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Guillaume stand so reglos, als hätte ihn einer der Blitze getroffen, die draußen über den nächtlichen Himmel zuckten. Atemlos hatte er alles mitangehört, konnte es jedoch kaum glauben. Hatte Ranulf Flambard tatsächlich dazu aufgefordert, des Königs leiblichen Bruder zu töten? Und hatte er als Belohnung dafür die Rückkehr aufs Festland in Aussicht gestellt? Neue Besitzungen und noch größere Macht, Einkünfte in riesigen Mengen?

Guillaume schwindelte ob der Aussichten, die sich plötzlich boten, und als er erneut in die Züge seiner Mutter blickte und die nunmehr drängende Aufforderung darin sah, erinnerte er sich an ihre Worte. Plötzlich wusste er, dass die Gelegenheit, auf die er all die Jahre gewartet hatte, gekommen war.

»Darf ich sprechen, Exzellenz?«, fragte er hastig. Seine Stimme klang dünn und brüchig, die Aufregung war ihm anzuhören.

»Nein«, schnaubte der Baron und schickte ihm einen seiner vernichtenden Seitenblicke. »Du hast nichts zu sagen.«

»Mit Verlaub, ich habe mein Wort nicht an Euch, sondern an den Berater des Königs gerichtet«, widersprach Guillaume tonlos, den Blick starr geradeaus gerichtet, damit er seinem Vater nicht in die Augen sehen musste.

»Und der Berater des Königs gestattet Euch zu sprechen, Guillaume de Rein«, erwiderte Flambard. »Was habt Ihr uns zu sagen?«

Guillaume würgte an dem Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hatte und ihn am Sprechen hinderte. Unsicher blickte er zu seiner Mutter, die ihm jedoch ermunternd zunickte und ihm abermals zu verstehen gab, dass dies die Gelegenheit war, die es zu ergreifen galt. Ihre Gegenwart gab ihm Kraft und innere Stärke. Er straffte sich und sagte dann mit ruhiger Stimme: »Ich möchte beteuern, dass ich im Gegensatz zu meinem Vater Euer Ansinnen aus tiefster Überzeugung unterstütze. Robert hat sich gegen den König gestellt und damit gegen jedes geltende Recht verstoßen. Selbst jetzt trachtet er noch nach dem Thron von England und ist folglich ein Feind der Krone.«

»Wie schön, dass wenigstens Ihr das erkannt habt, junger Herr«, erwiderte Flambard mit leisem Spott.

»Folglich gehe ich davon aus, dass sowohl Eurer Herrschaft als auch dem Königreich ein großer Dienst erwiesen wird, wenn Euer Bruder nicht mehr unter den Lebenden weilt«, setzte Guillaume seine Ausführungen fort, lauter nun und mit größerer Überzeugung als zuvor. »Wenn mein Vater Euch also in dieser Sache seine Dienste verweigert …«

»Ja?«, fragte Flambard lauernd.

»… so bin ich gerne bereit, an seiner Stelle zu tun, was die Pflicht jedes treuen Vasallen ist«, brachte Guillaume den Satz zu Ende und trat einen Schritt vor, sodass der Baron auch optisch ins Hintertreffen geriet.

»Hast du den Verstand verloren?«, rief Renald entsprechend wütend. »Du wirst nichts dergleichen tun!«

»Verzeiht, werter Baron«, mischte Flambard sich ein, »darüber habt Ihr nicht zu befinden. Dem König allein obliegt es zu entscheiden, ob er das ebenso selbstlose wie mutige Angebot Eures Sohnes annehmen will oder nicht.«

»Kann ich mich denn auf Euch verlassen, junger Freund?«, wandte Rufus selbst sich an Guillaume, während seine so unterschiedlichen Augen ihn von Kopf bis Fuß musterten. »Vielleicht habt Ihr gehört, was man über mich erzählt. Es heißt, der König hätte keine Freunde, und das ist nur zu wahr. Mein Vater hat sich zeit seines Lebens mit Gefolgsleuten und Speichelleckern umgeben, und was hat es ihm eingetragen? Die meisten von ihnen, sogar sein eigener Bruder, haben versucht, ihn um der Macht willen zu hintergehen. Man tut also gut daran, wohl zu erwägen, wem man Vertrauen schenkt und wem nicht.«

»Meine Loyalität gehört Euch, Sire«, versicherte Guillaume und beugte abermals die Knie vor seinem Herrscher. Der König musterte ihn auch dann noch, als er sich wieder erhoben hatte. Unablässig glitt sein Blick vom Scheitel hinab zu den Beinen und wieder zurück, wobei Guillaume den Eindruck hatte, dass er in seiner Leibesmitte ein wenig länger verharrte. Und zuletzt glaubte er gar – aber natürlich konnte dies nur ein Irrtum sein! – etwas Begehrliches im Blick des Monarchen auszumachen.

