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24.

Berge von Nakura, nördlich von Acre

23. Mai 1099

Es war eine seltsame Gestalt, die über die kargen Hügel nach Norden ritt, das Meer zur Linken und den Bergen entgegen, die sich zwischen Acre und Tyros erstreckten und ihrer treppenförmigen Anordnung wegen die »Leiter von Tyros« genannt wurden.

Auf den ersten Blick hätte man den Reiter für einen ghulam halten können, denn in seiner Kettenrüstung mit den ledergepanzerten Schulterplatten, dem leuchtend gelben Übergewand und dem Umhang aus dunkelgrüner Seide wirkte er tatsächlich wie einer jener schwergepanzerten Kämpen, die in allen muslimischen Armeen anzutreffen waren. Bei näherem Hinsehen freilich erkannte man, dass am Ende seiner aus Bambusholz gefertigten Lanze das Kreuzbanner im Wind flatterte.

Das Banner war eine Vorsichtsmaßnahme. So dankbar Conn Hauptmann Bahram dafür war, dass er ihm seine wenige Habe zurückerstattet und ihm Waffen und Rüstung gegeben hatte, so gefährlich war es andererseits, die Kleider des Feindes zu tragen. Zwar war es nicht weiter ungewöhnlich, dass christliche Ritter sich mit Ausrüstungsgegenständen ihrer Gegner ausstatteten, dennoch wollte Conn nicht Gefahr laufen, irrtümlich für einen Feind gehalten und von einem übereifrigen Posten mit Pfeilen gespickt zu werden.

Erbarmungslos trieb er den Araberhengst zur Eile an, den Bahram ihm anstelle seines eigenen Pferdes gegeben hatte. Die Hufe des Tieres schienen den sandigen Boden kaum zu berühren, so schnell galoppierten sie darüber hinweg. Conn wusste nicht genau, wo das Kreuzfahrerheer lagerte; bei Baldrics Aufbruch waren die Streiter Christi noch in der Nähe von Tyros gewesen, das einen halben Tagesritt entfernt lag. Inzwischen waren sie sicher schon weitergezogen. Wie nahe sie Acre tatsächlich bereits gekommen waren, erkannte Conn jedoch erst, als er seinen Hengst über einen ebenso schmalen wie steinigen Pfad auf einen Hügelgrat lenkte – und die Zelte gewahrte, die in der Senke unterhalb des Hügels errichtet worden waren.

Kreuzfahrer!

Die Vorhut des Heeres hatte die Leiter von Tyros also bereits erklommen und stand bereit, um gegen Acre vorzurücken. Die Zeit drängte also noch mehr, denn wer vermochte zu sagen, was aus Baldric werden würde, wenn die Kreuzfahrer erst die Stadtmauern bestürmten? Und was aus Chaya?

Der Hengst schien die Unruhe seines Reiters zu spüren, denn er bäumte sich wiehernd auf und tänzelte auch dann noch hin und her, als Conn beruhigend auf ihn einsprach und ihm den Hals tätschelte. Dann trieb er das Tier die andere Seite des Bergrückens hinab, den Zelten und seinem Schicksal entgegen.

»Du bist also tatsächlich gekommmen.«

Guillaume de Rein schien einen Anflug von Bewunderung zu empfinden, während er Conn von Kopf bis Fuß musterte. Vor allem aber war es Häme, die aus den Worten des jungen Barons sprach.

»Ja, Herr«, erwiderte Conn, wobei er sich mit aller Macht davon abhalten musste, auf seinen Erzfeind loszugehen. Zwar hatte man ihm alle seine Waffen abgenommen, sodass es wohl ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen gewesen wäre, jedoch war der Zorn, den er empfand, als er Nias Mörder Auge in Auge gegenüberstand, geradezu überwältigend.

»Um ehrlich zu sein, habe ich nicht daran gezweifelt«, tönte Guillaume, der auf einem mit kunstvollen Ziselierungen versehenen Hocker saß. »Schließlich hat unser gemeinsamer Freund Berengar mir berichtet, in welch engem Verhältnis du zu der Jüdin stehst.«

Conn würdigte den Mönch, der im hinteren Bereich des Zeltes stand, keines Blickes. Wäre es nur um den Vertrauensbruch gegangen und den Diebstahl des Buchs, hätte Conn ihm vielleicht irgendwann verzeihen können. Da er nun auch noch Chayas Leben gefährdete, war dies jedoch unmöglich geworden.

»Wo ist Chaya?«, fragte Conn.

»Sei beruhigt«, versicherte Guillaume auf seine gewohnt herablassende Art. »Sie ist in Sicherheit.«

»Ich will sie sehen.«

»Du hast nichts zu fordern, Angelsachse.«

»Dann werdet Ihr auch nichts bekommen«, entgegnete Conn ruhig.

