»Ihr seid klug, Mylady«, knurrte Renald in einer Mischung aus Bewunderung und Feindseligkeit. »Womöglich klüger, als es für eine Frau Eures Standes gut ist.«
Ihr Gelächter wurde lauter. »Glaubt Ihr denn, ich hätte dies nicht einkalkuliert? Dass ich die Möglichkeit, Euer angeborener Starrsinn könnte unser Vorhaben vereiteln wollen, nicht angemessen berücksichtigt hätte?«
»Lacht, solange Ihr wollt. Ihr werdet mich nicht aufhalten.«
»Nein? Und wenn ich am Hof verlauten lasse, dass Guillaume nicht Euer, sondern Eures Bruders Sohn ist?«
»Tut, was Euch beliebt«, antwortete der Baron ungerührt. »Die Schande kann nicht größer werden, als sie es ohnehin schon ist.«
»Glaubt Ihr das wirklich? Was, wenn Eure treuen Gefolgsleute erführen, dass Guillaume in Wahrheit nicht Euer eigener Spross ist, sondern der Eures Bruders? Dass Ihr den guten Osbert nicht nur ins Schlafgemach Eurer Gemahlin gelassen, sondern ihn förmlich darum angefleht habt, Euch einen männlichen Erben zu schenken – aber dass Eure gekränkte Männlichkeit niemals über jene Nacht hinweggekommen ist? Dass Ihr damals nicht nur Euren Stolz, sondern auch Eure Freiheit aufgegeben habt und vom Wohlwollen und der Gnade anderer abhängig geworden seid – und dass dies der Grund dafür war, dass der arme Osbert so unerwartet von uns ging?«
Scharfsinn hatte nie zu Renald de Reins Stärken gehört, und die Sprache von Waffen und Gewalt verstand der Baron ungleich besser als jene feinsinniger Anspielungen und versteckter Drohungen. In diesem Augenblick jedoch begriff er sofort, was seine Gemahlin sagen wollte.
»Was fällt Euch ein? Ihr glaubt doch nicht etwa, dass ich …?«
»Ich glaube gar nichts. Aber ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie gut dein Bruder und Guillaume sich stets verstanden haben und wie zugetan sie einander waren – und mit welcher Eifersucht und welcher Missgunst du stets auf sie geblickt hast. Osberts unerwarteter Tod auf der Jagd kam dir gelegen, nicht wahr?«
»Du … du bist von Sinnen!«, rief der Baron entrüstet. »Osbert war mein leiblicher Bruder! Ich hätte nie etwas getan, das …«
»Die Frage ist, ob der König dies auch so sehen würde, wenn er davon erführe«, sagte Eleanor mit einer Ruhe, die nahelegte, dass sie sich der vernichtenden Wirkung ihrer Worte bewusst war und sie sich schon vor langer Zeit zurechtgelegt hatte. Einer Schar von Streitern gleich, die man in der Hinterhand behielt, um sie im entscheidenden Augenblick auf das Schlachtfeld zu schicken und dem geschwächten Gegner den Rest zu geben. »Zumal die moralischen Maßstäbe, die du bei dir anlegst, offenbar weit weniger streng sind als bei deinem König.«
Renald de Rein rang nach Luft. Sein Mund klappte auf und zu wie bei einem Fisch, der auf dem Trockenen liegt, aber kein Wort kam über seine Lippen. Der Blick seiner kleinen Schweinsaugen war starr auf Eleanor gerichtet, während ihm gleichzeitig aufging, was für eine Schlange er in all den Jahren an seiner Brust genährt hatte, ohne es zu bemerken. Schlimmer noch, er selbst hatte geglaubt, die Schlange zu sein, und musste nun erkennen, dass dies ein folgenschwerer Irrtum gewesen war. »D-das ist eine gemeine Unterstellung, für die du keinen Beweis hast«, würgte er schließlich hervor.
»Nein«, räumte sie ein. »Die Frage ist, wem der König glauben wird, wenn es darauf ankommt – jemandem, der ihm die Gefolgschaft verweigert hat und seine Pläne durchkreuzen wollte. Oder jemandem, der treu zu ihm steht.«
Ein dumpfes Ächzen entrang sich der Kehle des Barons, als ihm klar wurde, dass sie nur zu recht hatte. Niemand würde ihm Glauben schenken nach allem, was geschehen war, und man brauchte kein Hellseher zu sein, um sich auszumalen, wie der König mit einem Verräter und Brudermörder verfahren würde. Sein Vater hatte Gefolgsleute aus weit geringeren Anlässen enthaupten oder in finsteren Kerkern schmoren lassen, bis sie dem Wahnsinn verfallen und nur noch Schatten ihrer selbst gewesen waren, und zumindest in dieser Hinsicht hatte sich Rufus als gelehriger Spross erwiesen. Eleanor hatte alle Vorteile auf ihrer Seite. Sie hielt das Heft des Handelns in den Händen, und Renald war ihr auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Die Erkenntnis traf ihn so schwer und wuchtig, dass seine Knie nachgaben und er sich auf den freien Hocker fallen ließ. Mit leerem Blick starrte Renald de Rein vor sich hin, wissend, dass er alles tun musste, was seine Gemahlin und der verkommene Bastard an ihrer Seite von ihm verlangten – oder es würde sein sicherer Untergang sein.
