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Seit acht Tagen nun dauerte seine Todesqual schon an, und Guillaume schauderte beim Gedanken an das unmenschliche Geschrei, das vor allem nachts durch das Lager hallte und den Kreuzfahrern den Schlaf raubte. Es war einer der Gründe dafür, dass Guillaume es in diesen Tagen vorzog, Erkundungsritte in das Hinterland von Akkar zu unternehmen – Bartholomaios’ Schreie jedoch schienen ihn auch noch bis hierher zu verfolgen.

Endlich erreichte der Trupp den Grat der Erhebung, eine schmale Felskante, die so scharf war, als wäre sie mit dem Messer geschnitten worden. Karges Land erstreckte sich von hier gen Osten, in dem auch um diese frühe Jahreszeit nur vereinzelte Grasbüschel und Gestrüpp vegetierten. Erst weit jenseits davon, in der dunstigen Ferne allenfalls zu erahnen, erstreckte sich die fruchtbare Ebene des Orontes, der diesen Landstrich in weiten Windungen durchfloss. Umso deutlicher fiel der Trupp von rund zehn Reitern ins Auge, die die Talsohle passierten.

»Die sehen wir uns näher an«, knurrte Guillaume, ließ die Zügel schnalzen und lenkte sein Pferd die andere Seite der Anhöhe hinab, gefolgt von seinen Leuten.

Die anderen Reiter, die in weite Umhänge gekleidet waren, sahen sie kommen, machten jedoch keine Anstalten zur Flucht, was vermuten ließ, dass sie ebenfalls Kreuzfahrer waren. Da jeder Lehnsherr seine eigenen Späher unterhielt und nach Gutdünken verfuhr, war es keine Seltenheit, dass Erkundungstrupps einander begegneten. Und mitunter machte man auch gemeinsame Sache, wenn es darum ging, ein Gehöft oder eine muselmanische Handelsstation zu überfallen.

Von weitem schon winkte Guillaume mit der Schwerthand, um seine friedliche Absicht zu bekunden. Der Anführer des anderen Trupps erwiderte die Geste, und schon wenig später standen sie einander gegenüber.

»Seid gegrüßt«, rief Guillaume, während er sein Pferd mit brutaler Gewalt zum Stehen brachte. »Mit wem habe ich die Ehre?«

»Hugh le Chasseur in den Diensten Herzog Godefroys de Bouillon«, erwiderte der schwarzbärtige Ritter, der keinen Helm, sondern nur eine Kapuze aus Kettengeflecht trug.

»Lothringer demnach«, erwiderte Guillaume nicht ohne Geringschätzung – Bouillon war der Letzte gewesen, der Antiochia verlassen und sich dem Zug nach Jerusalem angeschlossen hatte, und er gehörte zu Graf Raymonds erbittertsten Gegnern.

»So ist es«, erwiderte le Chasseur stolz, der fraglos von niederem Adel war, sich jedoch im Kampf ausgezeichnet zu haben schien. »Ist es auch erlaubt zu fragen, wer Ihr seid?«

»Guillaume de Rein«, eröffnete Guillaume, um mit einem überheblichen Augenaufschlag hinzuzufügen: »Dies sind meine Gefolgsleute.«

»Was ist Euer Ziel?«

»Das Umland zu erkunden«, gab Guillaume ausweichend zur Antwort. Er sah keine Notwendigkeit, einem Ritter von niederer Herkunft Auskünfte zu erteilen. »Und Ihr, Monsieur?«

»Auch wir wurden ausgeschickt, das Umland zu erkunden«, entgegnete der Lothringer mit einem Grinsen, das fast als unverschämt zu werten war. Guillaume fühlte Unmut.

»Und? Habt Ihr etwas entdeckt?«

»Nichts. Nichts, worüber zu berichten sich lohnen würde.«

Guillaume biss sich auf die Lippen. Ein Gefühl sagte ihm, dass Hugh der Jäger ihn belog. Ganz sicher trug er seinen Namen nicht von ungefähr, und auch wenn er noch so fest behauptete, dass seine Erkundung ereignislos verlaufen war – die prall gefüllten Beutel an den Sätteln der Lothringer sagten etwas anderes.

»Was habt Ihr da?«, fragte Guillaume mit Blick auf die Satteltaschen.

»Proviant«, war die Antwort.

»Wie lange seid Ihr schon unterwegs?«

»Zwei Tage.«

»Und trotzdem sind eure Proviantbeutel noch so gut gefüllt?«

»Wir Lothringer sind eben sparsame Menschen«, erwiderte Hugh und setzte wieder das alte Grinsen auf. Auch einige seiner Leute lachten, und Guillaume überlegte, was er tun sollte.

