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»Ich weiß, dass ich viel verlange. Aber bedenke, dass auch Berengar und Guillaume de Rein auf der Suche nach der Lade sind – und sie haben das feste Ziel, sie zu ihren Zwecken zu missbrauchen. Die Zeit drängt, Chaya.«

»Was versuchst du mir zu sagen? Dass ich keine Wahl habe, als mich deinem Vorschlag zu beugen? Nachdem deine Leute es uns gestohlen haben, sollen wir Juden auf etwas verzichten, das von alters her uns gehört?«

»So habe ich es nicht gemeint«, erwiderte Conn kopfschüttelnd. Er suchte nach Worten, mit denen er seine Gedankengänge erklären, ihr seine Befürchtungen mitteilen konnte, aber er merkte, dass ihr Scharfsinn dem seinen weit überlegen war. Obschon er gewusst hatte, dass es schwer werden würde, Chaya die Wahrheit zu sagen, hatte er es sich um vieles einfacher vorgestellt.

»Wenn die Lade wirklich so mächtig ist, wie es geschrieben steht«, unternahm er einen letzten, fast verzweifelten Versuch, »dann darf sie nicht in die Hände von jemandem gelangen, der sie zu Kriegszwecken benutzt, denn nur noch mehr Tod und Sterben wäre die Folge, und das war es sicher nicht, was dein Vater wollte.«

»Sprich nicht von meinem Vater, Conn«, sagte sie ihm mit bebender Stimme. »Du hast ihn nicht gekannt.«

»Gut genug, um zu wissen, dass er ein Mann des Friedens war und dass er Menschen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe verurteilt hat oder ihrer Religion.«

»Das tue ich auch nicht«, versicherte sie.

»Ich weiß.« Conn nickte und sah ihr tief in die Augen. »Deshalb bin ich hier, und ich bitte dich, mir zu vertrauen. Die Kreuzfahrer sind auf dem Weg nach Süden. Sie werden Jerusalem einnehmen, bis dahin muss die Lade gefunden sein. Ist sie das nicht, werden Dinge geschehen, die … alle bisherigen Gräuel noch weit übertreffen werden.«

»Und – was wird aus meinem Volk?«

Conn wollte etwas erwidern, als plötzlich die Tür der Kammer aufgerissen wurde – und kein anderer als Caleb auf der Schwelle stand. Das Lächeln auf seinen Zügen erstarb, als er Conn erblickte.

»Du?«, fragte er nur. Dann griff seine Rechte auch schon nach dem Orientalenschwert in seiner Schärpe. »Was willst du hier? Hast du noch nicht genug Schaden angerichtet?«

Conn wollte sich erklären, doch der andere zückte die Klinge, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als zurückzuweichen. Unter seinem Umhang trug Conn ein kurzes Schwert, mit dem er sich verteidigen konnte, aber er wollte nicht kämpfen. Wenn er es tat, hatte er in jedem Fall verloren …

»Caleb, nicht!«, rief Chaya.

»Du hättest nicht kommen sollen, Christ«, beschied er Conn – und stieß einen lauten Schrei auf Hebräisch aus.

Daraufhin wechselten Chaya und ihr Cousin ein paar Worte in ihrer Sprache – und im nächsten Moment waren draußen auf der Gasse hektische Schritte zu hören. Conn erkannte, dass Caleb Verstärkung gerufen hatte.

»Aber nein, ihr missversteht mich!«

»Was gibt es da zu misszuverstehen, Conn?«, fragte Chaya, und es schien ihr fast das Herz aus der Brust zu reißen. »Du hast deine Entscheidung getroffen. Du weißt, auf wessen Seite du stehst – und ich weiß es auch. Verzeih mir, ich kann nicht anders.«

»Aber ich bin auf eurer Seite«, versicherte Conn, während von unten dumpfes Gerumpel heraufdrang. »Ich habe etwas dabei, das …«

Caleb rief abermals, und es waren Schritte auf den Stufen zu hören. Conn war klar, dass ihm keine Zeit mehr blieb. Entweder er verschwand, oder er würde in wenigen Augenblicken ein Gefangener sein.

Er war bereits bis zum Fenster zurückgewichen. Rasch fuhr er herum und sprang auf die Fensterbank.

»Du irrst dich in mir«, versicherte er Chaya.

»Ich fürchte nein«, erwiderte sie.

Die Tür flog krachend auf, die Wachen der Bürgerwehr stürmten herein – und Conn sprang in die Tiefe.

19.

Inzwischen war die Dunkelheit hereingebrochen, doch die Suche nach ihm dauerte noch immer an.

