, Brian de Villefort!«, rief er so laut und respektgebietend, dass es ihn selbst überraschte. »Ich lasse nicht zu, dass Ihr meine Ehre und die meiner Mutter beschmutzt!«

»Schreit, so laut Ihr wollt, Guillaume, ich fürchte mich weder vor Euch noch vor dem Weib, das Euch in die Welt gespien hat, sondern sage es offen und frei heraus: Sie ist eine Zauberin und eine Hexe!«

Eine Hexe!

Wie ein Schatten geisterte das Wort durch die Reihen der anderen Ritter, die mit Wut und Entsetzen reagierten.

»Nehmt das zurück, Mann!«

Guillaume pflanzte sich so dicht vor seinem Gegner auf, dass er dessen schlechten Atem riechen konnte. Die grauen Augen de Villeforts brannten in hellem Zorn, aber Guillaume hielt ihrem Blick stand.

»Nehmt augenblicklich zurück, was Ihr soeben gesagt habt, und entschuldigt Euch bei meiner Mutter, Brian de Villefort«, verlangte er mit vor Aufregung hoher Stimme, »oder ich schwöre hier und jetzt vor unseren Waffenbrüdern, dass Ihr es bitter bereuen werdet!«

Der andere gab sich unbeeindruckt.

»Ich kenne Eustace de Privas von Kindesbeinen an, und dieser dort ist nicht der Mann, der einst die Geschicke dieser Bruderschaft lenkte! Ich weiß nicht, was Ihr mit ihm gemacht habt, Guillaume de Rein, aber die Sonnenfinsternis ist die Strafe dafür, und ich versichere Euch, dass ich nicht eher ruhen werde, als bis …«

Das letzte Wort ging in ein tonloses Zischen über, gefolgt von einem roten Rinnsal, das aus de Villeforts Mundwinkel rann und in seinem Bart versickerte.

»Sprecht weiter, Bruder«, forderte Guillaume ihn auf. »Ich höre.«

De Villefort stierte ihn an. Zorn und Hass, vor allem aber Fassungslosigkeit sprachen aus dem gefrierenden Blick des Ritters.

»Das wird Euch lehren, meine Ehre niemals wieder zu beschmutzen«, sagte Guillaume ungerührt. Mit einem Ruck zog er den Dolch aus der Seite seines Gegners und trat zurück.

Der Stich war so rasch erfolgt, dass de Villefort keine Zeit geblieben war, um darauf zu reagieren. Keine Gesichtsregung, noch nicht einmal ein Zucken im Augenwinkel hatte Guillaumes tödliche Absichten verraten.

Brian de Villefort rang keuchend nach Atem. Wankend wich auch er einen Schritt zurück und griff nach seinem Schwert, doch seine Bewegungen waren kraftlos und langsam, sodass Guillaume keine Mühe hatte, sie vorauszusehen. Schon lag sein eigenes Schwert in seiner Hand, und noch ehe sein Gegner dazu kam, seine Waffe ganz zu ziehen, führte Guillaume einen vernichtenden Streich.

Der Schnitt war glatt und tief und verlief quer über de Villeforts Kehle. Ein Blutschwall brach hervor, der seine Robe tränkte und auch Guillaume noch erreichte, obwohl dieser eine Schwertlänge von ihm entfernt stand. Dann brach der Ritter zusammen.

Guillaume stand über ihm, das Gesicht mit roten Sprenkeln übersät und am ganzen Körper bebend, berauscht vom Blutdurst und dem Gefühl der Allmacht. Doch wenn er geglaubt hatte, dass der Widerstand mit de Villefort verstummen würde, so hatte er sich geirrt.

Die Blicke der übrigen Sektierer wechselten zwischen Guillaume und ihrem Mitbruder, der leblos in seinem Blut lag. Hin und wieder huschten sie auch in Eleanors Richtung. In ihrer dunklen Robe unheimlich anzusehen, stand sie schweigend bei Eustace, der auf die Geschehnisse noch nicht einmal reagiert hatte.

»Sie ist eine Hexe«, raunte es durch die Reihen.

»Sie treibt dunklen Zauber!«

»Sie soll sterben.«

Mit Unbehagen sah Guillaume, wie sich Hände um die Griffe von Dolchen und Schwertern legten, wissend, dass er der Übermacht nicht gewachsen sein würde. Wenn nicht rasch etwas geschah …

»Brüder!«

Einer der Ritter, die aufgeregt nach draußen geeilt waren, kehrte in diesem Augenblick zurück, ein gelöstes Lächeln im Gesicht.

»Was ist?«, fragte jemand.

»Die Sonne ist zurück! Für kurze Zeit war sie verloschen, aber nun ist sie zurückgekehrt und strahlt so hell wie zuvor. Es ist alles in Ordnung, meine Brüder!«

Die Furcht, die die Männer eben noch in ihren Klauen gehalten hatte, legte sich schlagartig, und ihre Entschlossenheit, mit Waffengewalt gegen Guillaume und seine Mutter vorzugehen, schwand augenblicklich. Ihre Mienen entspannten sich, die Klingen blieben in den Scheiden – und Guillaume wusste, dass seine Stunde gekommen war.

Der Moment, auf den er sein Leben lang gewartet hatte.

»Wie steht es?«, wollte er wissen, indem er sich um seine Achse drehte, das blutige Schwert noch in der Hand. »Ist immer noch jemand der Ansicht, dass meine Mutter verbotene Künste betreibt? Gibt es noch jemanden, der glaubt, dass wir unserem geliebten Bruder Eustace absichtlich geschadet haben? Oder der meine Führerschaft in Frage stellen möchte?«

Niemand meldete sich – und Guillaume konnte nicht anders, als seiner Mutter ein triumphierendes Lächeln zuzuwerfen.

Acre

Zur selben Zeit

Auch Bahram al-Armeni hatte zum Himmel geblickt.

Zusammen mit den Soldaten der jüdischen Miliz, die seinem Befehl unterstellt worden waren, hatte er auf dem Marktplatz des Judenviertels Waffenübungen durchgeführt – als sich unvermittelt ein dunkler Fleck vor die helle Sonnenscheibe schob und sie scheinbar verlöschen ließ.

Von einem Augenblick zum anderen brach die Dämmerung herein, beklemmende Stille legte sich über das Viertel und die ganze Stadt. Die Menschen hielten in ihrer Arbeit inne, Gespräche verstummten, und selbst die Tierwelt schien für einen Moment den Atem anzuhalten.

Einige der jungen Juden, die unter seinem Befehl standen, hatten in Panik ausbrechen wollen, aber Bahram hatte sie beruhigt. Als Mann der Wissenschaft wusste er genug über die Vorgänge am Himmel, um seinen Schützlingen erklären zu können, dass es weder ein gefräßiges Ungeheuer war, das den Sonnenball verschlungen hatte, noch eine unheimliche Macht.

Als Besiegter war Bahram nach Acre gekommen und hatte sich, nachdem seine Wunde gutenteils geheilt war, bei der dortigen fatimidischen Garnison gemeldet. Da er nicht der einzige Kämpfer war, der einst in seldschukischen Diensten stand und sich nun als Soldat des Kalifen zu verdingen suchte, hatte man nicht gezögert, ihm ein eigenes Kommando zu übertragen. Auch die Tatsache, dass er christlichen Glaubens war, hatte keine Rolle gespielt – wohl weil man in Acre die Gefahr, die von den Kreuzfahrern ausging, noch nicht am eigenen Leibe zu spüren bekommen hatte.