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Guillaume selbst beteiligte sich nicht an dem Gemetzel.

Keuchend stieg er aus dem Sattel und trat zu seinem Gegner, der sich am Boden wand und vergeblich versuchte, den Fremdkörper aus seinem Hals zu ziehen. Guillaume trat mit dem Fuß auf seine Schulter und hielt ihn nieder, dann packte er die rechte Hand des Ritters, zog ihm den Ring vom Finger und steckte ihn sich selbst an.

»Lernt daraus, Jägersmann«, belehrte er den Sterbenden, während er den Rubin so in die Sonne hielt, dass sich das Licht darin brach und den Stein funkeln ließ. »Niemand sollte versuchen, mir etwas streitig zu machen.«

Feldlager der Kreuzfahrer, Akkar

Zur selben Zeit

Renald de Rein war ein Fremder geworden.

Ein Fremder in seinem eigenen Zelt.

Sein Weib war gefühllos wie ein Stein, sein Sohn (oder vielmehr der Bursche, den er zeitlebens als seinen Sohn ausgegeben hatte) ein selbstsüchtiger Geck, der mehr nach seiner Mutter kam, als es Renald je bewusst gewesen war. Um ihrer Gesellschaft zu entgehen, hatte der Baron die Nähe anderer Edler gesucht und sich an der Seite Bohemunds von Tarent einiges Ansehen erstritten. Doch Bohemund und seine Männer waren in Antiochia zurückgeblieben, anders als Renald, dem nichts anderes übrig blieb, als der Schlange und ihrer Brut zu folgen, wollte er nicht riskieren, dass sie das Geheimnis von Guillaumes Herkunft offenbarten und den Baron zudem auch des Mordes an seinem Bruder bezichtigten. Beides hätte seinen Namen und seine Ehre auf alle Zeit vernichtet.

So war Renald also wieder allein, ein einsamer Mann, der das Gefühl hatte, feindliches Territorium zu betreten, sobald er das Zelt betrat, das seiner Familie als Obdach diente.

Er trat in das Vorzelt, griff in die mit Wasser gefüllte Schüssel und wusch sich den Staub aus dem Gesicht, der in diesem Land allgegenwärtig zu sein schien – als er aus dem Hauptraum des Zeltes Stimmen vernahm. Sie unterhielten sich nur flüsternd, so als wäre das, was sie zu sagen hatten, nicht für fremde Ohren bestimmt – woraufhin der Baron nur noch aufmerksamer lauschte.

»Gestohlen? Was heißt das?«

»Das heißt, dass ich sie nicht mehr finden kann. Die Schriftrolle ist wie vom Erdboden verschluckt.«

»Und Ihr vermutet, dass sie gestohlen wurde?«

»Allerdings! Ich habe sie gehütet wie meinen Augapfel, bis vor ein paar Tagen.«

»Was ist geschehen?«

»Man rief mich, einem Sterbenden die Beichte abzunehmen, aber als ich hinkam, war sein Leichnam bereits erkaltet.«

»Also eine Falle?«

»Das nehme ich an. Zwar bemerkte ich erst am nächsten Tag, dass das Buch verschwunden war, aber ich bin mir dennoch sicher, dass ein Zusammenhang besteht. Und ich glaube auch zu wissen, wer der Dieb gewesen ist.«

»Wer?«

»Der Einzige, der außer mir das Geheimnis kennt.«

De Rein hörte begierig zu. Flüsternde Stimmen waren wenn überhaupt nur an ihrer Eigenheit zu sprechen zu unterscheiden, dennoch war er überzeugt, dass eine davon seinem Weib Eleanor gehörte. Bei der anderen war er sich nicht sicher, aber er vermutete, dass es sich um den Benediktinermönch handelte, der seit einiger Zeit ein und aus ging. Angeblich, damit er für Eleanors Seelenheil betete, aber Renald vermutete, dass es dabei um ganz andere, sehr viel weniger spirituelle Dinge ging.

»Ihr meint den Angelsachsen Conwulf?«, hörte er sie fragen.

»Ja, Mylady. Zufällig habe ich erfahren, dass er früher ein Dieb gewesen ist. Er weiß also, wie man es anstellt, sich unbemerkt anderer Menschen Besitz anzueignen.«

»Und Ihr nehmt an, dass er auf dem Weg nach Acre ist?«

»Ja, Mylady. Da er des Hebräischen nicht mächtig ist, braucht er jemanden, der ihm die Schrift entschlüsseln kann. Also wird er nach Acre gehen und die Jüdin fragen.«

»Dann müssen wir unsere Pläne ändern. Guillaume muss eingeweiht werden. Und wir müssen rasch handeln, oder alles wird verloren sein.«

Renalds Stirn legte sich in Falten.

