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Unter dem Helm seines Peinigers kam ein ebenmäßiges Antlitz zum Vorschein, das leicht gebräunt war und dessen untere Hälfte von einem schwarzen, säuberlich gestutzten Kinnbart gesäumt wurde. Der schmale Mund lächelte schwach, die dunklen Augen, die das südländische Erbe verrieten, schauten Guillaume herausfordernd an.

»Eustace de Privas«, stellte er sich vor und bestätigte damit endgültig Guillaumes Vermutung, es mit Edlen aus dem Süden zu tun zu haben. Der Ritter mochte an die zehn Jahre älter sein als Guillaume, und obschon sich sein Lächeln verbreiterte und Freundschaft anzubieten schien, konnte Guillaume nicht anders, als einen Konkurrenten in ihm zu sehen.

Um Macht.

Um Einfluss.

Um Reichtum und Ruhm.

Dennoch legte sich auch über seine Züge ein Lächeln. »Ich danke Euch, Bruder Eustace, für die Gunst, die Ihr mir erwiesen habt – und zu den Schwüren, die ich bereits geleistet habe, füge ich noch einen weiteren hinzu und gelobe, dass ich Euch dies nie vergessen werde.«

17.

Vienne

September 1096

Es war so gekommen, wie der redselige Bertrand es vorhergesagt hatte. Bereits wenige Tage nachdem Conn am Brunnen der feurigen Rede des rothaarigen Mönchs gelauscht hatte, war der Abmarsch aus Rouen erfolgt. Schon kurz darauf hatte sich das Heer mit der Hauptstreitmacht aus Caen vereint, die der Herzog der Normandie persönlich befehligte. Natürlich bekam Conn den Sohn des Eroberers nicht zu sehen, ebenso wenig wie seinen Schwager Stephen de Blois oder einen anderen der hohen Herren, die im weiteren Verlauf des Marsches hinzustießen. Aber er war mehr als beeindruckt von der Größe, die die Streitmacht schon nach wenigen Tagen angenommen hatte.

Die Vorhut, die abwechselnd von den verschiedenen Gruppierungen des Heeres gestellt wurde, ritt dem riesigen Gebilde voraus, das sich einem gewaltigen Lindwurm gleich nach Süden wälzte. Ihr folgte das Hauptkontingent des Heeres, die Landlords und Fürsten mit ihren Rittern und Vasallen. Eine feste Ordnung gab es nicht; wer an welcher Stelle marschierte, hing davon ab, welchen Rang sein jeweiliger Herr in der Hie­rarchie des Feldzugs bekleidete. Allen voraus ritten freilich der Herzog und seine Getreuen, ihnen folgten sein Schwager sowie ein Kontingent flämischer Ritter unter der Führung des Grafen von Flandern, der ebenfalls Robert hieß und dessen Reichtum so sagenhaft war, dass er, wie es hieß, den Heereszug seiner Männer aus eigener Tasche bezahlte.

Den Anführern des Heeres schlossen sich deren Gefolgsleute an, zuvorderst die Reiter, dann das Fußvolk. Irgendwo inmitten des unüberschaubaren Pulks aus Kettenhemden und Lanzen, die über der Schulter getragen wurden und an deren Enden bunte Fahnen wehten, marschierten auch jene normannischen Kämpfer, die sich der Streitmacht von England aus angeschlossen hatten, und mit ihnen auch der wackere Baldric, der unentwegt plappernde Bertrand, der schweigsame Remy und Conn. Dem Hauptkontingent wiederum folgte ein nicht enden wollender Tross, der unzählige Handwagen und Ochsenkarren mitführte und dem neben Köchen, Schmieden, Sattlern und Zimmermeistern auch zahllose Frauen und Kinder angehörten. Angesichts der Tatsache, dass der Feldzug fraglos mehrere Monate, wenn nicht gar Jahre dauern würde, hatten sich viele Kämpfer entschlossen, ihre Familien auf die lange Reise mitzunehmen. Auch edle Frauen begleiteten in großer Anzahl ihre Männer, freilich hoch zu Ross und von einem dichten Kordon Bewaffneter umgeben, die dafür sorgten, dass kein begehrlicher Blick eines niederen Soldaten die hohen Damen und ihre Dienerinnen treffen konnte. Dazu kamen Mönche, fratres und Laienbrüder, die sich ebenfalls entschlossen hatten, dem Ruf ins Heilige Land zu folgen und sich so ihr Seelenheil schon zu Lebzeiten zu erwerben.

