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»Die Schriftrolle. Er weiß, dass du sie gestohlen hast. Wenn du sie ihm nicht innerhalb von zwei Tagen übergibst, wird Chaya sterben.«

Abermals schloss Conn die Augen, und größer noch als seine Empörung über Guillaume de Rein war seine Erleichterung darüber, dass Chaya noch am Leben war. Für Conn stand außer Frage, dass er das Buch von Ascalon herausgeben würde, selbst auf die Gefahr hin, dass Guillaume de Rein und seine Bruderschaft in den Besitz der heiligen Lade gerieten. Alles, was er brauchte, war die Schrift.

Conn wandte sich an Bahram und Caleb, die hinter ihm standen, der Jude wie zuvor mit unbewegter Miene, der Armenier mit einer Pergamentrolle in der Hand. Ein flüchtiger Blick genügte und Conn erkannte zu seiner Überraschung das Buch von Ascalon.

»Hauptmann Bahram kennt das Geheimnis«, sagte Caleb, wobei nicht zu erkennen war, wie er darüber dachte.

»Er kennt es? Aber woher? Wie …?«

»Chaya«, unterbrach ihn der andere. »Es war der Preis für deine Freiheit.«

Jäh erfasste Conn die bestürzende Wahrheit.

Um seine Freilassung zu erwirken, hatte Chaya Bahram das Geheimnis des Buches von Ascalon offenbart. Was ihr Vater unter Einsatz seines Lebens gehütet hatte, hatte sie preisgegeben, um Conns Leben zu retten – und war nun selbst in Todesgefahr geraten.

»Gebt mir das Buch«, sagte Conn und deutete auf die Schriftrolle.

»Wozu?«, fragte Caleb.

»Um Chaya auszulösen. De Rein will das Buch haben, also geben wir es ihm und befreien Chaya.«

»Und du glaubst, es wäre so einfach?«

Conn erhob sich. »Willst du etwa, dass sie getötet wird?«

Calebs Gesichtszüge verhärteten sich, der Schmerz war ihnen deutlich anzusehen. »Christ, wenn du nur wüsstest, was du da redest. Ich liebe Chaya nicht weniger, als du es tust, mit dem Unterschied, dass meine Liebe selbstloser ist als deine. Und könnte ich ihr Leben retten, indem ich mir hier und jetzt die Hände abhacken lasse, so würde ich es ohne Zögern tun. Aber das Buch von Ascalon kann ich dir nicht geben.«

»Darüber hast du nicht zu entscheiden.«

»Das ist wahr«, gestand Caleb mit bebender Stimme. »Aber Hauptmann Bahram versteht eure Sprache nicht, also wird er nach dem handeln, was ich für ihn übersetze. Und wenn ich ihm sage, dass du das Buch für die Kreuzfahrer in Besitz nehmen willst …«

»Das darfst du nicht!«, fiel Conn ihm ins Wort. »Damit verurteilst du Chaya zum Tod!«

»Habe ich denn eine andere Wahl?« Calebs Stimme hatte einen brüchigen, fast weinerlichen Ton angenommen. »Dieses Buch ist alles, was meinem Volk geblieben ist, seine Hoffnung und seine Zukunft! Über die Jahrtausende wurde es bewahrt – soll ausgerechnet ich derjenige sein, der es an unsere Feinde ausliefert? Soll ich das Wohl eines ganzen Volkes verraten, um eine einzelne Person zu retten?«

»Diese einzelne Person hat das Buch überhaupt erst hierhergebracht. Ohne Chayas Mut und ihren selbstlosen Einsatz gäbe es längst keine Hoffnung mehr.«

Caleb erwiderte nichts, aber sein Mienenspiel verriet, dass er Conn im Grunde recht gab, sein Pflichtgefühl ihn jedoch davon abhielt, ihm zuzustimmen. Bahram fragte etwas in seiner Sprache, und Caleb antwortete. Wahrscheinlich erkundigte er sich, worum die beiden so leidenschaftlich stritten.

»Bitte, Caleb, sag Hauptmann Bahram, dass ich ins Lager der Kreuzfahrer zurückkehren muss. Und dass ich das Buch brauche, um Chaya zu retten.«

»Nein.« Der andere schüttelte den Kopf, Verzweiflung im Blick.

