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Sie suchten das Haus des Tuchhändlers auf und ließen nach Chaya fragen. Ein Diener führte sie in eine Kammer, die zugleich als Küche und Wohnraum diente. Zwei Männer saßen an einem Tisch, in denen Conn Caleb und – zu seiner Überraschung – Bahram erkannte, der seine orangefarbene Robe gegen ein schlichtes braunes Gewand getauscht hatte und nicht länger ein Offizier der Garnison zu sein schien. An der Feuerstelle jedoch stand Chaya, das dunkle Haar hochgesteckt und Rußflecke im Gesicht – und doch noch ungleich schöner, als er sie in Erinnerung hatte.

»Conwulf!«

Er trat auf sie zu, und sie umarmten einander. Fest presste Conn sie an sich, als könnte er so verhindern, dass sie ihm jemals wieder genommen würde.

»Was tut ihr hier?«, fragte Chaya. Ihr Blick glitt verwundert zwischen Conn und Baldric hin und her.

»Ja«, rief Caleb vom Tisch herüber, »was tut ihr hier? Solltest du dich nicht glücklich schätzen, noch einmal mit dem Leben davongekommen zu sein?«

Conn antwortete nicht. Das kleine Bettchen, das jenseits des Herdes in einer Nische stand, hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Behutsam trat er darauf zu und schaute hinein.

Der Knabe war merklich kräftiger geworden, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Sein Haar, das allmählich zu sprießen begann, war dunkel, seine Augen hingegen, die Conn mit unschuldiger Offenheit anstrahlten, leuchteten blau.

Was er beim Anblick des Kindes empfand, wusste Conn selbst nicht recht zu deuten. Liebe, Scham, Fürsorge, Traurigkeit – von allem war etwas dabei. Chaya war zu ihm getreten, und er nahm ihre Hand und drückte sie, eine Geste der Hilflosigkeit, von der er hoffte, dass sie sie recht verstand.

»Bist du deshalb gekommen?«, stichelte Caleb weiter, der offenkundig zu viel Wein getrunken hatte. »Wolltest du einen Blick auf das werfen, was du angerichtet hast? Oder wolltest du deinen Vaterpflichten nachkommen?«

»Sei still, Caleb«, wies Chaya ihn zurecht. »Conn ist dir keine Rechenschaft schuldig.«

»Nein«, gab ihr Cousin zu und stand auf, »aber dir ist er Rechenschaft schuldig, Chaya, denn er ist der Vater des Kindes! Was denn? Bist du überrascht, dass ich die Dinge so offen beim Namen nenne? Nachdem ich alles darangesetzt habe, dem Knaben ein guter Vater zu sein? Dich mag er nicht erkennen, wenn du dich über seine Schlafstatt beugst, Christ – in mir jedoch erkennt er jemanden, der ihn aufrichtig liebt und der es gut mit ihm meint.«

»Daran zweifle ich nicht, Caleb, und ich bin dir von Herzen dankbar für alles, was du für den Jungen tust.«

»Warum bist du dann gekommen? Warum kannst du uns nicht einfach in Ruhe lassen?«

»Weil ich das hier bei mir trage«, erwiderte Conn – und zog die Pergamentrolle mit dem Buch von Ascalon unter seinem Gewand hervor.

Chaya holte tief Luft, der Blick von Bahram verriet Befremden. Caleb reagierte mit blankem Zorn. »Du hattest es doch?«, rief er mit bleierner Zunge und sprang auf. »Hast du uns damals also nur etwas vorgelogen?«

»Ich habe das Buch gefunden«, verteidigte sich Conn. »Berengar hatte es an einem geheimen Ort versteckt.«

»Dieser verdammte Mönch«, fluchte Caleb. »Sollte er jemals wieder meinen Weg kreuzen, werde ich ihn …«

»Er ist tot«, fiel Conn ihm ins Wort. »Als er erkannte, was er getan hatte, hat er sich selbst vergiftet – und seinen letzten Atem dazu benutzt, Vergebung zu finden.«

»Und? Hast du ihm Vergebung gewährt?«

»Auch du solltest ihm vergeben, Caleb, denn bevor er starb, hat Berengar dafür gesorgt, dass das Buch wieder in unseren Besitz gelangt.«

»Na und? Es ist zu spät! Wie es heißt, steht Jerusalem kurz vor dem Fall.«

»Noch ist es nicht gefallen«, wandte Baldric ein.

»Was also wollt ihr tun?«, fragte Caleb.