Wovon, zum Henker, sprach seine Frau?

Sein argwöhnischer Geist witterte eine neue Verschwörung, auch wenn er nicht zu sagen vermochte, wie die Dinge zusammenhingen.

Noch nicht.

»Guillaume wird wissen, was zu tun ist«, flüsterte Eleanor. »Und er verfügt über die Mittel, es auch in die Tat umzusetzen.«

»Ihr sprecht von der Bruderschaft, nicht wahr?«

»Was wisst Ihr darüber?«

»Was man allenthalben zu hören bekommt … und dass viele sie beinahe so sehr fürchten wie die Sarazenen.«

»Gut so. Furcht ist das rechte Mittel, um sich die Menschen zu unterwerfen. Sitzt er erst als König auf dem Thron von Jerusalem, kann Guillaume sich Milde leisten – besteigen kann er ihn jedoch nur mit unnachgiebiger Härte.«

»Aber was werden die anderen Fürsten sagen?«

»Graf Raymond hat schon in Antiochia bewiesen, dass er nur zu gern bereit ist, unseren Worten Glauben zu schenken. Bohemund hat sich mit Antiochia begnügt und stellt keine Gefahr mehr dar, ebenso wenig wie Balduin von Boulogne, der sich Edessas bemächtigt hat. Godefroy von Bouillon und Robert von Flandern werden fraglos Einwände vorbringen, aber es wäre nicht das erste Mal, dass sie sich dem Druck ihrer Soldaten beugen – und die Massen werden auf unserer Seite sein, wenn bekannt wird, welchen unermesslichen Schatz wir in unseren Händen halten. Und was unseren Herzog Robert von der Normandie betrifft, so wurde für ihn bereits gesorgt.«

Renald de Rein hielt den Atem an.

Mit wachsender Bestürzung hatte er den Worten seiner Gemahlin gelauscht. Ihr Hunger nach Macht und Geltung schien wahrhaft unermesslich zu sein.

Königreich Jerusalem!

De Rein hielt es nicht mehr aus.

Mit einer energischen Bewegung riss er den Vorhang zur Seite und trat in den dahinterliegenden Hauptraum des Zeltes. Ein einziger Blick genügte ihm, um zu sehen, dass er recht gehabt hatte. Eleanor war tatsächlich in Gesellschaft des Mönchs Berengar. Auch ihr persönlicher Leibwächter Eustace de Privas war zugegen, der ihr hörig war wie ein Hund seinem Herrn.

»Du bist wahsinnig, weißt du das?«, fuhr Renald seine Gattin an. Die beiden Männer würdigte er keines Blickes. »Diesmal willst du zu viel, Weib! Du wirst auf dem Scheiterhaufen enden!«

»Ihr habt uns belauscht?«, fragte Eleanor gelassen. Der Mönch an ihrer Seite war vor Entsetzen wie versteinert.

»In der Tat – und deshalb weiß ich, dass du den Verstand verloren hast. Genügen die Ränke nicht, die du bereits gesponnen hast? Sind Mord, Verrat und Lüge nicht genug?«

»Seid vorsichtig, mein Gemahl«, riet sie ihm mit einem Seitenblick auf Berengar.

»Kennt dein Ehrgeiz keine Grenzen? Willst du deinen missratenen Abkömmling nun auch noch zum König krönen?«

»Ich bin seine Mutter«, erwiderte sie, als würde das alles erklären. »Ich will nur das Beste für ihn.«

»Nein, du willst nur das Beste für dich selbst! Jedes Mal, wenn der Junge aus deinem Schatten zu treten und auf eigenen Beinen zu stehen drohte, hast du einen neuen Plan entwickelt, um ihn dir hörig und von dir abhängig zu machen – genau wie jenen Affen dort«, er deutete auf Eustace, »der das Maul kaum noch aufmacht, seit er in deiner Nähe ist.«

»Immer noch besser, als ständig von Euch gescholten und kleingehalten zu werden. Glaubt Ihr, das hat Guillaume gefallen?«

»Mir ging es nie darum, sein Gefallen zu erregen, sondern darum, ihn zum Mann zu machen.«

»Zum Mann?« Eleanor lachte auf. »Und das sagt ausgerechnet Ihr? Wenn Ihr ein Mann wärt, Renald de Rein, hättet Ihr selbst für einen Erben gesorgt, statt Euren Bruder damit zu beauftragen!«

»Schweig, Weib«, knurrte Renald und griff zur Waffe.

»Warum? Ertragt Ihr die Wahrheit nicht?«

»Schweig, sage ich.« Die Rechte des Barons schloss sich um den Schwertgriff und zog daran. Blanker Stahl kam zum Vorschein.