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»Ja«, brachte Conn mühsam hervor. Es war wenig mehr als ein Krächzen.

»Dorthin«, flüsterte Nia, während sie zusammenzuckte, weil eine erneute Welle von Schmerz ihren Körper durchlief, »hätten wir gehen können … dort wären wir frei gewesen.«

Conn war nicht mehr in der Lage, einen Laut hervorzubringen. Er nickte nur, während er mit aller Macht gegen die Tränen ankämpfte, die ihm in die Augen zu schießen drohten. Er wollte nicht, dass sie ihn so sah, wollte ihr auf dem Weg in die Ewigkeit nicht seinen Kummer aufbürden.

»Nun brauchst du nicht mehr für mich zu stehlen«, hauchte sie, und das trotz allem strahlende Lächeln, das dabei über ihre aschfahlen Züge glitt, ließ ihn vor Schmerz fast vergehen. »Willst du mir … etwas versprechen?«

»Was?«

»Versprich mir … dass Freiheit suchen.« Ihre Stimme war nur noch ein Wispern, dem Rascheln von Weidegras gleich, durch das der Abendwind fuhr. »Wirst sie finden … irgendwo …«

»Ich verspreche es«, erwiderte Conn, der Mühe hatte, die Fassung zu bewahren. In diesem Augenblick wäre er bereit gewesen, ihr alles zu versprechen und jeden beliebigen Eid zu schwören, wenn er ihre Qual dadurch nur ein wenig erträglicher machte – aber auch dieses Ansinnen blieb ihm verwehrt.

Nias Gesichtszüge verkrampften sich und verloren jede Farbe. Man konnte zusehen, wie das Leben aus ihnen wich. Hilflos versuchte Conn, das Unvermeidliche aufzuhalten.

»Nein! Nein!«, schluchzte er und presste sie an sich, so als könnte er sie auf diese Weise festhalten und verhindern, dass sie von ihm ging. Doch noch während er sie hielt und seine Wange an ihr schweißnasses Haar presste, hörte sie auf zu atmen. Ihr gepeinigter Körper entkrampfte sich. Conn wusste, dass es vorbei war.

Nias Leben war erloschen wie eine Kerze im Wind.

Wie lange Conn auf dem strohbelegten Boden kauerte, den Leichnam seiner Geliebten in den Armen, wusste er später nicht mehr zu sagen. Aber er entsann sich genau des Augenblicks, in dem Trauer, Zorn und Schmerz zu viel für ihn wurden und er das Gefühl hatte, in einen bodenlosen Abgrund zu fallen, der ihn mit Haut und Haaren verschlang. Nias leblosen Körper noch immer an sich pressend, stürzte er in dunkle, ungeahnte Tiefen.

Kalt war es dort, und er fror erbärmlich. Obwohl er als Waise aufgewachsen und von frühester Kindheit an auf sich gestellt gewesen war, hatte er sich nie zuvor in seinem Leben so einsam gefühlt. Er stieß einen furchtbaren Schrei aus, von dem er nicht zu sagen wusste, ob er nur in seinen Gedanken existierte oder ob er seiner Kehle tatsächlich entfuhr. All seine Trauer und sein Schmerz brachen sich darin Bahn, und plötzlich schien die Dunkelheit rings um ihn in grellen Flammen zu explodieren.

Sengende Hitze schlug ihm ins Gesicht, die seine Haut brennen ließ und wie ein glühendes Eisen in seine Eingeweide fuhr. Übelkeit befiel ihn, die so überwältigend war, dass er sich nicht länger aufrecht halten konnte. Benommen sank er nieder und krümmte sich am Boden, während er das Gefühl hatte, von Schmerz zerrissen zu werden. Und aus den Flammen, die ihn umloderten, tauchte das Bild eines gesichtslosen Ritters auf – des Mannes, der wie ein Tier über Nia hergefallen war und ihren zarten Körper entweiht und verunstaltet hatte.

Guillaume de Rein.

Als Emma ihn erwähnte, hatte Conn den Namen nur flüchtig wahrgenommen. Nun jedoch stand er ihm klar vor Augen, und während die Flammen rings um ihn weiter loderten, wurde aus Conns vernichtendem Schmerz namenloser Hass. Er verspürte nur den einen Wunsch: es dem Mann heimzuzahlen, der ihm alles genommen hatte.

Guillaume de Rein.