Die Erfahrung des langen Marsches war neu für Conn, aber er nahm dankbar zur Kenntnis, dass infolge der Strapaze und der Gleichförmigkeit eines jeden Tages seine Trauer in den Hintergrund trat. Noch vor Sonnenaufgang erscholl der Weckruf, und es gab eine Mahlzeit, die je nachdem, ob man in den Diensten eines wohlhabenden oder eher ärmlichen Herren stand, üppig oder knapp ausfiel. Obschon Baldric nicht besonders begütert schien und nur ein einziges Pferd sein Eigen nannte, sorgte er stets dafür, dass Conns Magen gefüllt und er bei Kräften blieb. Danach begann der Tagesmarsch, der nur zur Mittagsstunde kurz unterbrochen wurde, wenn die Sonne den Zenit erreichte.

Je weiter sie nach Süden gelangten, desto heißer wurde es, sodass die Erhebungen Frankreichs zum ersten Prüfstein für das Heer der – so nannten sie sich inzwischen – Kreuzfahrer wurde. Noch war man jedoch guter Dinge. Sobald die Hitze des Tages ein wenig nachließ, wurden nicht selten Lieder angestimmt, religiösen Inhalts zumeist, aber hin und wieder auch andere, zum Missfallen der Kirchendiener, die das Heer begleiteten.

Vor Sonnenuntergang wurde das Nachtlager aufgeschlagen, und es oblag jedem einzelnen Kämpfer, für seinen Schlafplatz zu sorgen. Der überwiegende Teil nächtigte unter freiem Himmel, was infolge des milden Wetters in diesen späten Sommertagen problemlos möglich war; die wohlhabenderen Kämpen und ihre Familien schliefen hingegen in Zelten, die ihre Untergebenen für sie errichteten, oder fanden in benachbarten Dörfern und Bauernhäusern Zuflucht, deren ursprüngliche Bewohner entweder freiwillig das Feld räumten oder kurzerhand an die Luft gesetzt wurden.

An sich wäre Conn damit bedient gewesen, nach dem Nachtmahl, das aus Brot, Käse und einem Stück Pökelfleisch bestand, auf sein Lager zu sinken, sich in seine Decke zu hüllen und zu schlafen – doch Baldric ließ es nicht dazu kommen. Zum einen gab es immer noch Pflichten, die Conn zu versehen hatte – vom Auffüllen der Wasserschläuche über das Füttern und Tränken des Pferdes bis hin zum Ausbessern von Kleidung und Ausrüstung. Zum anderen schien es sich der Normanne aber auch in den Kopf gesetzt zu haben, die Zeit bis zum Eintreffen im Heiligen Land zu nutzen, um aus Conn einen halbwegs brauchbaren Schwertkämpfer zu machen.

»Den Schild hoch«, beschied er ihm barsch, während sie sich im Schein lodernder Fackeln gegenüberstanden, auf einer Hügelkuppe, unterhalb derer sich das Feldlager erstreckte. »Oder willst du unbedingt dein Gebiss verlieren?«

Um seine Warnung zu unterstreichen, führte der Normanne sein Schwert in einer waagerechten Kreisbewegung, so rasch, dass Conn kaum noch reagieren konnte. Zwar gelang es ihm, den Schild ein wenig anzuheben, sodass er zumindest seine Kinnpartie schützte. Aber es reichte nicht aus, um Baldrics kraftvollen Hieb ganz abzuwehren. Die Klinge strich über die obere Kante des Schildes hinweg, und Conn konnte von Glück sagen, dass sie nicht aus geschärftem Metall bestand, sondern lediglich aus Holz, das ihm zwar eine gehörige Maulschelle versetzte, Wange und Kiefer jedoch beisammenließ.

Der Schmerz war dennoch recht beeindruckend; einen Augenblick lang tanzten Sterne vor Conns Augen. Bemüht, sich außer Reichweite seines Gegners zu bringen, taumelte er ein, zwei Schritte zurück. Da es jedoch bereits dunkel war und die im Boden steckenden Fackeln den Kampfplatz nur unzureichend beleuchteten, übersah er eine Vertiefung im morastigen Boden und verlor das Gleichgewicht. Mit einem dumpfen Aufschrei stürzte er nach hinten und landete auf dem Allerwertesten, geradewegs in einer Dreckpfütze, die nach allen Seiten spritzte. Die Eisenhaube auf seinem Kopf rutschte nach vorn und nahm ihm die Sicht, sodass er sich vorkam wie ein ausgemachter Trottel. Hastig schob er den Helm zurück in den Nacken – nur um zu sehen, dass die hölzerne Spitze von Baldrics Übungsschwert bereits an seiner Kehle schwebte.

»Junge«, stöhnte der Normanne und verdrehte das eine Auge, »wäre dies eine echte Klinge und wäre ich ein echter Gegner, so würdest du jetzt schon vor deinem Schöpfer stehen.«