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»Ihr … Ihr sprecht von …«

»… von den materiellen Fundamenten, auf denen unser Glaube begründet liegt. Von jenem Kelch, den der Herr beim letzten Abendmahl reichte und nach dem schon so viele vor uns gesucht haben; von jenem Kreuz, an das er geschlagen und das für uns zur Erlösung wurde; und von jenem Speer, den der römische Hauptmann in seine Seite stieß.«

»Und Ihr glaubt, all diese Dinge wären tatsächlich zu finden?«, fragte Guillaume, der sowohl seine Verblüffung als auch seine Zweifel nicht länger verbergen konnte.

»Aus zuverlässiger Quelle wissen wir, dass sie existieren und sich noch immer im Heiligen Land befinden. Es ist unsere Aufgabe, sie den Heiden zu entreißen und der Christenheit zurückzugeben. Nicht zu unserem Ruhm, sondern nur zu dem des Herrn. Aber versucht nur für einen Augenblick, Euch vorzustellen, welcher Lohn denjenigen erwartet, der jene weltlichen Hinterlassenschaften findet und sie im Namen des Herrn wiederherstellt – und damit aller Welt beweist, dass unser Glaube der einzig wahre und das Himmelreich nahe ist.«

Guillaume stand wie vom Donner gerührt.

Auch wenn es weniger der unsterbliche Lohn war, der ihn reizte, als vielmehr jener der diesseitigen Welt, hatte der Vermummte fraglos recht. Wenn schon ein einziger päpstlicher Appell unter Edlen wie Gemeinen für solchen Aufruhr sorgte, um wie vieles mehr würde dann eine heilige Reliquie, ein handfester Beweis dafür, dass ihre Hoffnung nicht vergeblich war, den Glauben dieser armen Narren beflügeln? Wie Wachs würden sie in den Händen desjenigen sein, der ein solches Artefakt recht zu gebrauchen wusste. Sein Einfluss würde sich nicht nur auf die weltlichen Machthaber erstrecken, sondern auch auf jene der Kirche. Tore würden sich öffnen, die sonst verschlossen blieben, womöglich sogar im fernen Rom.

Die Möglichkeiten, die sich aus diesen Gedankenspielen ergaben, faszinierten Guillaume, und er begriff jäh, weshalb seine Mutter ihn an diesen Ort gebracht und ihren Einfluss geltend gemacht hatte, um ihn der Bruderschaft vorzustellen. Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit verschaffte sie ihm damit die Gelegenheit, seine Macht und seinen Einfluss sprunghaft zu erweitern, geradeso, als hätte sie all dies schon vor langer Zeit geplant. Dass sie dabei im Verborgenen gewirkt hatte und es Männern wie Renald de Rein oder Ranulf Flambard gestattete, sich weiterhin mit der Vorstellung zu betrügen, das Heft des Handelns selbst in den Händen zu halten, verstörte Guillaume, aber es rang ihm auch höchste Bewunderung ab.

Natürlich war ihm klar, dass dieses Bündnis nicht nur Vorteile brachte, dass die Bruderschaft auch Erwartungen an ihn haben würde, die sie durch sein Zutun erfüllt sehen wollte. Aber fraglos bot es ihm eine weitere Möglichkeit zu wachsen, und Guillaume wusste nun endlich, was er zu tun hatte, um diese Möglichkeit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.

»Eine heilige Aufgabe, fürwahr, und ich bin mehr als bereit dazu«, bestätigte er mit feierlicher Stimme.

»Seid Ihr auch bereit, dies zu beschwören und den feier­lichen Eid der Bruderschaft zu leisten?«

»Das bin ich«, versicherte er ohne zu zögern.

»So zieht Euer Schwert, Herr Ritter«, verlangte der Vermummte von Guillaume, der der Aufforderung bereitwillig nachkam. Er hielt die Waffe mit der Spitze nach unten und umfasste die Klinge ein Stück unterhalb der Parierstange, sodass sie an ein Kreuz erinnerte. »Wollt Ihr bei Eurem Glauben schwören, fortan Eurer ganzes Leben, all Eure Kraft und Euer Schwert in den Dienst der Suche zu stellen?«

»Ich schwöre«, erwiderte Guillaume.

»Wollt Ihr weiterhin schwören, über die Existenz dieser Bruderschaft und ihrer heiligen Aufgabe Stillschweigen zu bewahren und es auch bei Gefahr Eures Lebens nicht zu brechen?«

»Auch das schwöre ich.«

»Und wollt Ihr fürderhin geloben, Euren Waffenbrüdern die Treue zu halten, so wie Ihr Eurem Glauben und Gott selbst die Treue haltet?«

»Ich gelobe es.«

»So empfangt das Zeichen, das Euch zu einem der Unseren macht, Guillaume de Rein«, sagte der Wortführer und trat beiseite. Dadurch gab er den Blick auf einen schmiedeeisernen Korb frei, der zu Guillaumes Unbehagen mit glimmenden Kohlen gefüllt war. In der orangeroten Glut steckte ein Eisen.

