Выбрать главу

»Die Dinge, von denen du sprichst, sind vor langer Zeit geschehen. Weder bin ich ein Gelehrter noch ein Mann der Kirche, aber auch ich weiß, dass die Lade des Bundes von unermesslichem Wert ist und dass es kein Zufall sein kann, wenn sie in diesen Tagen auftaucht, da wir unseren Fuß auf heiligen Boden setzen. Es muss etwas zu bedeuten haben, Conwulf. Der Herr wollte, dass du von der Lade weißt. Und Er will auch, dass du dich dieser Verantwortung stellst.«

Baldrics Worte hatten Conn genau dort getroffen, wo seine Zweifel saßen. Er hatte geglaubt, dass sich mit dem Tode Bischof Adhémars die Sache für ihn erledigt hätte und er sich der Aufgabe nicht zu stellen bräuchte. Sein Gewissen jedoch hatte ihn über all die Monate nicht zur Ruhe kommen lassen. Sein Körper war geheilt, und durch die endlosen Waffenübungen zu Fuß und zu Pferde, die Baldric ihm den Winter über hatte angedeihen lassen, war Conn gestählt aus jenen Tagen hervorgegangen, in denen sein Leben am seidenen Faden gehangen hatte. Sein Gewissen jedoch hatte tiefe Narben davongetragen – und in dem Augenblick, da er von Berengars Nähe zu den de Reins erfuhr, waren sie aufgebrochen wie eine alte schwärende Wunde.

»Was soll ich tun, Vater?«, hatte er Baldric gefragt.

»Was der Herr dir aufgetragen hat. Gehe nach Jerusalem und suche, was seit langer Zeit verschollen ist. Es ist dir bestimmt.«

»Aber ich weiß nicht, wo ich suchen soll. Weder befindet sich das Buch von Ascalon in meinem Besitz, noch wäre ich in der Lage, seine Hinweise zu deuten. Nur Berengar kann es, und er hat sich mit meinen Todfeind verbündet. Wenn Guillaume de Rein in den Besitz der heiligen Lade gelangt, wird er sie zu seinen Zwecken missbrauchen.«

»Da dies nicht geschehen darf, bleibt dir nur eine Wahl. Aber das hast du ja vermutlich schon die ganze Zeit über gewusst, nicht wahr?«

Conn hatte es gewusst.

Es war der Grund dafür, dass sein Ritt ihn nicht unmittelbar nach Jerusalem, sondern als Pilger getarnt an der Meeresküste entlang über Sidon und Tyros nach Acre geführt hatte. Chaya war hier, und ohne ihre Hilfe konnte er seine Mission nicht erfüllen.

Es war seine Chance.

Und seine Buße.

Als er sein Pferd die Straße hinunter- und auf das große Stadttor zulenkte, spürte er, wie sich das Kribbeln in seinem Bauch verstärkte. Er war nun fast da. Anders als Antiochia war Acre nicht von Land umgeben, sondern lag unmittelbar am Meer, zu dem es sich in einem weiten, von Felsen gesäumten Hafen öffnete. Wind zerrte beständig an den Mauern und Türmen und hatte das graue Gestein verwittern lassen, die Luft roch nach Salz und Seetang.

Da die Stadt – wie die meisten Küstensiedlungen Palästinas – nicht dem Herrschaftsbereich des seldschukischen Sultans angehörte, sondern dem des in Ägypten residierenden Kalifen, lag sie mit den Kreuzfahrern nicht im Krieg; Conn durfte das Stadttor ungehindert passieren, allerdings entgingen ihm nicht die misstrauischen Blicke, mit denen die Wachen ihn beäugten. Händler aus dem Norden waren selten geworden in diesen Tagen, Pilger noch viel seltener.

Obwohl die Fatimiden noch nicht recht daran glaubten, dass die Kreuzfahrer bis in ihren Einflussbereich vordringen könnten, entging Conn nicht, dass Vorbereitungen zur Verteidigung getroffen wurden. Überall in den Straßen, die sich zwischen den terrassenförmig angelegten und von hohen Kuppeln bedachten Häusern erstreckten, waren Bewaffnete anzutreffen, nicht nur Soldaten der örtlichen Garnison in ihren orangefarbenen Mänteln, sondern auch Angehörige der Bürgerwehr. Und auf den Mauerzinnen sah Conn, wie Steinschleudern errichtet wurden und andere, eigenartig anmutende Gebilde, deren Bestimmung er jedoch nicht erkennen konnte. Womöglich, sagte er sich schaudernd, dienten sie dazu, vernichtendes naft auf etwaige Angreifer zu schleudern – das gefürchtete Griechische Feuer.