Für ihn stand fest, dass der Jäger und seine Soldaten unterwegs auf Muselmanen getroffen waren, die sie überfallen und ausgeraubt hatten. Vermutlich war es Beute, die ihre Sattelbeutel zum Zerreißen dehnte. Natürlich hätte Guillaume sie ihnen abnehmen können oder darauf bestehen, sie zu teilen – immerhin verfügte er über doppelt so viele Männer. Aber er entschied sich dagegen. Eine direkte Konfrontation barg Risiken, und solange nicht wenigstens erwiesen war, dass sich diese auch lohnten …

»Gott mit Euch, Hugh le Chasseur«, sagte er deshalb und hob die Hand zum Abschiedsgruß.

»Gott auch mit Euch, Herr«, erwiderte der Lothringer, und beide hätten ihrer Wege gehen können – hätte nicht in diesem Moment etwas Guillaumes Aufmerksamkeit geweckt. Denn als der Jäger seine Rechte zum Gruß hob, sah Guillaume etwas Rotes daran blitzen.

»Was habt Ihr da?«, fragte Guillaume.

»Was meint Ihr?«

»Der Ring an Eurer Hand.«

Hugh lächelte stolz. »Ein schönes Stück, nicht wahr?«

»Allerdings. Woher habt Ihr es?«

Das Lächeln des Lothringers verschwand. »Als Gefolgsmann Bouillons bin ich Euch keine Rechenschaft schuldig, Herr. Aber ich will Euch verraten, dass ich diesen Rubin aus dem Besitz eines abtrünnigen Mönchs habe, der seinen Glauben verraten hat und in Rugia Geschäfte mit den Heiden machen wollte. Er hatte den Tod hundertfach verdient.«

Von der Hand eines Mönchs.

Guillaumes Gedanken jagten sich.

Er war sicher, den Ring seines Vaters vor sich zu haben – jenen Ring, den Renald de Rein dem Angelsachsen Conwulf geschenkt hatte, um ihn, Guillaume, zu demütigen.

Wie aber mochte das Kleinod in den Besitz jenes verräterischen Mönchs gelangt sein, von dem der Lothringer sprach? Doch wohl nur dadurch, dass er ihn nach den Kämpfen um Antiochia von des Angelsachsen kalter Hand gezogen hatte. Natürlich, so musste es gewesen sein! Ihrem Armutsgelübde zum Trotz hatten sich viele Mönche in jenen Tagen an den Toten bereichert, warum also nicht auch dieser? Und es bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass der Angelsachse nicht mehr unter den Lebenden weilte!

Die Nachricht versetzte Guillaume in Hochstimmung, und er brannte darauf, den Ring wieder in seinen Besitz zu nehmen. Nicht so sehr seines Wertes wegen, sondern um ihn Renald de Rein zu präsentieren, der doch so große Stücke auf den Angelsachsen gehalten hatte.

»Ich erkenne jenen Ring wieder«, erklärte er deshalb schlicht. »Er befand sich einst in meinem Besitz.«

»Das ist Pech für Euch, Herr«, entgegnete Hugh le Chasseur, »denn der Ring hat seinen Besitzer gewechselt und gehört nun mir.«

»Dennoch ersuche ich Euch, ihn an mich auszuhändigen. Ich musste ihn lange Zeit entbehren und möchte ihn wiederhaben.«

»Nein«, antwortete der Lothringer mit dem Wort, das Guillaume von allen am meisten verabscheute.

»Ist das Euer letztes Wort?«

»Allerdings, Herr«, bekräftigte Hugh le Chasseur mit fester Stimme – und sprach damit sein eigenes Todesurteil.

Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sich Guil­laume, dass seine Männer bereitstanden. Kaum merklich nickte er Bernier und den anderen zu, dann handelte er.

Blitzschnell zuckte die Linke zum Gürtel und zog den Dolch, den er seinem Gegner in einer einzigen fließenden Bewegung in die Brust rammen wollte. Doch das Reaktionsvermögen des Lothringers war durch unzählige überstandene Kämpfe gestählt, und so fing er Guillaumes Klinge auf halbem Weg ab. Augenblicke lang rangen die beiden Anführer miteinander, jeder von seinem Sattel aus und unter den Blicken ihrer verblüfften Männer.

»Verdammt«, rief Guillaume, »worauf wartet ihr?« – und ein Pfeil flog heran und bohrte sich in den Hals des Jägers.

Die Wucht des Aufpralls war so groß, dass er nach hinten gerissen wurde und aus dem Sattel kippte. Entsetzt schauten die Lothringer auf ihren getroffenen Anführer, während Guillaumes Leute die Schwerter zückten und auf sie einschlugen.