»Caleb, ich beschwöre dich! Du kannst nicht wollen, dass Chaya einen so sinnlosen Tod stirbt!«

»Natürlich will ich das nicht«, schrie Caleb. »Aber ich kann dich auch nicht einfach mit dem Buch ziehen lassen, Christ, verstehst du das nicht?«

»Und wenn ich dir verspreche, dass ich alles daransetzen werde, dass die Schriftrolle nicht in Guillaumes Besitz verbleibt?«

»Was meinst du damit?«

Conn lächelte schwach. »Ich bin ein Dieb, wie du weißt. Was mir einmal gelungen ist, gelingt mir womöglich auch ein zweites Mal.«

»Warum solltest du das tun?« Der Jude funkelte ihn wütend an. »Wenn Hauptmann Bahram dir das Buch gibt, hast du doch alles, was du jemals wolltest, oder nicht? Nenne mir einen guten Grund, warum du nach Acre zurückkehren solltest.«

»Guillaume de Rein ist mein Feind, Caleb, nicht weniger als der eure. Auch ich will nicht, dass die heilige Lade in seinen Besitz gelangt, und ich werde alles tun, um es zu verhindern. Darauf gebe ich dir mein Wort.«

»Wenn uns die Geschichte eines lehrt, dann dass das Wort eines Christen nichts wert ist«, antwortete Caleb.

»Dann werde ich eben hierbleiben«, knurrte Baldric, der sich zwar nicht an dem Wortwechsel beteiligt, ihn aber genau verfolgt hatte. »Als lebendes Unterpfand für Conns Rückkehr.«

»Nein, Vater!«, verwehrte sich Conn entschieden.

»Ich werde hierbleiben und auf deine Rückkehr warten«, erklärte der Normanne schlicht. »Ich vertraue dir, Sohn.«

»Das weiß ich, Vater. Aber …«

»Ich vertraue dir«, sagte Baldric noch einmal, und das eine Auge schaute Conn durchdringend an. »Weißt du noch, was ich dir über mich erzählt habe? Über meine Vergangenheit?«

Conn nickte.

»Dies ist die Stunde, auf die ich gewartet habe, Conwulf«, erklärte Baldric. »Meine Bewährung.«

Die Entschlossenheit in den Gesichtszügen seines Adoptivvaters machte Conn klar, dass es sinnlos gewesen wäre zu widersprechen. Er nickte und wandte sich wieder zu Caleb um. »Wärst du unter diesen Voraussetzungen bereit, mir das Buch auszuhändigen?«

Caleb zögerte. »Darüber habe ich nicht zu entscheiden.«

»Dann sage Hauptmann Bahram, dass mein Vater mit dem Leben für die Rückkehr des Buches einsteht«, verlangte Conn entschlossen – auch wenn er in diesem Augenblick keine Ahnung hatte, wie er die vor ihm liegende Aufgabe bewältigen sollte. Nachdem er sie schon einmal bestohlen hatte, würden Berengar und Guillaume de Rein die Schriftrolle wie ihren Augapfel hüten. Ganz abgesehen davon, dass Conn Zweifel hegte, ob de Rein sich tatsächlich an die Abmachung halten und Chaya freilassen würde.

Caleb nickte langsam und begann dann zu übersetzen. Den Zügen von Bahram war nicht zu entnehmen, was er dachte. Ruhig hörte er sich an, was sein Unterführer zu sagen hatte, dabei blickte er gelegentlich auf die Pergamentrolle in seiner Hand. Nachdem Caleb geendet hatte, setzte er zu einer Antwort an, die er Satz für Satz übertragen ließ:

»Als die Jüdin Chaya mir von dieser Schrift berichtete, konnte ich zunächst nicht glauben, was sie sagte. Als Mann der Wissenschaft hielt ich die Lade stets für einen Schatten der Vergangenheit, einen Mythos – aber ich ahne nun, dass sie weit mehr ist als das. Seit geraumer Zeit beobachte ich die Sterne. Sie haben große und umwälzende Ereignisse vorausgesagt, aber erst in diesen Tagen verstehe ich, wovon sie sprachen. Noch weiß niemand in der Garnison von dem Buch. Ich habe es meinen Vorgesetzten bewusst verschwiegen, weil ich glaube, dass die Lade wichtiger ist als andere Dinge. Wichtiger als die Menschen. Wichtiger als dieser Krieg.«

»Das glaube ich auch«, erklärte Conn ohne Zögern.

»Der Hauptmann weiß, dass du so denkst«, übersetzte Caleb, nachdem Bahram erneut geantwortet hatte. »Deshalb ist er bereit, dich mit dem Buch ziehen zu lassen, wenn dein Vater für deine Rückkehr bürgt.«

»Ich danke Euch, Herr«, entgegnete Caleb und verbeugte sich tief. Als er sich wieder erhob, hielt ihm der Armenier die Rechte hin und schaute ihm direkt in die Augen.

»Du wirst noch heute aufbrechen«, sagte Caleb dazu. »Damit du deinem Feind nicht in Lumpen gegenübertreten musst, wird der Hauptmann dich mit einer Rüstung und Waffen ausstatten – und er wird für deine Rückkehr beten.«

»Danke, Herr«, sagte Conn und ergriff die Hand des Mannes, der vor wenigen Minuten noch sein Feind gewesen war.