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Was wussten diese Narren schon?

Was von den Sorgen einer Mutter?

Was von den Qualen, die sie litt?

Was von den Schmerzen, unter denen sie Guillaume in die Welt geboren hatte? Von den Opfern, die sie auf sich genommen hatte, damit er auch in der unwirtlichen Fremde Nor­thumbrias die Erziehung erhielt, die eines zukünftigen Herrschers würdig war? Von den Demütigungen, die sie erduldet hatte, um Renald de Rein im Glauben zu lassen, dass er in Wahrheit der Überlegene wäre? Von dem Blut, das an ihren Händen klebte, weil sie stets nur das Beste für Guillaume gewollt hatte?

Mit Unbehagen hatte sie gesehen, wie sich der Junge seinem wirklichen Vater zuneigte; Osbert war seinem älteren Bruder Renald in vieler Hinsicht überlegen gewesen, doch seine rechtschaffene Art und seine verabscheuungswürdige Vorliebe für die einfachen Dinge des Lebens hatten Guillaume mehr geschadet als genutzt. Zudem war Eleanor sich bewusst gewesen, dass sie eines Tages etwas benötigen würde, mit dem sie Renald in ihrem Sinne lenken konnte. Also hatte sie an jenem Tag, als Osbert in der Schlucht jagte, das Seil durchschnitten und versteckt, um Jahre später Renald der Tat zu bezichtigen.

Doch all dies, all ihre Erwägungen, ihre Überlegungen, ihre sorgsam bedachten Pläne, waren gegenstandslos geworden.

Guillaume war tot. Abgeschlachtet von einem angelsächsischen Barbaren – der dafür bitter bezahlen würde.

»Mylady?«

Eustaces sanfte Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

Sie fand sich im Staub kniend, am Fuße des Grabhügels, den sie hatte aufschütten und mit einem Felsblock versehen lassen. Guillaumes Name und Herkunft waren darauf verzeichnet und würden dafür Sorge tragen, dass man das Andenken an ihn auch noch in tausend Jahren wahrte … Eleanor wandte das ins Gebende gehüllte Haupt. Die Männer waren bereit zum Aufbruch.

Zehn Tage lang hatten sie ausgeharrt.

Sie hatten das Grab ausgehoben und die Totenwache gehalten, hatten ihren Anführer ehrenvoll bestattet, während das Heer längst abgezogen war und sich gen Caesarea gewandt hatte, wo man das Pfingstfest verbringen wollte, ehe man nach Jerusalem weiterzog.

Nicht alle Ritter der Bruderschaft waren geblieben. Einige hatten dem angeblichen Gottesurteil Glauben geschenkt und sich abgewandt, andere sich von den Anhängern Herzog Roberts einschüchtern lassen. Etwa zwanzig junge Edle waren jedoch mit ihrem Gefolge geblieben – genug, um jene zu verfolgen und zu bestrafen, die Schuld an Eleanors Schmerz trugen. Und womöglich auch genug, um das zu Ende zu bringen, was Guillaume in ihrem Auftrag begonnen hatte.

Eleanor wusste nicht, wohin sich der verräterische Mönch verkrochen hatte, aber ihre Gier nach dem, was er ihr in Aussicht gestellt hatte, war trotz ihrer Trauer ungebrochen. Ihren Sohn hätte sie am liebsten auf dem Thron von Jerusalem gesehen, doch da er nicht mehr am Leben war, würde sich ein anderer finden müssen, der in ihrem Auftrag an die Spitze der Macht gelangte.

»Mylady, bitte verzeiht. Aber unsere Leute sind bereit zum Abmarsch. Wenn Ihr die Güte haben wollt, mir zu folgen.«

Eleanor drehte sich noch ein Stück weiter um und nickte dem Ritter mit den eigenartig blicklosen Augen wohlwollend zu.

»Gewiss, mein guter Eustace, gewiss. Unsere Arbeit hier ist getan. Jerusalem erwartet uns.«

27.

Mons gaudii

7. Juni 1099

Der Tag, auf den die Kreuzfahrer mehr als drei Jahre lang gewartet, auf den sie hingelebt und für den sie unsagbare Opfer gebracht hatten, war ein Dienstag.

Schon einige Tage zuvor war der Normanne Tankred mit einer kleinen Schar von Reitern nach Bethlehem vorgedrungen, jener Stadt, in der der Erlöser geboren worden war. Die Nachricht, dass die Kreuzfahrer jenen Stätten, die sie bislang nur vom Hörensagen gekannt und die das Ziel all ihrer Mühen gewesen waren, nun bereits so nahe waren, hatte sich wie ein Lauffeuer im Heer verbreitet. Obwohl die Pilger erschöpft waren, wollten sie keine Zeit mehr verlieren.

