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Sie hatte die Worte kaum zu Ende gesprochen, als ihr Blick leer wurde und ihr Körper schlaff, und er wusste, dass ihre Seele ihren Körper verlassen hatte.

Noch einen Augenblick lang kauerte er am Boden, wünschte auch ihr Frieden und küsste sie zum Abschied auf die Stirn – dann schrie er seinen Schmerz und seinen hilflosen Zorn so laut hinaus, dass sich seine Stimme überschlug und von den Wänden der Kammer widerhallte.

In seinem Gram griff er zu der Schriftrolle, die noch immer in seinem Gürtel steckte und deretwegen so viele Menschen ihr Leben gelassen hatten – geliebte Menschen, Freunde, Weggefährten, die er nie vergessen würde. Und noch ehe er sich anders besinnen oder Bahram ihn daran hindern konnte, hatte er das Pergament bereits in die Flamme der Fackel gehalten, die neben ihm am Boden lag.

Mit vor Tränen verschwimmenden Blicken betrachtete Conn das lodernde Schriftstück, und es erfüllte ihn mit einer gewissen Genugtuung, dass es niemandem mehr den Tod bringen würde. Er behielt es so lange in der Hand, wie er es wagen konnte, ohne sich zu verbrennen, dann warf er es von sich und schaute zu, wie das Buch von Ascalon vollends zu Asche zerfiel.

Es lag etwas Befreiendes darin, und auch wenn die Trauer in seinem Herzen dadurch nicht gemindert wurde, so dämpfte es doch die Verbitterung und den hilflosen Zorn.

»Conwulf?« Bahram war an ihn herangetreten und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Was?«, fuhr Conn ihn an.

Statt zu antworten, deutete der Armenier nur nach dem Sarkophag mit dem Siegel Salomons.

Die Lade.

Noch immer war sie hier, wartete seit Jahrhunderten darauf, dass jemand sie aus ihrem dunklen Versteck ans Licht holte. Nicht viel hätte gefehlt, und sie wäre in die Hände von Mächten geraten, die sie zum Krieg und zur Zerstörung, nicht aber dazu nutzen wollten, um Gott und die Menschen zu verbinden.

Darum allein ging es.

Nicht um Bekenntnisse, sondern um Gesinnung. Nicht darum, woran jemand glaubte, sondern um die Natur seiner Handlungen.

Das erkannte Conwulf in diesem Augenblick, in dem hoch über ihm, auf dem Tempelberg von Jerusalem, die siegreichen Kreuzfahrer mit Feuer und Schwert über die wehrlosen Bürger der Stadt herfielen und Juden wie Muslime zu hunderten töteten.

Auf der langen Pilgerschaft, die sie vom fernen Europa in die Heilige Stadt geführt hatte, hatten sie Gott gesucht, am Ende jedoch nur sich selbst gefunden, ihre menschliche Gier und ihre Rachsucht. Conn und seinen Gefährten hingegen war es vergönnt gewesen, eine wenn auch nur geringe Ahnung vom Himmelreich auf Erden zu erhaschen, von jener Harmonie, die unter den Kindern Gottes herrschen konnte und es eines fernen Tages vielleicht auch würde.

Chaya hatte am Ende fest daran geglaubt.

Berengar Trost darin gefunden.

Baldric sie noch erfahren.

Und sie verpflichtete Conn dazu, die Mission, die er sich selbst auferlegt hatte, zu Ende zu bringen. Und Bahram al-Armeni, sein einstiger Feind und Gegner auf dem Schlachtfeld, der ihm als einziger Gefährte verblieben war, würde ihm dabei helfen.

Dieses Versteck war nicht länger sicher.

Die Lade musste fortgeschafft werden, an einen anderen, weit entfernten Ort, wo sie vor Eiferern sicher war, wessen Glaubens sie auch sein mochten, bis die Menschen reif sein würden, dieses Geschenk von unschätzbarem Wert recht zu gebrauchen.

Irgendwann.

Eines fernen Tages, der, davon war Bahram überzeugt, schon jetzt in den Sternen stand.

EPILOG

Ascalon

Im 69. Jahr des Königreichs von Jerusalem

So ist es geschehen. Und niemand soll behaupten, Wichtiges wäre weggelassen und Unwichtiges hinzugefügt worden, nur um das Herz des Lesers zu erfreuen. Denn ich habe alles genauso aufgeschrieben, wie es mir von jenen berichtet wurde, die dabei gewesen sind.

