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In seiner Raserei verließ Conn das Sklavenquartier und rannte hinaus in die Nacht. Um Nias Leichnam wollte er sich später kümmern, zuerst sollte ihr Mörder für sein Verbrechen bezahlen. Lauthals brüllte er Guillaumes Namen, aber infolge des tobenden Gewitters und des prasselnden Regens hörte ihn niemand. Daraufhin stürmte er die Stufen des Turmes hinauf und hämmerte gegen die Tür der großen Halle.

»Lasst mich ein!«, brüllte er dazu. »Hört Ihr nicht? Ihr sollt mich einlassen …!«

Das Spähloch in der Tür wurde geöffnet, und ein energisch blickendes Augenpaar erschien, das ihn von Kopf bis Fuß musterte. »Was willst du, Angelsachse?«

»Lasst mich ein«, ächzte Conn.

»Frierst wohl wie ein Hund da draußen, was?«, spottete der Türwächter grinsend, der Conns totenbleiche Züge und seine geröteten Augen offenbar falsch deutete. »Von mir aus, komm herein und schlaf deinen Rausch aus. Aber mach keinen Ärger, hörst du?«

Conn erwiderte etwas Unverständliches, und der Normanne ließ ihn ein, freilich nicht ohne ihn wegen seiner zerlumpten und völlig durchnässten Erscheinung auszulachen.

Conn musste an sich halten, um sich nicht mit bloßen Fäusten auf den Kerl zu stürzen. Mit Tränen in den Augen schaute er sich in der Halle um, erblickte ringsum nichts als fremde Gesichter, feixend und scherzend, Nias schrecklichen Todes ungeachtet. Conn stand kurz davor, sein Messer zu zücken und auf die herzlose Meute einzustechen, was ihn fraglos in den Kerker bringen und seinen Racheplänen ein jähes Ende setzen würde – als durch einen Nebeneingang ein Mönch die Halle betrat. Jenseits des Durchgangs gab es offenbar eine Kapelle, und kurz entschlossen lenkte Conn seine Schritte dorthin.

Was genau er in der Kapelle wollte, konnte er nicht sagen. Suchte er Ruhe? Göttlichen Beistand? Wollte er seinen Racheschwur im Angesicht des Ewigen bekräftigen? Oder erhoffte er sich in seiner Verzweiflung einfach nur ein wenig Trost?

All das war möglich, und vermutlich steckte in jeder dieser Antworten ein wenig Wahrheit. Ohne von irgendjemandem aufgehalten oder auch nur beachtet zu werden, huschte Conn in das schweigende, menschenleere Dunkel, das jenseits der Tür herrschte, und schloss sie hinter sich.

Der Lärm der Halle blieb hinter ihm zurück. Der Geruch von kaltem Weihrauch legte sich wie Balsam auf seine geschundene Seele. Conn wurde ruhiger, und anders als zuvor, als Zorn und Rachsucht ihn beherrscht hatten, brach sich der Schmerz nun ungehindert Bahn.

Conn sank nieder und betete, weder mit gefalteten Händen noch nach einer vorgegebenen Formel, sondern getrieben von unsagbarem Schmerz, der ihm die Worte eingab und ihn zum Herrn sprechen, ihn mit dem Schöpfer hadern und ihn nach dem Grund für das Schreckliche fragen ließ, das ihm widerfahren war.

Doch Conn erhielt keine Antwort.

Sein Flüstern verklang unerwidert, und die bitteren Tränen, die er vergoss und die auf den steinernen Boden der Kapelle tropften, wurden nicht getrocknet. Gott, davon war er schließlich überzeugt, hatte ihn vergessen, wenn er überhaupt je Notiz von ihm genommen hatte.

Und dann, plötzlich, erhielt Conn Gesellschaft.

Stimmen näherten sich, und über ihm, im oberen Stockwerk der Kapelle, das mit größerem Prunk ausgestattet und fraglos den Mächtigen vorbehalten war, wurden Stimmen vernehmbar, die sich in gedämpftem Tonfall unterhielten.

Conn erstarrte.

Sein erster Impuls war, die Flucht zu ergreifen, aber fraglos hätte man das Öffnen der Tür bis hinauf gehört. Das letzte, was er wollte, war Aufmerksamkeit. Also harrte er aus, und als jemand die Treppe herabkam, flüchtete er sich rasch hinter eine der steinernen Säulen, die das obere Stockwerk der Kapelle stützten und in deren dunkle Nischen der spärliche Kerzenschein nicht reichte.

Dort stand er die ganze Zeit über …

… und lauschte unfreiwillig.