Vor seinem geistigen Auge sah Conn den fremden Ritter, der sein Leben und seine Liebe vernichtet hatte, brennen. Die Flammen griffen auf ihn über und verzehrten ihn. Auch Conn, der in seiner Vorstellung dem Szenario beiwohnte und mit Genugtuung zusah, erreichte das züngelnde Feuer. Doch ihm war es gleichgültig. Sollten die Flammen ihn fressen, sollten sie seinen Verstand verzehren und ihn nie wieder zurückfinden lassen in die wirkliche Welt, die doch nichts als Schmerz und Trauer für ihn bereithielt und die nun, da Nia nicht mehr am Leben war, noch dunkler geworden war als je zuvor. Conn gab sich ganz der Verzweiflung hin, und vielleicht hätte sein Geist nie wieder in die Wirklichkeit zurückgefunden, hätte sich nicht eine Hand auf seine Schulter gelegt und ihn vom Abgrund des Wahnsinns zurückgerissen.

Conn spürte die Berührung. Die Flammen rings um ihn erloschen jäh, ihr Fauchen verstummte. Jetzt erst hörte er die Stimme, die eindringlich seinen Namen nannte, wieder und wieder.

»Conn! Conn!«

Er schlug die Augen auf.

Zu seiner Überraschung befand er sich noch immer in der Sklavenbaracke, Nias leblosen Körper in den Armen. Als er aufschaute, blickte er in Emmas besorgte, von Kerzenschein beleuchtete Züge.

»Geht es wieder?«, fragte sie.

Conn erwiderte nichts darauf. Tränen brannten ihm in den Augen, und er presste Nias Leichnam abermals an sich. Entschlossen, ihn nie wieder loszulassen, sehnte er sich in den Zustand des Vergessens zurück, in den sein Verstand kurzzeitig verfallen war, unfähig, das Vorgefallene zu verarbeiten oder es auch nur zu akzeptieren.

Nia war tot, und mit ihr auch all seine Liebe, sein Streben nach Glück, all seine Hoffnung.

Er wollte zurück zu den Flammen, zu dem Gefühl verzweifelter Stärke, das ihm sein Hass und seine Rachsucht verliehen hatten – als ihm klar wurde, dass nicht alles, was er gehört und gesehen hatte, pure Einbildung gewesen war.

Ein Name zumindest war wirklich gewesen.

Guillaume de Rein.

Nias Mörder.

9.

Guillaumes Laune hatte sich merklich gebessert, und das aus zwei Gründen.

Zum einen, weil die walisische Sklavin, die das Opfer seiner Wut geworden war, in jeder Hinsicht gehalten hatte, was ihr Äußeres versprochen hatte. Wie es aufgrund ihrer barbarischen Herkunft nicht anders zu erwarten gewesen war, hatte sie sich als wahre Wildkatze entpuppt, die Guillaume erst hatte zähmen müssen, ehe er zu seinem Recht gelangt war; aber da er einige Erfahrung darin besaß, den Willen eigensinniger Sklavinnen zu brechen, und er ihr zudem körperlich weit überlegen gewesen war, hatte ihn dies vor keine größeren Probleme gestellt. Im Gegenteil hatte die Tatsache, dass sich das Mädchen mit Händen und Füßen gewehrt hatte, seine Lust nur noch gesteigert, ebenso wie das Ausmaß der Befriedigung, das er empfunden hatte, als er mit Gewalt in sie eingedrungen war, wieder und wieder, so lange, bis sie ihren Widerstand endlich aufgegeben hatte und in seinen Armen ein willenloses Stück Fleisch geworden war.

Zum anderen aber auch, weil er unmittelbar nach seiner Rückkehr in die Halle darüber informiert worden war, dass Ranulf von Bayeux, rechte Hand und oberster Berater des Königs, ihn dringend zu sprechen wünsche. Was, so fragte er sich, mochte der oberste Berater des Königs von ihm wollen?

Über Ranulf wusste Guillaume nur wenig. Er stammte aus der Normandie, hatte bereits unter dem alten König William gedient und sich unter der Herrschaft seines Sohnes zu dessen einflussreichstem Berater emporgearbeitet. Manche behaupteten gar, dass Ranulf, der noch zur Zeit des ersten William die Weihe zum Kaplan empfangen hatte, in Wahrheit die Staatsgeschäfte lenkte und ein Meister darin war, unliebsame Konkurrenten gegeneinander auszuspielen, indem er gezielt Streit in deren Reihen trug. Nicht umsonst wohl lautete sein Beiname Flambard – »Brandstifter«.

All das hatte Guillaume freilich nur gerüchteweise gehört. Nicht von seinem Vater, der ihn für unreif hielt, von derlei Dingen Kenntnis zu erhalten, sondern von seiner Mutter. Eleanor de Rein war in politischen Dingen nicht weniger beschlagen als der Baron, und auch wenn sie diesem stets das Gefühl der Überlegenheit einräumte, zweifelte Guillaume nicht daran, dass sie Renald de Rein in Wahrheit weit übertraf, sowohl ihre Klugheit betreffend als auch ihre Ambitionen.