»Ich werde gehen, Vater«, hatte Conn Baldric seinen Entschluss mitgeteilt. »Ich werde gehen und mich dem Schicksal stellen.«

»Aus welchem Grund, Conwulf? Dem Allmächtigen zu Ehren? Um dich an Guillaume de Rein zu rächen? Oder weil du dir erhoffst, in Chayas Augen Verzeihung zu finden?«

Die Antwort auf diese Frage hatte Conn noch immer nicht gefunden, denn in seinen Augen hing all dies untrennbar zusammen. Er hatte gelobt, Nias Tod zu rächen, aber im Angesicht Gottes würde er nur dann Vergebung finden, wenn auch Chaya ihm verzieh – und es konnte kein Zufall sein, dass all dies zusammenfiel.

Die Lade war der Schlüssel.

»Ich werde nicht versuchen, dich aufzuhalten, Sohn. Niemand soll sagen, dass der alte Baldric nicht aus seinen Fehlern lernt, deshalb werde ich dich diesmal nach Kräften unterstützen. Ich werde dir helfen, zurückzubekommen, was dein ist. Und ich werde dich nach Acre begleiten. Ich bin schon einmal dort gewesen und kenne den Weg.«

»Nein, Vater!«

»Willst du meine Hilfe abweisen? Nachdem sie dir in der Vergangenheit stets so gelegen kam?«

Natürlich hatte Baldric recht gehabt. Oft genug hatte Conn in der Vergangenheit nur deshalb überlebt, weil sein Adoptivvater ihm im entscheidenden Augenblick zur Seite stand, einem Schutzengel gleich, den der Herr ihm gesandt hatte. Dieses Mal jedoch wollte Conn allein gehen – nicht aus falsch verstandenem Stolz, sondern weil er nicht wollte, dass Baldric sich seinetwegen in Gefahr brachte. Es war Conn gewesen, der Chayas Nähe gesucht und Berengar damit auf die Spur des Buchs von Ascalon gebracht hatte – also hatte allein er auch die Folgen zu verantworten.

»Und du bist sicher, dass du das wirklich tun willst?«, hallte die Frage erneut durch sein Bewusstsein.

Nein, Conn war sich nicht sicher, noch nicht einmal jetzt, da er vom Rücken seines Pferdes gestiegen war und es am Zügel durch immer schmaler werdende Gassen führte, dem jüdischen Viertel entgegen. Dennoch war er aufgebrochen, des Nachts und ohne Baldric darüber in Kenntnis zu setzen – genau wie Chaya es getan hatte, damals vor Antiochia. Nun endlich konnte er sie verstehen und hoffte, dass auch Baldric ihn recht verstehen würde.

Acre schien geradewegs aus den Felsen geschlagen worden zu sein, die sich entlang der Küste erhoben – ein Meer aus steinernen Häusern, zwischen denen sich steinerne Brücken spannten. Die Gassen selbst wurden von ausladenden Vordächern beschattet, sodass auch am hellen Tag schummriges Halbdunkel herrschte. Ladenhöhlen säumten die Gassen, in denen Menschen mit von Sonne und Wind gegerbten Gesichtern und Turbanen auf den Köpfen kauerten, und viele der Waren, die von ihnen feilgeboten wurden, hatte Conn noch nie gesehen.

Er fand die Synagoge, einen unscheinbaren, im alten Teil der Stadt gelegenen Bau. Das Haus des Tuchhändlers befand sich in unmittelbarer Nähe. Als Conn es erreichte, vernahm er das Geschrei eines Säuglings, das aus einem der halbrunden Fenster drang. Sein Herz klopfte unwillkürlich schneller.

Was dann geschah, bekam er nur am Rande mit.

Nun, da er ihre Nähe bereits fühlen konnte, fieberte er dem Wiedersehen mit Chaya so gespannt entgegen, dass alles andere darüber an Bedeutung verlor. Wie würde sie reagieren? Würde sie sich über seinen Besuch freuen? Und was würde sie sagen, wenn er ihr die Wahrheit gestand? Weder nahm Conn bewusst wahr, wie man ihm die Tür öffnete, noch wie er über eine schmale steinerne Treppe nach oben stieg. Seine Zeit ging erst weiter, als er in einer unscheinbaren kleinen Kammer stand und Chaya in die Augen blickte.

Weder um der Gerechtigkeit noch um seines Schicksals willen hatte er den weiten Weg auf sich genommen, das wurde ihm in diesem Moment klar. Er war einzig und allein ihretwegen hier.