Conn hatte alles versucht, um in den steingrauen Gassen des jüdischen Viertels zu verschwinden, aber es war ihm nicht recht gelungen. Obschon er seinen angelsächsischen Schopf unter der Kapuze zu verbergen suchte, war er immer wieder entdeckt worden. Die Nachricht, dass sich ein Feind in der Stadt aufhielt, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, sodass ihm nicht nur mehr die Bürgerwehr auf den Fersen war.

Conn wusste nicht, was Caleb seinen Vorgesetzten erzählt hatte, aber offenbar war es genug gewesen, um seinetwegen die gesamte Garnison in helle Aufregung zu versetzen. In den Straßen und Gassen wimmelte es von Soldaten in orangefarbenen Mänteln, Bogenschützen mit hohen Turbanen auf den Köpfen besetzten die Türme und hielten mit Argusaugen Ausschau. Daran, ungesehen aus dem Viertel zu entkommen und die Stadt durch eines der Tore zu verlassen, war längst nicht mehr zu denken. Wenn Conn überhaupt noch Hoffnung hatte, seinen Häschern zu entrinnen, dann nur, indem er sich irgendwo versteckte und darauf wartete, dass der Feind die Suche aufgab. Im Augenblick allerdings schien diese Hoffnung ziemlich gering.

In eine enge Mauernische gepresst, wartete Conn ab.

Er war erschöpft vom schnellen Laufen und Klettern, sein Atem ging keuchend und stoßweise. Zweimal hatten sie ihn entdeckt, zweimal war er ihnen wieder entkommen. Das nächste Mal würde er womöglich weniger Glück haben.

Zwar verstand Conn nicht, was die Soldaten einander zuriefen, aber es klang nicht freundlich. Hin und wieder glaubte er das Wort franca zu hören, was wohl »Franke« oder ganz allgemein »Europäer« heißen sollte. Dass er kein Franke war, interessierte hier niemanden. Er war ein Fremder, ein Eindringling, und vermutlich hielten sie ihn für einen Spion der Kreuzfahrer. Darüber, was mit ihm passieren würde, wenn sie ihn fassten, machte Conn sich folglich keine Illusionen. Dennoch war er froh, allein nach Acre gekommen zu sein und nicht in Baldrics Begleitung. Das Wissen, nun auch noch seinen Adoptivvater, dem er so viel zu verdanken hatte, in die Sache hineingezogen zu haben, hätte ihn umgebracht.

Klirrende Schritte waren plötzlich zu vernehmen, die genau auf ihn zukamen. Fackelschein drang in die Gasse, dem lange, bizarr anmutende Schatten vorauseilten.

Conn musste verschwinden!

Blitzschnell löste er sich aus seinem Versteck und eilte die Gasse hinab. Dass das Licht der Fackeln ihn einen Augenblick lang streifte, konnte er nicht verhindern, und so hörte er schon im nächsten Moment heisere Rufe hinter sich.

Conn rannte, so schnell seine müden Beine ihn trugen. Der schwere Umhang um seine Schultern war ihm beim Laufen hinderlich, aber er hatte ihn behalten, weil er Schutz vor Blicken bot. Er hörte die stampfenden Schritte seiner Verfolger hinter sich, wagte jedoch nicht, sich umzusehen, aus Furcht, dabei zu viel Zeit zu verlieren.

Abrupt bog er in eine Seitengasse ab. Die Hauswände, zwischen denen sie sich hindurchwand, hatten sich einander zugeneigt, sodass sie mit hölzernen Balken gegeneinander abgestützt werden mussten. Conn folgte ihnen durch ein Gewirr von Ecken und Vorsprüngen, die Soldaten noch immer hinter sich – als die Gasse plötzlich endete.

So unvermittelt tauchte die Mauer aus dem Halbdunkel auf, dass Conn beinahe dagegengeprallt wäre. Entsetzt blieb er stehen, schaute sich nach einer Tür oder einem Fenster um, aber es gab weder das eine noch das andere. Dann der Blick nach oben – und kurz entschlossen sprang Conn hinauf, umfasste einen der Balken und zog sich daran empor.

Mit zusammengebissenen Zähnen stemmte er sich vollends hinauf – und das keinen Augenblick zu früh. Schon konnte er sehen, wie unter ihm seine mit Fackeln bewehrten Häscher das Ende der Gasse erreichten. Unter verblüfftem Geschrei blieben sie stehen, konnten sich einen Moment lang nicht erklären, wohin der Eindringling verschwunden war – bis einer von ihnen den Blick nach oben richtete und Conn gewahrte.