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»Du hast für mich vorgesorgt?« Sie hob fragend die Brauen. »Auf welche Weise?«

Ihr Vater hielt Chayas Blick stand, entgegnete jedoch nichts. So blieb es ihr selbst überlassen, eine Antwort auf ihre Frage zu finden, und zu ihrer eigenen Bestürzung gelang es ihr sehr viel schneller, als sie zunächst gedacht hatte.

»Nein«, flüsterte sie nur und schüttelte den Kopf.

»Die Wahrheit pflegt sich stets selbst zu enthüllen.«

»Mordechai?«, fragte sie und konnte selbst kaum glauben, was sie da sagte. »Du hast mich doch an Mordechai gegeben?«

»Es ist zu deinem Besten. Mordechai Ben Neri mag ein Schlitzohr sein und ganz sicher ist er der härteste Konkurrent, den ich jemals hatte. Aber er hat mir in jener Nacht in der Synagoge auch das Leben gerettet. Und auch sein jüngstes Handeln hat gezeigt, dass sein Herz am rechten Fleck sitzt.«

»Und deswegen gibst du mich ihm zur Frau?«, fragte Chaya, die ihre Empörung kaum verbergen konnte.

»Er liebt dich.«

»Mordechai liebt vor allem sich selbst, daran hat sich nichts geändert.«

»Damit magst du Recht haben, mein Kind. Aber viele andere Dinge haben sich geändert. Dinge, die außerhalb meines Einflusses liegen und auf die ich dennoch reagieren muss.«

»Indem du mich an Mordechai verschacherst?«, rief Chaya. Ihr war klar, dass dieser Vorwurf ungehörig war und weit über das hinausging, was für eine gute Tochter schicklich gewesen wäre, aber es war ihr gleichgültig. Als ob es noch nicht schlimm genug gewesen wäre, dass sich die ganze Stadt plötzlich gegen sie gewandt hatte und ein Heer von Judenhassern auf Köln zumarschierte, machte der einzige Mensch, der ihr geblieben war und an den sie sich in all der Unsicherheit geklammert hatte, ihr nun auch noch klar, dass er sie verlassen und in die Obhut eines anderen Mannes geben würde. Eines Mannes, den sie weder liebte noch respektierte und in dessen Gesellschaft sie dennoch den Rest ihres Lebens verbringen sollte.

Der Gedanke war ihr so unerträglich, dass ihr Magen sich zusammenzog. Hätte sie den Morgen über nicht gefastet, hätte sie sich übergeben. So krümmte sie sich nur und ging in die Knie. Isaac war sofort bei ihr, um sie aufzufangen.

»Chaya«, flüsterte er ihr beschwörend zu, »bitte verzeih mir! Ich hatte keine andere Wahl!«

»Seit … seit wann wusstest du es schon, Vater?«

»Erst seit heute Morgen. Auf dem Rückweg vom Haus des Bischofs haben Mordechai und ich eine Absprache getroffen. Er erhält das Kontor und alles, was sich darin befindet. Im Gegenzug hat er sich um dich zu kümmern und darf es dir an nichts fehlen lassen.«

»Eine stolze Mitgift, fürwahr«, stieß sie zwischen zwei Krämpfen hervor. Sie würgte und hatte das Gefühl, die Sinne müssten ihr vergehen, aber zu ihrer Enttäuschung blieb sie bei Bewusstsein.

»Mordechai hat nicht nach einer Mitgift verlangt. Er hätte sich auch so bereit erklärt, die Ketubba zu unterzeichnen und sich deiner anzunehmen. Aber ich habe darauf bestanden, um dich mit materiellen Gütern gut versorgt zu wissen.«

»Sich meiner anzunehmen?« Chaya glaubte, nicht recht zu hören. »Als ob ich eine Last wäre, die er zu tragen hätte.«

»Nicht er hat um eine Gunst gebeten, sondern ich. Das wollen wir nicht vergessen.«

Chaya drehte den Kopf und schaute ihren Vater verzweifelt an. »Habe ich dazu nicht auch noch etwas zu sagen?«

»Nicht in diesem Fall, meine Tochter«, antwortete Isaac ebenso sanft wie endgültig und strich ihr tröstend über den Scheitel, wie er es früher getan hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. »Sosehr ich es bedaure. Die Entscheidung musste getroffen werden.«

»Kannst du nicht von deinem Versprechen zurücktreten? Kann sich nicht ein anderer auf jene Mission begeben? Nur dieses eine Mal?«

»Glaub mir, meine Tochter, das würde ich gerne. Aber es ist nicht möglich.«

»Warum nicht, Vater?« Chayas Magen hatte sich ein wenig beruhigt, sie schaute fragend zu ihm auf.

