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»Conn!«

Sie kam auf ihn zu und fasste seine Hände. Als er allen früheren Beteuerungen zum Trotz Wiedersehensfreude in ihren Augen aufflackern sah, zog er sie an sich und küsste sie. Von der Macht des Augenblicks überwältigt, erwiderte sie seine Zärtlichkeit, bis ihr zu dämmern schien, was sie tat – und sie sich abrupt von ihm löste.

»Woher …?«, fragte sie, mit bebenden Händen nach ihren Lippen tastend, so als hätten sie eine verbotene Frucht gekostet.

»Aus Akkar«, gab Conn zur Antwort. Er konnte ihr ansehen, wie bestürzt und verwirrt sie war, und es tat ihm leid. Anders als er hatte sie keine Zeit gehabt, sich auf dieses Treffen vorzubereiten.

»Akkar«, wiederholte sie verständnislos.

»Die Kreuzfahrer haben Antiochia verlassen und sind weiter nach Süden gezogen. Ihr Ziel ist Jerusalem.«

»Ich weiß. Ich habe davon gehört, aber ich …«

Sie unterbrach sich, als plötzlich helles Geschrei erklang. Erst jetzt sah Conn die kleine Wiege, die ganz hinten in der Kammer stand. Mit aufgeregt pochendem Herzen trat er vor, um einen Blick auf das Kind zu erhaschen, das darin lag.

Sein Kind …

Conn wusste nicht, ob der strampelnde Knabe, der seine Hände zu kleinen Fäusten geformt hatte, ihm in irgendeiner Weise ähnlich sah. Aber eine Woge der Zuneigung erfasste ihn, als er das kleine Geschöpf erblickte.

»Willst du ihn halten?«, fragte Chaya leise.

Conn nickte zögernd, worauf sie sich hinabbeugte und das Kind aus der Wiege nahm. Im nächsten Moment hielt Conn den Kleinen selbst im Arm.

»Mein Kind«, flüsterte er und merkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten, überwältigt von dem kleinen zerbrechlichen Wesen, das zu ihm heraufschaute.

Chaya beobachtete Conn, der Anblick schien sie glücklich und traurig zugleich zu machen.

»Geht es dir gut?«, fragte sie.

»Ja, was ich nur dir verdanke.«

»Du bist gekommen, um dich zu bedanken?«

Er küsste das Kind sanft auf die Stirn, dann gab er es ihr zurück. »Ja und nein. Ich bin hier, weil ich dir etwas gestehen muss, Chaya. Es wäre einfacher, es dir zu verschweigen, denn vermutlich würdest du die Wahrheit niemals erfahren. Aber das will ich nicht.« Er schaute sie direkt an. »Ich will ehrlich zu dir sein. Das bin ich dir schuldig nach allem, was du für mich getan hast.«

»Du machst mir Angst, Conn«, gestand sie, während sie den Knaben sanft zurück in die Wiege bettete. »Wovon sprichst du?«

»Das Buch von Ascalon. Ich weiß, wo es ist.«

»Du weißt es?«

Conn nickte. Ihr Blick war so voller Unverständnis, dass ihm das Weitersprechen schwerfiel. »Dies zu erfahren wird nicht einfach für dich sein, aber ich bitte dich, mich zu Ende berichten zu lassen.«

Nun war es Chaya, die wortlos nickte. Die Zuneigung jedoch, die Conn eben noch in ihren Zügen zu erblicken glaubte, war blanker Verunsicherung gewichen.

»In jener Nacht, der Nacht vor dem Abschied, als wir am Strand zusammen waren, hat jemand unser Vertrauen und unsere Freundschaft auf schändliche Weise missbraucht. Heimlich hat er uns beobachtet, sich dann im Schutz der Nacht angeschlichen und das Buch an sich genommen.«

»Wer?«, fragte Chaya, ihrer Zusicherung zum Trotz.

»Berengar. Er hatte dich beobachtet und wusste von dem Buch. Und als der Augenblick günstig war, hat er es gestohlen.«

»Also doch«, sagte Chaya voller Bitterkeit.

»Ich wusste nichts davon. Als ich Berengar deswegen zur Rede stellte, hat er mich dreist belogen …«

»… und du hast ihm geglaubt?«

»Warum auch nicht? Ich glaubte, Berengar wäre mein Freund. Außerdem ist er ein Mann der Kirche.«

»Hättest du ihm auch geglaubt, wenn er ein Jude wäre?«, fragte Chaya spitz und machte damit klar, dass es im Grunde um sehr viel mehr ging als um den Streit zweier Menschen.

