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»Conwulf!«

Conn, der sich inzwischen wieder erhoben hatte, trat auf den alten Normannen zu, und sie umarmten einander.

»Ich habe gewusst, dass du zurückkehren würdest, Junge! Ich habe es gewusst!«

»Du hattest recht, Vater. Deine Gefangenschaft ist zu Ende. Du bist wieder ein freier Mann.«

Unverhohlener Stolz sprach aus Baldrics Gesicht. »Dann hast du das Buch also zurückgebracht?«

Conn biss sich auf die Lippen. »Nicht ganz. Aber es ist für alles gesorgt. Du bist frei und kannst gehen.«

»Was genau heißt das?« Baldrics einzelnes Auge musterte ihn prüfend.

»Mach dir darüber keine Gedanken, Vater.«

»Was soll das heißen?«, bohrte der Normanne weiter und schaute fragend zu den anderen. »Was geht hier vor?«

»Dein Ziehsohn hat sich selbst gegen dich eingetauscht, alter Mann«, antwortete Caleb.

»Nein!«, begehrte Baldric auf und wich entsetzt zurück. »Das will ich nicht!«

»Ich weiß, Vater«, versicherte Conn mit einem schwachen Lächeln, »deshalb habe ich dich vorher auch nicht gefragt. Aber meine Entscheidung steht fest. Du hast so viel für mich getan. Zweimal hast du mir das Leben gerettet, hast mich aufgelesen und mich gesund gepflegt, als ich schon zum Sterben verurteilt schien. Nun ist es an der Zeit, es wiedergutzumachen.«

»Nein!«, rief Baldric noch einmal und schüttelte das ergraute Haupt. »Nein, nein, nein! Das darf nicht geschehen! Dies ist nicht dein Schicksal, sondern meines!«

»Die Aufgabe, die ich mir gestellt hatte, ist erfüllt. Guillaume de Rein ist tot. Was auch immer mit mir geschieht«, fügte er mit einem Blick in Chayas Richtung hinzu, »unschuldige Menschen werden niemals wieder vor ihm zittern müssen. Das zu wissen genügt mir.«

Chaya, die reglos dagestanden und mit den Tränen gerungen hatte, eilte zu ihm, und sie umarmten einander nicht weniger zärtlich und liebevoll, als sie es in der Nacht zuvor getan hatten.

Caleb wandte den Blick, selbst Bahram war sichtlich erschüttert. Obwohl der Hauptmann kein Wort verstand, begriff er genau, was vor sich ging, und seinen zusammengepressten Lippen war zu entnehmen, dass er Conn nur zu gern aus seiner Pflicht entlassen hätte. Aber das war nicht möglich. Ein Versprechen war gegeben worden, die Abmachung galt.

Man ließ Conn und Chaya einen Moment, um sich voneinander zu verabschieden, und ihre Lippen fanden sich in einem innigen Kuss, den Caleb bleich, aber widerspruchslos zur Kenntnis nahm. Dann traten die Wachen vor, und man trennte sie voneinander.

»Nein!«, schrie Chaya und wollte Conn hinterherlaufen, der von den beiden Kriegern hinausgeführt wurde, zurück in den Kerker, dem er erst vor wenigen Tagen entronnen war.

Plötzlich gab es draußen auf dem Gang Tumult.

Laute Rufe waren zu hören, aufgeregtes Geschrei.

»Was ist da los?«, fragte Baldric.

Bahram und Caleb wechselten einige Worte auf Aramäisch, worauf Chayas Cousin hinauseilte. Nur Augenblicke später kehrte er zurück und erstattete Bahram Bericht. Die Reaktion des Hauptmanns war zwiespältig. Erleichterung und Freude waren dabei, aber auch Sorge und Ernüchterung.

»Was ist geschehen?«, wollte Chaya von Caleb wissen.

»Ein Bote aus dem Palast ist eingetroffen«, antwortete dieser. »Der Statthalter ist mit einer Abordnung der Kreuzfahrer zusammengetroffen, und es wurde eine Einigung erzielt. Acre hat sich bereit erklärt, die Christen mit Wasser, Proviant und Futter zu versorgen, im Gegenzug verschonen sie die Stadt. Und als Zeichen des guten Willens werden alle christlichen Gefangenen freigelassen.«

Chaya begriff noch einen Augenblick früher als Conn, dass dies seine Rettung war. Sie eilte zu ihm und umarmte ihn, wobei ihr Tränen der Erleichterung über die Wangen rannen.

»Nun, Christ, wie es aussieht, ist der Herr einmal mehr auf deiner Seite«, sagte Caleb.