In einem zweitägigen Gewaltmarsch, der begleitet wurde von frohen Gesängen und den aufpeitschenden Reden der Prediger, setzten sie ihren Weg gen Südosten fort. Und schließlich – das Licht des neuen Tages war bereits aufgegangen und tauchte das Land in gleißenden Schein – erreichten sie eine Erhebung, von deren flachem Rücken aus sich ihnen ein überwältigender Anblick bot: Vor ihnen, wie eine ferne Verheißung, jedoch so nah wie noch nie zuvor, lag das Ziel all ihres Sehnens.

Jerusalem die Hohe.

Die Stadt Salomons.

Die Wiege der Christenheit.

Von einer hohen Mauer umgeben und zu beiden Seiten von den Tälern von Hinnom und Kidron begrenzt, bot die Stadt einen prächtigen Anblick. Kirchenkuppeln und Minarette erhoben sich aus einer Wirrnis steinerner Quader, zur Linken ragten die Türme der Zitadelle auf, hier und dort waren Ruinen der römischen Herrschaft zu erkennen, beeindruckend in ihrer schieren Größe. Den prächtigsten Anblick jedoch bot die riesige Kuppel, die sich im Osten der Stadt erhob, inmitten eines von Mauern umgebenen Plateaus, und deren goldenes Dach im frühen Sonnenlicht glänzte – der Felsendom! Viel hatten die Pilger von diesem Ort gehört, den die Anhänger Mohammeds gebaut hatten, um einen der heiligen Orte ihres Glaubens zu schützen. Obwohl er den Streitern Christi, die doch gekommen waren, um das Heilige Land von Heiden zu reinigen, ein Dorn im Auge hätte sein müssen, jubelten sie bei seinem Anblick.

Zum einen, weil die goldene Kuppel das Ende der langen Reise verhieß. Zum anderen, weil die begierigen Augen der Kreuzfahrer ein anderes Wahrzeichen vergeblich suchten: die Grabeskirche, die der römische Kaiser Constantinus einst über den Stätten des Todes und der Auferstehung Jesu Christi hatte errichten lassen.

Pilger, die aus dem Heiligen Land zurückgekehrt waren, hatten zwar berichtet, dass die Muselmanen die heiligste Stätte der Christenheit mutwillig zerstört und eingerissen hätten. Doch hatten die Christen der Stadt durch Vermittlung des byzantinischen Kaisers vor nunmehr fünf Jahrzehnten damit begonnen, das einstmals so prächtige Gebäude neu zu errichten. Ihre Bemühungen schienen allerdings sehr viel weniger weit fortgeschritten, als die Kreuzfahrer es sich erhofft und in ihren Vorstellungen ausgemalt hatten. Ihrer Ergriffenheit tat dies jedoch keinen Abbruch.

Die Reiter stiegen von den Pferden und bekreuzigten sich, zahllose Pilger sanken auf die Knie und priesen den Herrn dafür, dass er sie nach Monaten und Jahren der Irrfahrt, des Krieges und des Leids nun endlich heimgeführt hatte.

Auch Conn und Baldric waren aus den Sätteln gestiegen und hatten sich niedergekniet, dankten Gott in einem stillen Gebet und gedachten jener Kameraden, denen es nicht vergönnt gewesen war, den weiten Weg zu Ende zu gehen. Conn musste dabei an den wortkargen Remy denken, der ihn das Waffenhandwerk gelehrt und ihm in Antiochia treu zur Seite gestanden hatte, und an den geschwätzigen Bertrand, der ihn in mancher dunklen Stunde aufgeheitert hatte.

Es waren bewegende Augenblicke. Die Gesänge waren verstummt, nur leise gemurmelte Gebete waren hier und dort zu hören. Conn streifte Baldric, der neben ihm kniete und mit wässrigem Auge auf Jerusalem starrte, mit einem Seitenblick. Wie mochte es wohl im Herzen des Normannen aussehen, der doch stets nichts anderes gewollt hatte, als die Stätte des Leidens und der Auferstehung Jesu zu sehen und seine unsterbliche Seele damit zu läutern?

Nachdem festgestanden hatte, dass die Kreuzfahrer Acre nicht belagern und es nicht zur Konfrontation mit den Fatimiden kommen würde, hatten Conn und Baldric die Stadt verlassen, zusammen mit rund zweihundert einheimischen Christen, die ebenfalls in den Kerkern der Zitadelle festgehalten worden waren. Der Abschied von Chaya war Conn schwergefallen, und ein Teil von ihm hatte überhaupt nicht gehen wollen. Aber zum einen war ihm klar gewesen, dass in diesen unsicheren Zeiten ein Christ und eine Jüdin auch in Acre keine Zukunft haben würden, zum anderen hatte er Baldric, dem er so viel verdankte, nicht so kurz vor dem Ziel im Stich lassen wollen.