Conn biss sich auf die Lippen. Es stimmte, er war nur zu bereit gewesen, Berengars Worten Glauben zu schenken. Aber dafür gab es Gründe, und sie hatten nichts mit Religion zu tun. »Ich wusste nicht, was ich denken sollte«, verteidigte er sich. »Immerhin warst du über Nacht verschwunden, ohne ein Wort des Abschieds oder …«

»Das ist nicht wahr!«, widersprach sie heftig. »Als ich das Lager verließ, traf ich Berengar, und ich bat ihn, dir auszurichten …« Die Worte erstarben ihr auf den Lippen, als ihr aufging, wie töricht und naiv sie gewesen war. »Er hat nichts gesagt, oder?«

»Nein«, gestand Conn ein, während ihn ohnmächtiger Zorn auf den Benediktinermönch packte. Nicht nur, dass Berengar ihn dreist bestohlen und hintergangen hatte – er hatte ihn auch in seinem Sinne beeinflusst und ihn in gewisser Weise gezwungen, zwischen Chaya und ihm zu wählen. Und ob bewusst oder unbewusst, Conn war darauf eingegangen.

»Was geschehen ist, ist geschehen«, sagte er leise, »ich kann es nicht mehr verhindern. Aber ich kann versuchen, das entstandene Unrecht wiedergutzumachen.«

»Wie?«, fragte sie. »Du hast doch überhaupt keine Ahnung, worum es in dem Buch eigentlich …«

»Um ein Geheimnis aus alter Zeit«, fiel Conn ihr ins Wort. »Um einen Schrein, gebaut, um den Bund zwischen Gott und den Menschen zu besiegeln. Die Lade des Bundes.«

»Du … du weißt es?«

Chayas Unverständnis, ihre Wut und ihre Enttäuschung schlugen in Entsetzen um.

»Berengar ist eurer Sprache mächtig, wie du weißt. Er hat das Buch übersetzt und kennt das Geheimnis. Und er weiß auch, dass die darin versteckten Rätsel Hinweise auf den Verbleib der Lade geben – und er hat vor, in Guillaume de Reins Auftrag danach zu suchen.«

»Guillaume de Rein.« Sie schien sich an den Namen zu erinnern. »Das ist der Ritter, der deine Geliebte getötet hat.«

»Ja, Chaya, ein Mann ohne Gewissen. Wenn er in den Besitz der Lade gelangt …«

»… ist das Schicksal des Volkes Israel besiegelt«, flüsterte sie mit leerem Blick, der den Untergang des Hauses Jakob bereits heraufdämmern zu sehen schien. »Und ich bin schuld daran.«

»Nein«, sagte Conn entschieden. »Berengar ist es gewesen, ihn trifft alle Schuld. Aber wir können verhindern, dass er triumphiert.«

»Was willst du tun?«

»Mit deiner Hilfe selbst nach der Lade suchen und sie vor ihm finden.«

»Und dann? Willst du sie meinem Volk geben?«

»Das kann ich nicht, und wenn du das Buch gelesen hast, dann weißt du auch warum. Von einem neuen Jerusalem ist darin die Rede, von einem neuen Tempel – wenn das geschieht, so bedeutet dies, dass die Pilgerfahrt der Kreuzfahrer scheitern wird und unzählige meiner Freunde und Kameraden den Tod finden werden.«

»Also steht das Überleben meines Volkes gegen das Überleben deiner Leute«, fasste Chaya mit erschreckender Sachlichkeit zusammen.

»Nicht unbedingt. Es gibt einen dritten Weg.«

»Tatsächlich?«

»Wir könnten die Lade der Obhut der Kirche übergeben«, sagte Conn, wobei er sich darüber im Klaren war, wie irrsinnig sich dieser Vorschlag in ihren Ohren anhören musste.

Prompt lachte Chaya bitter auf. »Wo ist der Unterschied?«, fragte sie. »Die Lade des Bundes ist ein Schatz von unermesslichem Wert und eine Quelle noch größerer Macht, Conwulf! Glaubst du, eure Kirchenmänner könnten der Versuchung widerstehen, sie zu benutzen?«

»Das denke ich allerdings«, versicherte Conn in Erinnerung an Adhémars Versprechen, »denn der Kirche kann nicht daran gelegen sein, dass weltliche Fürsten von der Lade Kenntnis erlangen. Zu groß ist ihre Furcht, dadurch selbst entmachtet zu werden. Die Lade soll nach Rom gebracht und an einem geheimen Ort verborgen werden, das hat mir der Bischof von Le Puy persönlich versichert.«

»Und seinem Wort soll ich vertrauen?« Ein bitteres Lächeln spielte um Chayas Züge. »Wo ich herkomme, haben Juden den Fehler begangen, Bischöfen und anderen kirchlichen Würdenträgern zu vertrauen – und dafür mit dem Leben bezahlt. Was, denkst du, habe ich daraus gelernt?«