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»Wollt Ihr mich töten? Vor einem Ordensmann als Zeugen?« Eleanor schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass Euch eine solche Sünde jemals vergeben würde, mein Gemahl!«

De Rein zögerte.

Alles an ihr – ihre abweisende Kälte und ihre Durchtriebenheit, das falsche Lächeln in ihrem Gesicht, die Art, wie sie ihn ansah und das Wort »Gemahl« aussprach – schrie geradezu danach, vom Angesicht der Erde getilgt zu werden.

»Haltet ein, Herr, ich bitte Euch!«, ergriff nun der Mönch Berengar das Wort. »Ihr könnt nicht wissen, worum es Eurer Gemahlin geht. Als bescheidener Diener der Kirche war es mir vergönnt, eine Entdeckung zu machen, die die Menschheitsgeschichte verändern könnte.«

»Ist das so?« Der Baron schürzte abschätzig die Lippen. »Und warum seid Ihr dann hier, Pater, wenn Ihr ein Diener der Kirche seid? Ich will es Euch sagen – weil sie Euch mit ihren Ränken und ihrem Gift umgarnt hat.«

»Nein, Herr. Das ist nicht der Fall.«

»Dann habt Ihr ebenso den Verstand verloren wie sie.«

Eleanor lachte erneut. »Das würdet Ihr nicht sagen, wenn Ihr wüsstet, was uns zu Gebote steht, mein kleingeistiger Gemahl. Denn womöglich handelt es sich um die mächtigste Waffe, die Menschen je in ihren Händen hielten. Doch um sie zu benutzen, muss man Mut besitzen, Renald – mehr Mut, als Ihr jemals haben werdet. Obwohl Ihr wisst, dass ich Euch schaden will, obschon Ihr ahnt, dass ich Euch aus tiefstem Herzen verabscheue, habt Ihr es vorhin nicht über Euch gebracht, mich zu töten. Glücklicherweise bin ich in diesen Belangen weniger zögerlich.«

De Rein, bestürzt über die Offenheit ihrer Rede, sah, wie sie kaum merklich nickte, so als gäbe sie ein Zeichen. Er nahm noch wahr, dass Eustace de Privas nicht mehr dort stand, wo er die ganze Zeit über gewesen war, aber er kam nicht mehr dazu, daraus eine Folgerung zu ziehen – denn in diesem Augenblick hatte er das Gefühl, als würden ihm Brust und Rücken auseinandergerissen.

Überwältigender Schmerz durchzuckte ihn, ließ ihn wanken, und voller Entsetzen starrte der Baron auf die blutige Schwertspitze, die man mit derartiger Wucht in seinen Rücken getrieben hatte, dass sie unterhalb des Brustbeins wieder ausgetreten war.

Ein Ächzen entfuhr ihm, und er schaute auf, starrte ungläubig in die bleichen, reglosen Züge seiner Gemahlin.

»Denselben Blick«, stellte sie ungerührt fest, »habe ich auch in den Augen Eures Bruders gesehen – kurz bevor ich das Seil durchschnitt und er in die Tiefe stürzte.«

Renald wollte etwas erwidern, aber er war nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken hervorzubringen. Die Beine wurden ihm weich, und er stürzte, als Eustace de Privas die Klinge herauszog.

Der Baron de Rein, der an der Seite von König William gekämpft und an der Eroberung Englands teilgenommen, der gegen Briten und Pikten gekämpft hatte und dessen Burg und Ländereien im fernen Northumbria lagen, verblutete auf fremdem Boden, niedergestreckt von feiger Mörderhand.

Und ein Mönch namens Berengar, der fassungslos dabeistand, bekam erstmals vor Augen geführt, mit wem er sich eingelassen hatte.

17.

Lager der Kreuzfahrer, Akkar

Ende April 1099

»De Rein ist tot? Weißt du das mit Gewissheit?«

Baldric, der zusammen mit Conn von seiner Wachschicht im vordersten Belagerungsring zurückkehrte, schaute Bertrand prüfend ins Gesicht. Die Frage war berechtigt, denn in den Zügen des gedrungenen Normannen spiegelte sich noch immer der Wein, den er am Vorabend mit anderen Kämpen von Herzog Roberts Haufen getrunken hatte.

»Ich kann nur sagen, was ich gehört habe«, berichtete Bertrand, der sich mit einer Hand den noch schmerzenden Schädel hielt. »Ein Soldat aus Renald de Reins Gefolge erzählte mir, dass der Baron vor einigen Tagen dahingeschieden sei.«

»Woran ist er gestorben?«, wollte Conn wissen.

