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»Da läuft er!«

»Wachen!«, schrie ein anderer. »Ein Eindringling! Fasst ihn!«

Rings um Conn wurde die Dunkelheit lebendig.

Auf den Wehrgängen der alten Römermauer, die die Festung nach Osten begrenzte, tauchten Soldaten auf, die aus den Unterständen stürmten, in die sie sich vor dem Unwetter geflüchtet hatten. Fackeln flammten auf, Helme und Speerspitzen schimmerten in der Dunkelheit. »Ein Eindringling! Fasst ihn!«, schallte der Alarmruf von den Mauern und pflanzte sich wie ein Echo fort.

Abrupt änderte Conn die Laufrichtung. Durchs Osttor zu entkommen, konnte er nun nicht mehr hoffen. So schnell seine zitternden Beine ihn trugen, rannte er weiter, die Böschung hinab, die sich zwischen dem Großen Turm und dem Innenhof erstreckte, während er hören konnte, wie seine Verfolger immer mehr wurden.

»Dort läuft er!«

»Er darf nicht entkommen!«

»Bogenschützen!«

Das Wort war kaum verklungen, als Conn bereits ein helles Surren vernahm. Instinktiv zog er den Kopf zwischen die Schultern. Der gefiederte Tod verfehlte ihn und bohrte sich in den vom Regen aufgeweichten Boden. Es war jedoch nur eine Frage von Augenblicken, bis der nächste Pfeil auf ihn abgeschossen wurde.

Die Jagd war eröffnet.

Conn rannte, so schnell die Beine ihn trugen. Eine Leiter, die an die Steinmauer angelehnt war, damit man auf den Wehrgang gelangen konnte, stach ihm ins Auge. Es gab keinen Plan, dem Conn folgte. Der pure Überlebenswille lenkte seine Schritte und ließ ihn die Sprossen erklimmen.

»Da! Er steigt die Leiter hinauf!«

»Er flieht! Schießt doch, ihr blinden Hunde …!«

Wieder war das gräßliche Flirren von Pfeilen zu hören, doch der Wind und die schlechte Sicht erschwerten den Bogenschützen ihre Arbeit. Conn zuckte zusammen, als links und rechts von ihm Geschosse in die Burgmauer schlugen. Nur eines davon blieb stecken, die anderen zerbarsten am harten Gestein. Endlich erreichte Conn das Ende der Leiter und setzte darüber hinweg auf den steinernen Wehrgang, der die Zinnen säumte – nur um sich einem Wachsoldaten gegenüber zu sehen.

Der Mann, der einen spitz geformten Helm und ein Kettenhemd trug, hatte den Speer gesenkt. Wie ein wütender Stier schnaubte er heran, bereit und willens, Conn zu durchbohren. Dieser reagierte jedoch blitzschnell, indem er sich zur Seite fallen ließ. Der tödliche Stoß ging ins Leere, und noch während er zu Boden ging, bekam Conn den Schaft des Speers kurz hinter der Spitze zu fassen. Mit dem Gewicht seines stürzenden Körpers riss er daran, was den Wächter ins Taumeln brachte. Ein dumpfer Schrei fuhr aus der Kehle des Normannen, im nächsten Moment trat sein Fuß ins Leere, und hilflos mit den Armen rudernd, verschwand er in die Tiefe.

Conn nahm sich nicht die Zeit nachzusehen, was aus ihm geworden war. Längst hatten seine Verfolger den Innenhof überquert und schickten sich ebenfalls an, die Mauer zu erklimmen. Kurzerhand packte Conn die Leiter und stieß sie um, worauf wütendes Geschrei von unten drang. Dann eilte er an die Zinnen.

Ein Blick hinab sagte ihm, dass es keine gute Idee gewesen wäre zu springen. Bis zum Boden waren es gut und gerne an die vier Mannslängen, und wenn er sich beim Aufprall die Beine brach, war nichts gewonnen. Folglich huschte er weiter, den Wehrgang hinab auf den Turm zu, der sich im südöstlichen Winkel der Burg erhob, während rings um ihn Pfeile durch die Dunkelheit zischten, einige davon weit weg, andere gefährlich nah.

»Ihr Idioten!«, hörte er eine Stimme rufen, die anders klang als die bisherigen. Autorität und unbändiger, nur mühsam in Zaum gehaltener Zorn sprachen aus ihr. »Holt ihn endlich da runter, hört ihr nicht? Muss ich erst einen von euch hängen lassen, ehe ihr gehorcht?«

Durch die Nacht und den Regen rannte Conn auf den Eckturm zu, der zugleich den Zugang zur Südmauer bildete, gegen deren Fundamente bei Flut das Wasser des Flusses schlug. Vielleicht …

Conn verlangsamte jäh seinen Schritt, als aus dem Eingang zum Turm ein dunkler Schatten trat – ein weiterer Wächter, in ledernem Waffenrock und mit Pfeil und Bogen bewehrt. Schon hatte er das Geschoss auf der Sehne und zog sie zurück. Conn tat, wozu die pure Verzweiflung ihm riet. Lauthals schreiend, um den Schützen einzuschüchtern, rannte er weiter und machte sich dabei so klein wie möglich. Die Sehne schnellte, der Pfeil zuckte ihm entgegen – und Conn fühlte einen brennenden Schmerz an seinem Hals.