Ungerührt schob der Vermummte sein Schwert in die Scheide zurück, griff nach dem Eisen und zog es heraus. Guillaumes Augen weiteten sich, als er das glühende Ende der etwa zwei Ellen langen Stange erblickte, das in Form eines Kreuzes gehalten war.

Ein Brandeisen!

Unwillkürlich machte er einen Schritt zurück, nur um festzustellen, dass zwei der übrigen Vermummten ihre Plätze verlassen hatten und nun hinter ihm standen. Ihren Augen, die zwischen Helmkante, Nasenschutz und Kettengeflecht hervorspähten, war nicht zu entnehmen, was sie fühlten. Aber sie waren ganz offenbar dazu da, ihn nötigenfalls an die Endgültigkeit des Schwures zu erinnern, den er soeben abgelegt hatte.

Guillaumes Atem beschleunigte sich, sein gehetzter Blick ging in Richtung des Anführers, der gemessenen Schrittes auf ihn zutrat, das Gluteisen in der Hand.

»Macht Euren rechten Arm frei, Herr Ritter.«

Guillaume merkte, wie ihm Schweiß auf die Stirn trat. Seine Augen zuckten in ihren Höhlen umher und suchten krampfhaft nach einem Ausweg, nach einer Möglichkeit, wie er sich diese Qual ersparen konnte – aber er fand keine. Was auch immer er sagen, was auch immer er unternehmen würde, würde nur seine Glaubwürdigkeit untergraben. Ob es ihm also gefiel oder nicht, er würde zu seiner Entscheidung stehen müssen, zumindest dieses eine Mal.

Obwohl er sich Mühe gab, sich seine Angst nicht anmerken zu lassen, bebten seine Hände, als er die rechte Hand ausstreckte und den mit einer gestickten Borte versehenen Ärmel der Tunika zurückschlug. Bleiche, nackte Haut kam darunter zum Vorschein, auf der kleine Schweißperlen standen und die in Erwartung des Schmerzes schon jetzt von roten Flecken übersät war.

Der Mann mit dem Eisen trat vor ihn. Sein prüfender Blick war so stechend, dass Guillaume das Gefühl hatte, er würde an seinem Hinterkopf wieder austreten.

»Von Bruder zu Bruder«, erklärte der Vermummte.

»Von Bruder zu Bruder«, wiederholte Guillaume, obwohl er dem anderen für das, was er ihm anzutun im Begriff war, lieber ins Gesicht gespuckt hätte.

Er vermied es, seinen Arm noch einmal anzusehen, und starrte stur geradeaus. Er spürte, wie die behandschuhte Rechte des Fremden seine Hand ergriff, wartete einen entsetzlichen, quälenden Augenblick lang – und dann kam der Schmerz, zusammen mit einem Zischen und dem ekelerregenden Gestank von verbrannter Haut.

Guillaume hätte seine Qual und die ohnmächtige Wut, die er empfand, am liebsten laut hinausgebrüllt. Stattdessen presste er Zähne und Lippen fest aufeinander, bis sein Mund zu einem dünnen, blutleeren Strich geworden war. Dass ihm Tränen in die Augen traten, konnte er allerdings nicht verhindern.

Die Sinne drohten ihm zu schwinden, so überwältigend war der Schmerz, zu seiner eigenen Enttäuschung jedoch blieb Guillaume bei Bewusstsein. Er zwang sich dazu, an sich herabzublicken, auf die noch schwelende Wunde, die der Vermummte ihm beigebracht hatte und die nun für immer auf seinem Unterarm prangen würde.

Das Symbol der Bruderschaft. Ein Kreuz, dessen vier gleich lange Arme sich nach außen verbreiterten.

»Signum quaerentium«, erklärte der Vermummte.

Guillaume nickte.

Das Zeichen der Suchenden.

Mit dem Rücken der linken Hand wischte er sich Tränen und Schweiß aus dem Gesicht. Sein Puls raste noch immer, und ihm war speiübel. Aber gleichzeitig empfand er auch Erleichterung – und Stolz. Das befriedigende Gefühl, etwas zu Ende gebracht zu haben, das er begonnen hatte.

»Nun denn«, sagte der Ritter, der das Wort geführt und ihm das Zeichen eingebrannt hatte. Er steckte das Eisen in den Korb zurück, dann gingen er und die anderen Vermummten dazu über, das Kettengeflecht von ihren Gesichtern zu lösen und die Maskerade zu beenden. Jetzt, da Guillaume einer der Ihren geworden war, bestand keine Notwendigkeit mehr, die Züge vor ihm zu verhüllen.