Wohin Conwulf und Bahram die heilige Lade brachten, entzieht sich meiner Kenntnis, und ich werde auch nicht darüber spekulieren; jedoch wurde sie seit jenem dunklen Tag, da die Kreuzfahrer Jerusalem eroberten und mit Mörderhand über die Einwohner herfielen, nicht mehr gesehen. Manche behaupten, dass Gott sich abgewandt habe angesichts der Bluttaten, die die Streiter in seinem Namen verübten, doch ich bin weder in der Lage, dies zu bestätigen, noch will ich es bestreiten.

Was ich weiß, ist, dass Bahram al-Armeni niemals in seine Heimat Tal Bashir zurückgekehrt ist. Auch wurde er nicht jener Mann der Wissenschaft, der er stets hatte sein wollen. Nach den Ereignissen von Jerusalem kehrte er in den Dienst des Kalifen zurück, wo er versuchte, zwischen Muslimen und Christen zu vermitteln, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Er tat dies so voller Überzeugung, dass der Kalif ihn zum ersten christlichen Großwesir des Reiches ernannte.

Von Eleanor de Rein hat man nie wieder gehört. Manche wollen gesehen haben, wie sie nach der Einnahme von Jerusalem durch die von Blut besudelten Straßen irrte, von Wahnsinn gezeichnet und immerzu Eustaces Namen murmelnd, den sie unter all den Toten zu finden hoffte; andere behaupten, sie hätte sich auf die Nachricht von Eustaces Niederlage hin selbst entleibt. Unstrittig ist jedoch, dass ihr niemals jene Macht zuteil wurde, die sie sich zugedacht hatte und für die sie bereit gewesen war, jeden Frevel zu begehen. Von der Geschichte vergessen, endete sie wie so viele, die dem Pilgerzug unlauteren Herzens und in dunkler Absicht gefolgt waren.

Von Caleb Ben Ezra ist bekannt, dass er nach dem Fall von Jerusalem nach Ascalon ging, zusammen mit dem Kinde Chayas und Conwulfs, das ihm anvertraut worden war. Auch Ascalon wurde schließlich von den Kreuzfahrern eingenommen, und mit ihnen gelangte auch Conwulf in die Stadt, die ihm fortan zur neuen Heimat wurde. Die große Pilgerfahrt, die ihren Teilnehmern so große Mühen abverlangt und so viele Opfer gefordert hatte, war zu Ende.

Der Knabe jedoch wuchs in der Obhut zweier Väter heran, die ihm nicht nur ihre Liebe schenkten, sondern auch all ihr Wissen und ihre Kenntnisse. Als Sohn zweier Welten lernte er den Umgang mit dem Schwert ebenso wie mit der Feder, hatte an der Wahrheit der Bibel ebenso teil wie an jener von Thora und Talmud, und so ist es kein Zufall, dass kein anderer als er es gewesen ist, der diese Geschichte niedergeschrieben hat, um sie der Nachwelt zu erhalten.

Solange mein Vater lebte, brachte ich es nicht über mich, jene Ereignisse, von denen er mir bis ins hohe Alter so häufig berichtete, in Zeichen zu fassen und sie der stillen Geduld des Pergaments anzuvertrauen. Nun jedoch, da er lange tot ist und auch ich selbst im Herbst meines Lebens stehe, fand ich endlich den Mut und die Kraft, all diese wundersamen Ereignisse in Worte zu fassen.

Was meine Mutter betrifft, so habe ich mein Wissen über sie vor allem von meinem Onkel; mein Vater hat nie sehr viel über sie gesprochen, sei es, weil es ihn zu sehr grämte oder weil er keiner Erinnerungen bedurfte, um ihrer zu gedenken. Gleichwohl hege ich die Zuversicht, dass er nun auf ewig mit ihr vereint ist.

Ein Christ und eine Jüdin.

In jenem Himmelreich, das allen gehört.

Baldric Ben Salomon

Anno Domini 1168

Nachwort des Autors

Zugegeben, es ist nicht sehr einfallsreich, die Arbeit an einem Roman mit einer Reise zu vergleichen, und ich stelle diesen Vergleich auch nicht zum ersten Mal an – aber er ist eben in einem Maße zutreffend, wie sich das nicht von vielen Vergleichen sagen lässt. Als Autor plant man diese Reise, legt ihr Ziel fest und ihre Länge, doch ahnt man bei der Abfahrt noch nicht, welche Unwägbarkeiten am Wegesrand warten und welchen Menschen man unterwegs begegnen wird. Und hat man das Ziel endlich erreicht, so ist man erfüllt von den Eindrücken, die die Reise hinterlassen hat … So wie ich, während ich diese Zeilen schreibe.