Halb überrascht, noch auf den Beinen zu stehen, hastete er weiter und erreichte den feindlichen Schützen nur einen Herzschlag später. Der Mann war zu verblüfft oder entsetzt, um organisierte Gegenwehr zu leisten. Halbherzig hob er den Bogen, doch Conn warf sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers auf ihn, drängte ihn ins Dunkel des Turmes zurück und brachte ihn zu Fall.

Mit einem dumpfen Aufschrei gingen beide nieder, und ein verzweifelter Kampf entbrannte. Conn spürte, wie sich die Hand des Gegners um seine Kehle legte und ihm die Luft abdrücken wollte, aber infolge der Pfeilwunde, die er davongetragen hatte, war sein Hals glitschig von Blut, sodass der Normanne ihn nicht zu fassen bekam. Mit einer Drehung entwand sich Conn seinem Griff, und seine geballte Faust drosch dorthin, wo er das Gesicht des Gegners vermutete. Der Schlag blieb wirkungslos, weil er zu tief angesetzt war und nur den Kettenkragen des Wächters traf. Conn spürte, wie die Haut über den Knöcheln aufplatzte und ihm warmes Blut an der Hand herabrann. Zu einem weiteren Schlag kam er nicht, weil der Normanne nun seinerseits zuschlug, und das mit weitaus mehr Erfolg.

Conn sah Sterne vor Augen, als der mit Nieten versehene Handschutz des Bogenschützen ihn traf. Er wankte und kam seitlich zu Fall. Die Pranke seines Gegners packte ihn am Schädel und drückte ihn nieder. Vergeblich versuchte Conn sich zu befreien, schnappte in der Dunkelheit nach Luft, während er das Keuchen des Mannes im Ohr hatte, der ihm den Schädel zerquetschen wollte.

Die Sinne drohten ihm zu schwinden, als er sich plötzlich seines Traumes entsann, der blutigen Vision, die er gehabt hatte – und des Messers, das darin eine so wichtige Rolle gespielt hatte! Mit zitternden Händen griff er danach, bekam den Griff zu fassen und riss die rostige Klinge heraus.

Conn überlegte nicht lange, wie er das Messer ansetzen oder wohin er die Klinge lenken sollte. Kurzerhand stach er zu, einmal, zweimal, und plötzlich ging das Keuchen seines Gegners in einen gequälten Schrei über. »Verdammter Bastard!«

Conn schickte noch einen dritten Stich hinterher, dann schüttelte er die kraftlos gewordene Hand des Soldaten ab, rappelte sich auf die Beine und stürzte durch den Ausgang zur Südmauer nach draußen.

Er war dort nicht allein.

Nicht nur über den Burghof kamen immer mehr Wachleute und Bogenschützen angerannt; den Wehrgang herab kam eine weitere Meute, angeführt von einem hageren Kerl mit langem blondem Haar, der nur unwesentlich älter sein mochte als er selbst. In der einen Hand führte er ein blitzendes Schwert, in der anderen hielt er eine Fackel, deren Schein seine smaragdgrünen Augen gefährlich funkeln ließ. »Du!«, schrie er. »Bleib stehen!«

Conn hatte nicht vor, ihm den Gefallen zu tun. Kurzerhand wandte er sich den Zinnen zu und sprang hinauf. Den Fluss gewahrte er unter sich als tiefschwarzes Band, in das der Regen unablässig schäumende Kerben schlug. Die Tiefe, die das Wasser unterhalb der Mauer haben mochte, ließ sich unmöglich schätzen. Conn hoffte nur, dass es tief genug war.

»Er will springen! Schießt!«

Conn hörte den Befehl des Blonden, aber er scherte sich nicht darum. Als die Sehnen fauchten, hatte er bereits die Arme nach vorn geworfen und sprang so weit hinaus, wie er nur konnte, hinab in die gähnende Tiefe.

Einen kurzen Augenblick lang erfüllte ihn das triumphierende Gefühl, seinen Häschern entronnen zu sein. Dann biss ihn etwas in seinen linken Arm.

Conn kam nicht dazu, Schmerz zu empfinden oder auch nur zu erschrecken, denn der Abgrund verschlang ihn. Einen Lidschlag später stürzte er in die aufgewühlten Fluten.