»Nun gut, Guillaume de Rein«, erklärte er sich schließlich großmütig bereit, wobei sein ohnehin schon rotes Gesicht noch ein wenig dunkler wurde, »ich nehme Euer Angebot an. Bringt Ihr erfolgreich zu Ende, was wir Euch aufgetragen haben, so werdet Ihr reich dafür belohnt. Versagt Ihr jedoch, werde ich leugnen, Euch je gekannt zu haben.«

»Ich verstehe, mein König«, sagte Guillaume.

»Und was ist mit mir?«, erkundigte sich Renald ungehalten.

Flambard schaute ihn an wie eine Made, die er in einem Stück Brot gefunden hatte. »Da Eure Gemahlin hoch in der Gunst des Königs steht und Euer Sohn sich so freimütig erboten hat, Eure Stelle einzunehmen, wird Eure Weigerung folgenlos bleiben. Wir erwarten allerdings, dass Ihr Euren Sohn auf der langen Reise begleiten und ihn auf jede nur denkbare Weise unterstützen werdet.«

»Was?«

»Betrachtet es als Sicherheit. Weigert Ihr Euch oder solltet Ihr Euch außerstande sehen, die unbedingte Notwendigkeit dieses Schrittes zu begreifen, so fallen Euer Titel und Euer Besitz der Krone zu.«

»Das würdet Ihr nicht wagen«, knurrte de Rein.

»Mit Verlaub, wer sollte uns daran hindern – Ihr etwa? Durch Eure Entscheidung, werter de Rein, habt Ihr Euch in eine unvorteilhafte Lage gebracht, und wäre es nicht um Euer Weib und Euren Sohn …«

Flambard verstummte jäh, als etwas seine Aufmerksamkeit erregte. Es war ein leises Klicken, gefolgt von einem Rieseln, das von irgendwo unter ihnen zu kommen schien. Der königliche Berater fuhr herum, hastete zum Geländer der Bodenöffnung und starrte mit eng zusammengekniffenen Augen in das Halbdunkel, das unten herrschte. Dann, als erneut ein flackernder Blitz das Innere der Kapelle erhellte, glaubte er, etwas auszumachen.

»Da ist jemand!«, keifte er laut und außer sich. »Wir wurden belauscht!«

Die Zeit nach Nias Tod verbrachte Conn wie in einem Albtraum.

Gefangen in einem dunklen Gefängnis aus Trauer und Verzweiflung, in das kein Strahl der Hoffnung drang, sann er auf Rache. Der geschundene Körper seiner Geliebten war in seinen Armen noch nicht erkaltet, da schwor er bereits, sie zu rächen und den Mann zu töten, der sie so grausam aus dem Leben gerissen hatte.

Guillaume de Rein.

Immer wieder hörte er Emmas Stimme den Namen des Mörders sagen, wie ein Echo hallte er durch seinen Kopf. Conn kannte diesen de Rein nicht, aber fraglos war er einer jener normannischen Ritter, die auf alles, was nicht Ihresgleichen war, mit tiefer Verachtung blickten. Vor Conns geistigem Auge nahm Guillaume Gestalt an, nicht als Mensch, vielmehr als gehörnter Dämon mit blutenden Augen, und sein Wunsch, ihn zu töten, wurde übermächtig. Selbst in seiner Verblendung war Conn klar, dass ein Angriff auf einen normannischen Edlen ein Schwerverbrechen darstellte und dass er dies nicht überleben würde. In seiner Verzweiflung war es ihm aber nicht nur gleichgültig, sondern er sehnte den Tod geradezu herbei, nun, da ihm alle Freude im Leben genommen war. Nur der eine Wunsch beseelte ihn, Nias Peiniger und Mörder zurück in den dunklen Höllenpfuhl zu stürzen, dem er entstiegen war.

Guillaume de Rein.

In seinen Gedanken riss er die nur eine Handspanne lange rostige Klinge, die er unter seinem Rock bei sich trug, gewiss ein Dutzend Mal heraus und trieb sie dem Mörder in die Kehle. Blut spritzte hervor, das seine Gedanken besudelte und auch noch den letzten Rest an Skrupeln fortspülte. Sein ganzes Leben lang hatte sich Conn nicht um die Obrigkeit gekümmert. Er hatte sein eigenes Leben zu leben versucht und sich nicht um das geschert, was die Reichen und Mächtigen taten. Warum nur hatten sie es nicht genauso gehalten? Warum waren sie in dieser Nacht in seine Welt eingebrochen und hatten sie zerstört, so grausam und endgültig, wie es nur sein konnte?