Einen Augenblick lang wurde es still im Zelt, während die beiden Kontrahenten einander mit Blicken taxierten und Guillaume zu überlegen schien, ob er ihn auf der Stelle oder erst etwas später töten sollte.

»Wie du willst, Angelsachse«, knurrte Guillaume und machte ein nachlässige Handbewegung. Zwei seiner Ritter, die in einem Halbkreis um Conn herumstanden, verließen daraufhin das Zelt. Nur Augenblicke später kehrten sie in Begleitung einer jungen Frau zurück.

»Chaya!«

»Conn!«

Die Hoffnung, die er in ihren Augen sah, entschädigte ihn für alles. Chaya schien wohlauf zu sein. Sie war an den Händen gefesselt, aber offenbar hatten de Reins Schergen sie nicht misshandelt.

»Nun?«, erkundigte sich Guillaume. »Ich habe meinen Teil des Handels eingelöst. Nun erfülle du den deinen.«

Chaya sagte nichts, aber aus dem Augenwinkel sah Conn, wie sie sich verkrampfte. Vermutlich hatte man ihr gesagt, aus welchem Grund sie festgehalten wurde, und nun schien ihr aufzugehen, welch hoher Preis für ihre Freilassung entrichtet werden sollte.

Conn stand unbewegt. Wie lange hatte er auf eine Gelegenheit wie diese gewartet! Wie lange darauf gesonnen, Renald de Reins Sohn gegenüberzustehen und ihn für seine Untaten zu bestrafen! Doch noch war die Zeit nicht reif dafür.

Sich mit aller Macht zur Ruhe zwingend, griff Conn unter seinen Umhang und holte einen Behälter hervor, jenem nicht unähnlich, in dem auch Chaya das Buch von Ascalon einst aufbewahrt hatte. Das Siegel Salomons allerdings fehlte, denn gewöhnlich wurden Depeschen fatimidischer Boten darin aufbewahrt.

»Oh, nein, Conn«, flüsterte Chaya kopfschüttelnd. Tränen stiller Verzweiflung rannen ihr über die Wangen. »Was hast du nur getan?«

»Ich konnte nicht anders«, erwiderte er und hielt Guillaume den Köcher entgegen.

»Berengar«, sagte der Baron nur, worauf sich der Mönch in Bewegung setzte und auf Conn zutrat. Den Blick allerdings hielt er weiter gesenkt, auch dann, als er den Behälter entgegennahm. Hastig öffnete er die Verschlusskappe, entnahm ihm das Pergament, entrollte es und begann zum sichtlichen Vergnügen seines Auftraggebers darin zu lesen.

»Und?«, erkundigte sich Guillaume mit dem Lächeln des Triumphators. »Ist das der Text, der dir entwendet wurde?«

Berengar antwortete nicht sofort. Stattdessen las er noch einige Zeilen, dann übersprang er einige Abschnitte und entrollte das Buch weiter, so als suche er eine bestimmte Stelle.

»Was ist?«, fragte Guillaume ungeduldig.

»Das kann nicht sein«, stieß der Mönch hervor. Seine Hände begannen zu beben.

»Was kann nicht sein? Wovon sprichst du?«

»E-es ist nicht der richtige Text! Es ist eine Fälschung!«

»Was?«

Guillaume sprang auf. Das Siegerlächeln war aus seinen bleichen Zügen verschwunden, Mordlust loderte in seinen Augen.

»Das ist nicht wahr!«, widersprach Conn entschieden. »Dies ist die Schriftrolle, die ich aus Eurem Besitz entwendet habe!«

»Nein, sie ist es nicht.« Berengar schüttelte beharrlich das geschorene Haupt, und erstmals brachte er es über sich, Conn ins Gesicht zu sehen. »Diese Schrift ist eine Fälschung, das Pergament nicht wert, auf das sie geschrieben wurde.«

»Eine Fälschung«, echote Guillaume keuchend. »Du verfluchter Hund von einem Angelsachsen wagst es, mit einer Fälschung zu mir zu kommen? Hast du geglaubt, ich würde es nicht bemerken?«

»Ich weiß nichts von einer Fäschung«, beteuerte Conn, während er in Chayas Richtung zurückwich. Guillaumes Schergen hatten bereits ihre Klingen gezückt, sodass beide von blankem Stahl umgeben waren.

»Es ist eine Fälschung, so wahr ich vor Euch stehe, Herr«, beharrte Berengar. »Dies ist nicht das Buch, in dem ich einst gelesen habe, das schwöre ich bei meiner unsterblichen Seele!«