Die Stimmen – Conn glaubte, vier Männer und eine Frau zu unterscheiden – unterhielten sich in gedämpftem Tonfall, und sie bedienten sich der geschliffenen Sprache der Normannen. Conn beherrschte sie nicht gut genug, um sie fließend zu sprechen, aber er kannte genügend Worte, um zumindest ansatzweise zu verstehen, worum es ging.

Um einen Feldzug, der ausgerüstet werden sollte.

Um jemanden, der Robert hieß und – sofern Conn es richtig verstand – um sein Vermögen gebracht werden sollte, indem man ihn hinterrücks ermordete.

Die Tatsache, dass er unversehens zum Zeugen eines Mordkomplotts wurde, nahm Conn nur am Rande wahr. Zum einen überraschte es ihn nicht, dass Normannen derlei Dinge im Schilde führten, und es war ihm gleich, wenn sie sich gegenseitig umbrachten; zum anderen hielt sein eigener Schmerz ihn viel zu sehr gefangen, als dass er sich um ihre Ränke geschert hätte.

Aber dann fiel ein Name, der alles für ihn änderte.

Guillaume de Rein!

Conn traute seinen Ohren nicht.

Guillaume de Rein, der Mann, der Nia auf dem Gewissen hatte und den er zu töten trachtete, war dort oben, keine fünfzehn Schritte von ihm entfernt!

Vorsichtig wagte sich Conn einen Schritt vor, um durch die Deckenöffnung einen Blick nach oben zu erhaschen, aber alles, was er sah, waren lange Schatten, die der flackernde Kerzenschein an die Wand warf. Wem die anderen Schatten gehörten, vermochte Conn nicht zu sagen – ihn interessierte nur de Rein.

In endloser Langsamkeit glitt seine Hand unter die Tunika und griff nach dem Messer. Wie Conn erkennen sollte, welcher der vier Männer Guillaume war, wie er an den anderen vorbeigelangen und den tödlichen Stoß anbringen sollte, all das wusste er nicht. Aber sein Wille, Nias Tod zu rächen und ihren Mörder der gerechten Strafe zuzuführen, war so unbändig, dass der Verstand ihm nichts entgegenzusetzen hatte.

Lautlos löste sich Conn aus seinem Versteck zwischen den Säulen, wollte zur Treppe, um sie hinaufzuhuschen – als sich plötzlich ein Gesteinsbrocken löste.

Mit einem Geräusch, das die verschwörerische Stille durchbrach, fiel er zu Boden. Und in dem Moment, als der Wortführer oben zu sprechen aufhörte, wusste Conn, dass er entdeckt war.

»Da ist jemand«, schallte es herab. »Wir wurden belauscht!«

Entsetzt prallte Conn zurück – und ihm war, als würde er plötzlich aus dem Todesrausch gerissen, in den er wegen seiner Trauer über Nias Tod verfallen war.

Glasklar stand ihm plötzlich vor Augen, wer er war und wo er sich befand. Zwar wollte er noch immer die Stufen hinauf, um Guillaume de Rein zu töten, aber das metallische Geräusch von Schwertern, die aus ihren Scheiden gerissen werden, machte ihm unmissverständlich klar, dass jeder Versuch aussichtslos, ja eine an Irrsinn grenzende Narrheit gewesen wäre. Und endlich wandte er sich zur Flucht.

»Da ist er!«, rief jemand hinter ihm, in der näselnden Sprache der Besatzer. »Ich kann ihn sehen!«

»Fasst ihn!«, brüllte ein anderer. »Wer immer es ist, er darf nicht entkommen!«

Conn war bereits an der Tür. Mit aller Kraft riss er am Riegel, aber das schwere Eisen gehorchte nicht. Schritte polterten die Stufen herab, und ein flüchtiger Blick über die Schulter zeigte Conn zwei Gestalten, die eine kräftig, die andere hager, mit blanken Klingen in den Händen. Entsetzen packte ihn, er riss noch einmal am Riegel, zerrte ihn beiseite – und riss die Tür auf.

Er prallte gegen einen Diener, den er kurzerhand zur Seite stieß. Mit wenigen Schritten war er an der Tür, die nach draußen führte, und noch ehe der Wächter reagieren konnte, war er schon hindurchgeschlüpft.

Es regnete noch immer.

Kalter Wind schlug Conn entgegen, Wasser peitschte ihm ins Gesicht. Er biss die Zähne zusammen und rannte weiter, stürmte die hölzernen Stufen hinab. Seine Hoffnung, der dichte Regenschleier möge ihn schon nach wenigen Schritten den Blicken seiner Verfolger entziehen, zerschlug sich, als er sie erneut rufen hörte.