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»Franca!«

Conn hatte die Zwischenzeit genutzt, um sich nach einem Ausweg umzusehen. Ein Stück die Gasse hinab gab es einen Balkon, von dem aus er auf das Dach eines benachbarten Hauses gelangen konnte. Da nicht viel Zeit zum Nachdenken blieb, spurtete Conn einfach los – in riesigen Sprüngen von einem Stützbalken zum nächsten, über die Köpfe seiner verblüfften Verfolger hinweg.

Es kam ihm zugute, dass sich die Meute in der Enge der Gasse gegenseitig behinderte. Um einen Speer auf ihn zu schleudern, dazu reichte der Platz nicht aus, und bis die Bogenschützen dazu kamen, die Pfeile von den Sehnen schnellen zu lassen, hatte Conn den Balkon bereits erklommen. Er duckte sich, worauf eines der gefiederten Geschosse am Mauerwerk zerbarst; ein weiteres zuckte an ihm vorbei ins Leere. Blitzschnell federte Conn aus seiner Deckung empor, kletterte auf das flache, in der Mitte von einer Kuppel gekrönte Dach und hastete weiter. Die wütenden Rufe der Soldaten fielen hinter ihm zurück, und einen Moment lang glaubte Conn bereits, wieder aufatmen zu können – als aus der Gasse, die auf der anderen Seite des Hauses verlief, ein nicht weniger aufgeregter Schrei drang.

Sein Vorhaben, auf dieser Seite des Gebäudes wieder hinunterzuklettern, verwarf Conn rasch wieder. Stattdessen schlug er einen Haken. Ohne Anlauf zu nehmen, sprang er über eine Kluft von gut fünf Schritten auf das nächste Dach, das so flach war wie ein Tisch. Er rollte sich ab, sprang wieder auf die Beine und lief über eine Reihe aneinandergrenzender Dächer bis zu einer Palme, die sich aus einem Dachgarten erhob. Kurzerhand kletterte Conn daran herab und wollte über das steinerne Geländer einen vorsichtigen Blick in die darunter verlaufende Gasse werfen, als ihm von dort etwas entgegenkam.

Es war ein Stein, auf den Weg gebracht von der Schleuder eines Soldaten – und er traf Conn an der Schläfe.

Der Schmerz war ebenso kurz wie intensiv.

Conn merkte noch, wie er wankte, dann wurde es dunkel um ihn. Als er die Augen wieder aufschlug, konnten nur wenige Augenblicke verstrichen sein. Er fand sich auf dem Boden des Dachgartens liegend, an Händen und Füßen gefesselt, und blickte zu einem Mann auf, der mit verschränkten Armen über ihm stand und ihn argwöhnisch musterte.

Er mochte noch keine fünfzig Winter zählen; sein schwarzes Haar, soweit man es unter dem Turban sehen konnte, war von grauen Fäden durchzogen, ebenso wie der gepflegte Kinnbart. Seiner Kleidung nach gehörte er zur fatimidischen Garnison, wo er den Rang eines Unterführers zu bekleiden schien. Er fragte etwas, das Conn nicht verstand – es mochte Persisch oder Aramäisch sein, und eine Stimme, die er nur zu gut kannte, übersetzte.

»Was willst du hier?«

Conn wandte den Blick und sah Caleb neben dem Offizier stehen, ein Grinsen der Genugtuung im Gesicht. Die Erinnerung an die zurückliegenden Ereignisse war Conn sofort wieder gegenwärtig – bis hin zu dem Stein, der ihn getroffen hatte. Blut rann warm und feucht an seiner Schläfe herab. Er versuchte sich aufzurichten, aber es gelang ihm nicht, weil Caleb ihm den Fuß auf die Schulter setzte und ihn wieder zu Boden drückte.

»Hauptmann Bahram hat dich gefragt, was du hier willst«, wiederholte Chayas Cousin eindringlich.

»Du weißt, warum ich hier bin«, erwiderte Conn stöhnend.

»Warum beantwortest du seine Frage nicht?«

Caleb sprach einige Worte in einer fremden Sprache, die Conn für Aramäisch hielt, woraufhin der Hauptmann Conn prüfend musterte und dann erneut einige Worte sagte.

»Was will er?«, fragte Conn.

»Er fragt dich, ob du dir der Folgen deines Schweigens bewusst bist.«

»Ich schweige nicht«, versicherte Conn. »Sag ihm, dass ich um Chayas willen nach Acre gekommen bin. Dass sie die Mutter meines Kindes ist.«

Caleb sprach einige Worte. Ob er allerdings tatsächlich übersetzte, bezweifelte Conn ernstlich. Denn auf der dunklen Stirn des Hauptmanns bildeten sich Zornesfalten, und er stieß erneut einige unfreundlich klingende Sätze hervor.