»Die Gründe kann ich dir nicht enthüllen, mein Kind.«

»Dennoch erwartest du, dass ich mich füge.« Obwohl sie es nicht wollte, füllten sich ihre Augen mit Tränen.

Der alte Isaac erwiderte ihren Blick, und einen Moment lang hatte es den Anschein, als könnte er ihre Bitterkeit nicht ertragen und würde seinen Sinn noch einmal ändern. Dann aber schüttelte er den Kopf: »Du hast keine Wahl mein Kind, so wenig wie ich oder irgendjemand sonst. Erinnere dich nur an das, was dem Propheten Jona widerfuhr, als er sich weigerte, den Willen des Herrn zu erfüllen.«

Mit verschwimmendem Blick starrte sie ihren Vater an, dessen Entscheidung unverrückbar feststand, und Chaya fühlte, wie sie in den dunklen Abgrund der Verzweiflung stürzte, der sie verschlang wie jenes Ungeheuer den Propheten.

13.

Das Rauschen hatte irgendwann aufgehört und war dumpfer Stille gewichen. So lange, bis es von verhaltenem Gemurmel und schrägem Gesang abgelöst wurde – und sich der beißende Gestank von Schweiß, Ale und Exkrementen wie eine Messerklinge in Conns Nase bohrte.

Schlagartig kam er zu sich.

In der Überzeugung, noch immer unter Wasser zu sein und um sein Überleben kämpfen zu müssen, schoss er hoch und schlug mit den Händen um sich, aber rings um ihn war nichts als schwüle, von strengen Gerüchen durchzogene Luft. Als ihn plötzlich eine Hand an der Schulter packte und ihn sanft, aber bestimmt auf ein strohgedecktes Lager zurückdrückte, stieß Conn einen überraschten Laut aus.

Erst jetzt öffnete er die Augen.

Das Licht war gedämpft. Laternen, die von einer rußgeschwärzten Decke hingen, irgendwo ein flackerndes Feuer. Und während er den Rest seiner Umgebung nur schemenhaft ausmachen konnte – dem Gemurmel und den Gerüchen nach befand er sich in einer Taverne –, schälten sich im Vordergrund zunächst die Umrisse und schließlich auch die Gesichtszüge eines großen Mannes aus dem Halbdunkel.

Seiner Kleidung und dem kurz getrimmten schwarzgrauen Haar nach zu urteilen war er Normanne. Eine schmale Nase und hervorspringende Wangenknochen prägten das wettergegerbte Gesicht, dessen Kinn von einem schmalen Bart gesäumt wurde. Das linke Auge des Hünen wurde von einer ledernen Klappe bedeckt, eine senkrecht verlaufende Narbe war darunter zu erahnen, vermutlich die Folge eines Schwerthiebs. Das andere Auge jedoch war von rätselhaft grüner Färbung und blickte durchdringend auf Conn herab.

»Wie geht es dir?«, wollte der Fremde wissen, dessen Alter Conn auf Anfang fünfzig schätzte. Seine Stimme klang rau, aber nicht drohend.

»G-ganz gut«, krächzte Conn, der sich nicht erklären konnte, wie er in das Wirtshaus, geschweige denn in die Obhut des Normannen gelangt sein konnte. Wer war der Kerl? Ein Scherge des Königs?

Conn schoss in die Höhe, um rasch das Weite zu suchen, als ihn ein stechender Schmerz in seinem linken Arm daran erinnerte, was zuletzt geschehen war. Erschrocken schaute er an sich herab, aber der Pfeil war nicht mehr da. Stattdessen war sein Unterarm mit einem Streifen Leintuch verbunden worden, und obwohl der Stoff eine dunkel gefärbte Stelle aufwies, schien die Blutung inzwischen aufgehört zu haben. Conn griff an seinen Hals. Auch dieser war verbunden, die Blutung ebenfalls gestillt worden. Von einigen Beulen abgesehen, die Conn ertastete, hatte sein Kopf offenbar keinen größeren Schaden genommen.

»Du hattest verdammtes Glück«, sagte der Einäugige, während er Conn wieder auf das Lager drückte. »Wenn ich dich nicht gefunden hätte …«

»M-mich gefunden?«

»Am Flussufer.« Der Normanne grinste. »Hast dich im Schlamm gesuhlt wie ein Frischling. Ich habe deine Wunden gereinigt, so gut es ging. Wollen hoffen, dass sie sich nicht entzünden.«