Gebirge von Nakura

Anfang Juni 1099

In einer Zeit, in der täglich Ruhmestaten vollbracht wurden, in der das Heer der Kreuzfahrer von Triumph zu Triumph eilte und Geschichte schrieb, war der Tod eines einzelnen Ritters, der noch dazu vor aller Augen als Verräter überführt worden war, nicht von Belang. Zynisch ging man über sein Ableben hinweg, verschwendete keinen Gedanken daran, welchen Verlust die Welt erlitten hatte.

Eleanor de Rein jedoch war in tiefer Trauer.

Verzweiflung umgab sie wie die Dunkelheit einer mond­losen Nacht, während sie an dem Grab kauerte, in das der leblose Körper ihres Sohnes gebettet worden war, blutüberströmt und kalt.

Nie wieder würde sich Guillaume erheben, nie wieder mit ihr sprechen. Und nie wieder würde sie ihn nach ihren Vorstellungen formen und ihn entsprechend handeln lassen können. Guillaume war fort, und die Leere, die er hinterlassen hatte, war so abgrundtief, dass Eleanor das Gefühl hatte, von ihr verschlungen zu werden.

Guillaume war ihr Sohn gewesen, ihr eigen Fleisch und Blut, Träger all ihrer Hoffnungen – und nun? Sie war dabei gewesen, hatte dem Kampf aus sicherer Entfernung beigewohnt und war überzeugt gewesen, dass ihr Sohn das Duell auf Leben und Tod für sich entscheiden würde, dass dies die Stunde wäre, in der Guillaume sich vor aller Welt bewährte – aber dann war alles ganz anders gekommen.

In dem Augenblick, als das Schwert des Angelsachsen Conwulf die Brust Guillaumes durchstieß, hatte Eleonor ihre Wut und ihre Enttäuschung laut hinausgeschrien, hatte sich lauthals empört über den Akt der Barbarei, in dem andere ein Urteil des höchsten Richters sehen mochten – für Eleanor stand fest, dass es Mord gewesen war, der sie und ihren Sohn um den verdienten Lohn ihrer Mühen gebracht hatte.

Guillaume war das Opfer eines Komplotts geworden, das einige Fürsten – unter ihnen der verschlagene Herzog Robert und der rachsüchtige Graf von Monteil – geschmiedet hatten. Ihr Ziel war es gewesen, die Bruderschaft der Suchenden zu zerschlagen, indem sie ihr Haupt vernichteten, und dabei hatten sie sich des Angelsachsen bedient, der sich wie eine Schlange angeschlichen und sogar das Vertrauen des Barons gewonnen hatte.

Wie sehr wünschte sich Eleanor, der einfältige Renald hätte Conwulf an jenem Tag vor Antiochia tatsächlich das Auge ausgestochen, dann wäre der Kampf – so es überhaupt dazu gekommen wäre – sicher anders ausgegangen. Oder war auch dies schon ein Teil des Komplotts gewesen? Hatte Renald schon damals beabsichtigt, Guillaume durch den Angelsachsen töten zu lassen?

Alles schien Eleanor in ihrer Verzweiflung möglich, und je länger sie am Grab ihres Sohnes Wache hielt, desto mehr wurde ihre Trauer zu Hass. Ihre Tränen waren längst versiegt – das Verlangen nach Vergeltung jedoch brannte mit jedem Tag heißer in ihrer Brust, ein alles verzehrendes Feuer.

Nur mit Mühe hatte sie Robert, den sie von Kindesbeinen an kannte, weil er gelegentlich auf dem Sitz ihrer Familie bei Falaise zu Besuch gewesen war, davon abbringen können, den Leichnam ihres Sohnes wie angedroht zu verbrennen und seine Asche zu zerstreuen. Schon der Gedanke, seinen Körper in fremde Erde gebettet zu wissen, weit entfernt von der normannischen Heimat, die er so geliebt hatte, ließ sie tiefe Verzweiflung fühlen, doch fand sie Trost in der Tatsache, dass sein Körper unversehrt geblieben war.

Noch immer sah sie ihn vor sich, die Haut weiß wie Schnee und das blonde Haar von einem goldenen Reif gehalten, den sie ihm mit ins Grab gegeben hatte. Eleanor hatte nie einen Zweifel gehegt, dass ihr Sohn zum Herrscher berufen war, entsprechend hatte sie ihn einem König gleich beisetzen lassen und ihm all die Ehren erwiesen, die der Fürstenrat und die Geistlichkeit ihm verweigert hatten.

Arnulf von Rohes hatte sie deshalb eine Hexe genannt, und sie wusste, dass es nicht wenige gab, die an ihrem Verstand zweifelten und glaubten, dass der Verlust ihres Gatten und ihres Sohnes innerhalb so kurzer Zeit zu viel gewesen wäre.