»Hauptmann Bahram empfiehlt dir, nicht mit ihm zu spielen«, übertrug Caleb genüsslich ins Französische. »Er weiß, dass du ein Spion der Kreuzfahrer bist.«

»Woher weiß er das?«

»Weil ich es ihm gesagt habe«, erklärte Caleb grinsend.

»Warum hast du das getan?«

»Sehr einfach, Christ – weil ich Chaya liebe.«

»Ich ebenso.«

»Vielleicht. Aber deine Liebe wird sie früher oder später zerstören. Meine nicht.«

Erneut sprach er einige Worte auf Aramäisch, woraufhin Bahram barsche Anweisungen erteilte. Soldaten, die Conn bislang nicht wahrgenommen hatte, traten hinzu, packten ihn und stellten ihn unsanft auf die Beine. Conns Knie waren weich, und so wäre er um ein Haar gestürzt, wenn sie ihn nicht festgehalten hätten. Jedoch rutschte die lederne Schnur mit dem Medaillon Bischof Adhémars aus seinem Gewand hervor. Hauptmann Bahram streifte es nur mit einem flüchtigen Blick, doch etwas daran schien seine Aufmerksamkeit zu fesseln.

Er erteilte eine knappe Anweisung, worauf einer der Soldaten die Schnur kurzerhand abriss und das Medaillon dem Hauptmann reichte, der es mit einer Mischung aus Argwohn und Staunen betrachtete.

Dann fragte er etwas.

»Hauptmann Bahram will wissen, woher du das hast.«

»Von einem Freund«, erwiderte Conn ausweichend. »Es ist ein Symbol.«

»Was stellt es dar?«, fragte Caleb.

»Ein Labyrinth. Ein Irrgarten, aus dem es nur einen Ausweg gibt.«

Diesmal schien Caleb die Worte angemessen zu übertragen. Mit offenkundiger Bestürzung, deren tieferen Grund Conn nicht zu erkennen vermochte, pendelte der Blick des Hauptmanns zwischen ihm und dem Anhänger hin und her, ehe er prüfend hinauf zu den Sternen schaute. Offenbar schien er dem Medaillon besondere Bedeutung beizumessen – hatte er es womöglich schon einmal gesehen?

»Warum?«, fragte Conn, »Was ist damit?« Aber weder übersetzte Caleb seine Frage, noch wurde sie beantwortet.

Einen endlos scheinenden Augenblick lang fühlte Conn die Blicke von Bahram auf sich ruhen. Dann erteilte der Hauptmann erneut einen Befehl und Conn wurde gepackt und davongeschleppt.

20.

Nördlich von Sidon

Abend des 19. Mai 1099

Der Marsch war fortgesetzt worden.

Von Akkar aus, dessen erfolglose Belagerung man Mitte des Monats endgültig aufgegeben hatte, waren die Kreuzfahrer weiter nach Süden marschiert. Der Emir von Tripolis hatte ihnen, wohl unter dem Eindruck dessen, was in Antiochia geschehen war, nicht nur freies Geleit durch sein Gebiet zugesichert, sondern sie darüber hinaus auch mit Gold, Proviant und Geschenken überhäuft, die die Kämpfer des Herrn davon abhalten sollten, plündernd über die Ländereien des Emirs herzufallen.

Auf diese Weise war man rasch weiter vorgestoßen und hatte am Mittag jenen Wasserlauf überquert, den man »Hundefluss« nannte und der das Herrschaftsgebiet der seldschukischen Emire gegen das des Kalifen von Kairo abgrenzte. Ob von den fatimidischen Soldaten mehr Widerstand zu erwarten war als von den Türken, wusste Guillaume de Rein nicht zu sagen – sein Entschluss, nach Jerusalem zu gehen und die Macht dort an sich zu bringen, stand unverrückbar fest. Wer auch immer sich ihm in den Weg stellte, würde dafür mit dem Leben bezahlen.

Ungerührt hatte Guillaume zugesehen, wie sich das glühende Eisen in lebendes Fleisch gebohrt hatte, gleichgültig hatte er den Schreien gelauscht, die von der Decke der Höhle widerhallten, die sich ein Stück nordwestlich der Heerlagers befand. Als Anführer der Bruderschaft war er beides gewohnt, doch diesmal waren es keine neuen Waffenbrüder, die der Gemeinschaft beitreten wollten und die man dem schmerzhaften Eingangsritual unterzog.