»Was ich schon einmal tun wollte«, erwiderte Conn entschlossen. »Nach der Lade suchen und sie finden.«

Caleb lachte bitter auf. »Um was zu tun, Christ? Ihre Macht zu entfesseln, um das Reich Israel neu zu erichten? Dem Haus Jakob zu neuer Stärke zu verhelfen?«

»Nein. Aber ich möchte die Lade auch nicht für mich gewinnen oder für die Christenheit.«

»Was dann?«

»Ich will sie aus der Stadt bringen und an einem unbekannten Ort verbergen, wo sie vor Entdeckung sicher ist. Denn wenn die Ereignisse der Vergangenheit eines gezeigt haben, dann dass die Lade in diesen dunklen Zeiten nur dazu missbraucht würde, um Kriege zu führen und weltliche Throne zu errichten, und dafür wurde sie nicht geschaffen.«

»Was fällt dir ein?«, fuhr Caleb ihn an. »Was weißt du von der Lade oder darüber, wofür sie geschaffen wurde? Uns, dem Volk Israel, wurde sie vom Herrn anvertraut, als Symbol seiner Nähe und seiner Stärke – und du wagst es, mir ins Gesicht zu sagen, dass wir sie nicht haben dürfen? Deinesgleichen mag den Schrein dazu benutzen, um Krieg zu führen und zu vernichten. Mein Volk jedoch will nur zurück, was ihm genommen wurde, und aufbauen, was einst zerstört wurde.«

»Und dann?«, fragte Chaya, die sichtlich betroffen zugehört hatte. »Was, glaubst du, werden die Söhne Mohammeds tun, wenn der Große Rat von neuem tagt und danach trachtet, den Tempel Salomons neu zu errichten? Der Tempelberg gilt ihnen als ebenso heilig wie uns, und sie werden ihn sich nicht einfach nehmen lassen! Krieg wird die Folge sein, Caleb, ein blutiges Morden, und wir werden keinen Deut besser sein als jene Kreuzfahrer, die du so sehr hasst.«

»Wie kannst du so etwas sagen?« Caleb starrte sie an, wütend und fassungslos. »Ausgerechnet du, die Tochter eines Trägers!«

»Eines Trägers Tochter bin ich, doch den Eid habe ich nie geleistet, denn er wird nur männlichen Erben abverlangt. Folglich bin ich ungebunden und kann mit dem Herzen entscheiden – und mein Herz sagt mir, dass Conn recht hat, Caleb.«

»Wie überraschend.« Ihr Cousin schnaubte.

»Sprich nicht so abfällig, das habe ich nicht verdient. Ich habe Opfer gebracht, um das Buch zu euch zu bringen. Ich habe meine Heimat verlassen und meinen Vater verloren, habe große Strapazen auf mich genommen – aber ich bin nicht die Sklavin seiner Worte.«

»Aber Gott erwartet …«

»Die Menschen erwarten, dass wir es benutzen«, verbesserte Chaya energisch. »Gott kann nicht wollen, dass Hass und Krieg unser Leben bestimmen und wir uns gegenseitig töten, bis keiner mehr von uns übrig ist. Ist dieses Kind dort nicht ein Beweis dafür, dass zwischen unseren Völkern auch Zuneigung entstehen kann? Dass wir in Frieden miteinander leben können? Und zeigt Conn nicht durch seine Anwesenheit hier, dass er uns in Freundschaft verbunden ist?«

»Nein. Er will uns nehmen, was uns gehört. Darin kann ich keine Freundschaft erkennen.«

»Hätte ich euch bestehlen wollen, hätte ich nicht nach Acre zurückzukehren brauchen«, gab Conn zu bedenken.

»Nun«, zischte Caleb und griff nach dem Dolch an seinem Gürtel, »womöglich war das ja ein Fehler. Denn was sollte mich davon abhalten, dich hinterrücks zu erstechen und dir die Schriftrolle abzunehmen?«

»Baldric vermutlich«, entgegnete Conn mit Blick auf seinen Adoptivvater, der die Hand bereits am Schwertgriff hatte. »Aber du hast recht, Caleb. Wir sind nur zu zweit, ihr aber seid viele. Wenn du es darauf anlegst, so sollte es für dich keine Schwierigkeit darstellen, in den Besitz des Buches zu gelangen.«

»Warum, bei allen zwölf Stämmen Israels, bist du dann gekommen?«, fragte Caleb, unschlüssig und zornig zugleich.

»Weil ich nicht allein tun kann, was ich tun will, und dabei eure Hilfe brauche, denn weder spreche ich die Sprache der Einheimischen noch bin ich je in Jerusalem gewesen. Und ich bin auch nicht in der Lage, die Zeichen der Schriftrolle zu entziffern.«