»Es heißt, er wäre vom Pferd gestürzt. Aber wer den alten Mistkerl kannte, der weiß, dass er nicht so leicht aus dem Sattel kippte.«

»Bertrand«, ermahnte Baldric ihn. »Sprich nicht respektlos von einem Toten.«

»Und das sagst ausgerechnet du? Nach allem, was er dir angetan hat?« Bertrand schüttelte das gelockte Haupt. »Tut mir leid, Baldric, aber Renald de Rein wird dadurch, dass er gestorben ist, um keinen Deut besser. Ganz im Gegenteil – die Sonne scheint ein wenig heller, und die Vögel singen ein wenig lauter, seit er nicht mehr unter uns weilt.«

»Versündige dich nicht«, riet Baldric dem Freund und nahm selbst seinen Helm ab, um sich zu bekreuzigen. »De Rein stand bereits vor seinem Richter. Wollen wir hoffen, dass er ihm gnädig war.«

Conn hörte zu und wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte nicht nur de Reins Herrschsucht und Grausamkeit kennengelernt, sondern eine Zeitlang auch in dessen Gunst gestanden. Dennoch hatte er nicht das Gefühl, dem Baron etwas schuldig zu sein, und aus seiner Sicht wäre es Heuchelei gewesen, den Herrn um sein Seelenheil zu bitten. Im Lauf seines Lebens hatte Renald de Rein unzählige Sünden auf sich geladen, nun hatte ihn die Last dieser Sünden ereilt. Für Conn war viel bedeutsamer, welche Folgen sich aus de Reins Tod ergaben.

»Dann wird Guillaume der neue Baron. Das heißt, dass er noch mehr Macht und Einfluss gewinnt«, sagte Conn.

»So ist es«, stimmte Bertrand zu, »deshalb gibt es Gerüchte, die besagen, dass der Baron nicht ganz zufällig aus dem Leben geschieden ist. Einige seiner Leute haben Guillaume im Verdacht, dabei ein wenig nachgeholfen zu haben. Andere verdächtigen Renalds Ehefrau Eleanor … Vielleicht sollten wir unseren Freund Berengar fragen.«

»Was meinst du damit?«, erkundigte sich Conn.

»Berengar hat die Totenmesse gelesen, als man den Baron gestern beisetzte. Wie es heißt, steht er der Baronin nahe.«

Diese Nachricht erregte Conn ungleich mehr als die Nachricht von de Reins plötzlichem Ableben. Was, in aller Welt, hatte Berengar mit den de Reins zu schaffen? Conn ahnte, dass es auf diese Frage nur eine Antwort gab.

Er erinnerte sich deutlich an die Worte Bischof Adhémars, der sich vor den Sektierern um Guillaume de Rein gefürchtet hatte. Was, wenn Berengar deren Nähe gesucht hatte, um doch noch die Möglichkeit zu bekommen, nach der verschollenen Lade zu suchen? Und was, wenn sich Renald de Rein dabei schlicht als Hindernis erwiesen hatte? Conn war sicher, dass Guillaume auch nicht vor Vatermord zurückschreckte, um in den Besitz eines solch kostbaren Schatzes zu gelangen.

Der Gedanke entsetzte ihn so sehr, dass Baldric es ihm ansah.

»Alles in Ordnung, Junge?«

»Natürlich.«

»Was denn?«, feixte Bertrand. »Du wirst dem alten de Rein doch nicht etwa nachweinen, nachdem er dich öffentlich verprügeln ließ und dir um ein Haar das halbe Augenlicht genommen hätte?«

»Das ist es nicht.« Conn schüttelte den Kopf, während sich die Gedanken in seinem Kopf eine wilde Jagd lieferten.

Das Buch von Ascalon.

Das Siegel Salomons.

Die Bundeslade.

Conn spürte plötzlich die Last der Verantwortung auf seinen Schultern und bekam eine Ahnung davon, wie Chaya sich gefühlt haben musste. Sein prüfender Blick glitt von seinem Adoptivvater zu Bertrand – und er beschloss, dass es Zeit war, sein Schweigen zu brechen.

Guillaume de Rein machte kein Hehl aus seinen Empfindungen. Einem Spiegel gleich gaben seine Züge all die Empfindungen wieder, die er in diesen Augenblick in seinem Innersten hegte.

Genugtuung, Habgier, Stolz – und ein Verlangen nach Macht, wie er es noch nie zuvor empfunden hatte, wohl weil er der Verwirklichung all seiner Träume noch nie so nahe gewesen war.

Nicht nur, dass jener grässliche Mensch, der sich sein Vater genannt und ihn sein Leben lang gehemmt hatte, endlich gestorben war; was seine Mutter und der Mönch Berengar ihm soeben eröffnet hatten, übertraf alles, was er sich je erhofft und erträumt hatte!