Eleanor lächelte zufrieden. Als wäre nichts geschehen, wandte sie sich wieder ihrer Handarbeit zu, und in der Düsternis seiner Gedanken wurde dem Baron klar, dass er recht gehabt hatte.
Seine Gemahlin stand Ranulf Flambard tatsächlich in nichts nach.
12.
Köln
30. Mai 1096
Das Fest Schawuot war gekommen, aber niemand in der jüdischen Gemeinde von Köln dachte daran, die ersten Früchte des Jahres zu feiern, die Synagoge mit Blumen zu schmücken und jenes Tages zu gedenken, an dem das Volk Israel vom Herrn die Thora erhielt. Die Frommen unter den Kölner Juden hielten im Anschluss an das Morgengebet noch eine kurze Andacht, dann jedoch wandten auch sie sich den drängenden Aufgaben zu, dem Gebot des Sabbat zum Trotz.
In Windeseile hatte sich die Kunde vom nächtlichen Überfall auf die Synagoge im Viertel verbreitet, sodass es schon bei Sonnenaufgang niemanden mehr gab, der nicht um die neue Bedrohung wusste. Anders als zuvor ließ sie sich nun auch nicht mehr leugnen. Es galt als erwiesen, dass das schreckliche Schicksal, das über Mainz hereingebrochen war, auch die Kölner Gemeinde ereilen würde, und die Zeit, die den Juden blieb, um sich und zumindest einen kleinen Teil ihrer Habe in Sicherheit zu bringen, war gering.
Zwei Tage, vielleicht auch weniger, abhängig davon, wie rasch Emichos Mordbrenner gen Norden marschierten. Von dem Frieden, der noch vor einigen Wochen in der Stadt geherrscht hatte, war allerdings schon jetzt kaum noch etwas übrig, denn die Nachricht von den in Mainz begangenen Bluttaten war unter den in Köln versammelten Kämpfern begeistert aufgenommen worden. Auch wenn diesen die letzte Entschlossenheit fehlte, so kam es doch immer wieder zu Übergriffen auf Juden, die den verhängnisvollen Fehler begingen, den Schutz ihres Viertels zu verlassen. Die Stadt glich einem Wespennest, in das man gestochen hatte, und es war nur eine Frage der Zeit, wann sich die drohenden Wolken, die sich über ihr zusammengezogen hatte, in einem blutigen Ungewitter entladen würden.
»Wie ist das nur möglich, Vater?«
Chaya schüttelte verzweifelt den Kopf, während sie ein weiteres Kleid aus Seide zu der hölzernen Koffertruhe trug, die mit aufgeschlagenem Deckel in der Mitte ihrer Kammer stand. Sara, ihre Dienerin, hatte sie nach Hause geschickt, damit sie sich um die Ihren kümmern konnte. »Haben wir uns jemals etwas zu Schulden kommen lassen? Haben wir die Christen je unfreundlich behandelt?«
Isaac schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht, meine Tochter. Schon längst nicht mehr.«
»Worum geht es dann, Vater?« Sie legte das Kleid zu den anderen in die Truhe und schaute ihn fragend an. »Ich verstehe nicht, was hier geschieht. Woher kommt plötzlich all dieser Hass?«
»Dieser Hass ist schon immer da gewesen, nur zeigt er sich erst in diesen Tagen. In all den Jahren haben wir als Fremde unter Fremden gelebt. Wir haben es nur vergessen.«
»Als Fremde?« Chaya schüttelte den Kopf. »Vater, wie kannst du so etwas sagen? Dies ist meine Heimat! Die Stadt, in der ich geboren und aufgewachsen bin. Ich kenne hier jeden Stein und jedes Haus.«
»Dennoch gehörst du einem Volk an, das keine Heimat hat. Die Zeit des Friedens und der Rast, die uns beschieden war, ist ungewöhnlich lang gewesen, und so haben wir aus den Augen verloren, wer wir sind und woher wir kommen – und dass wir bei allem, was wir tun, stets der Gnade Gottes bedürfen. Nun tragen wir die Folgen unseres Hochmuts.«