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Jäh weitete sich Conns Blickfeld wieder, und er schaute in die vertrauten Züge von Bertrand, der ihn mit einer Mischung aus Sorge und Ungeduld ansah. Seine beiden Hände umklammerten dabei Conns unverletzten Waffenarm.

»Lass mich los!«, verlangte Conn wütend.

»Zu welchem Zweck?«, fragte der Normanne ungerührt. »Mir will scheinen, dies führt zu keinem guten Ende.«

»Das ist mir egal«, schrie Conn so laut, dass die Männer, die ringsum an ihren Feuern saßen, aufmerksam wurden und herüberschauten. Andere, die bereits geschlafen hatten, wurden wach und stießen bittere Verwünschungen aus. »Ich werde dieses Schwein …«

»Gar nichts wirst du«, fiel Bertrand ihm ebenso energisch wie barsch ins Wort, und zum ersten Mal bekam Conn zu spüren, dass sich hinter der gedrungenen, harmlos wirkenden Statur des Normannen beträchtliche Körperkraft verbarg. »Steck das Messer wieder ein, Junge, und halte den Mund. Oder willst du unbedingt hängen?«

Conn wehrte sich mit verzweifelter Kraft, aber er hatte keine Möglichkeit, dem Griff des älteren und sehr viel erfahreneren Kämpfers zu entkommen. Schließlich sah er ein, dass sein Widerstand keinen Zweck haben würde, zumal Guillaume de Rein längst verschwunden war. So plötzlich, wie die Dunkelheit ihn ausgespien hatte, hatte sie ihn wieder aufgenommen.

Als Bertrand merkte, dass Conn aufgab, lockerte er seinen Griff ein wenig. »Du kennst Guillaume de Rein?«

Conn nickte. Was hätte er es auch leugnen sollen?

»Aber du hast offenbar wenig Grund, ihn zu lieben«, forschte der Normanne weiter nach.

»Nicht einen einzigen«, sagte Conn nur. Seine Mundwinkel verzerrten sich vor Abscheu.

Bertrand schaute ihn prüfend an. »Ich verstehe. Aber der gute Herr Baldric hat dich ganz sicher nicht gerettet, damit du bei der ersten sich bietenden Gelegenheit dein Leben sinnlos verschleuderst. Geht das in deinen angelsächsischen Dickkopf?«

Conn nickte, und während sich sein Zorn allmählich wieder legte und einer stummen Leere wich, ging ihm erst auf, was für ein überaus seltsames Gespräch er mit Bertrand führte. War Baldrics Gefolgsmann nicht ebenfalls Normanne? Und hatte zu Hause in England die oberste Überlebensregel nicht gelautet, niemals einem Normannen zu vertrauen? Aber wenn dies so war, weshalb bestürmte Bertrand Conn dann nicht mit Fragen und versuchte herauszufinden, welche Art Feindschaft er gegen einen seiner eigenen Leute hegte? Und hätte er ihn, da er Conns Absichten ja ganz offenbar durchschaute, nicht niederschlagen und ihn seiner Waffe berauben müssen? Oder ihn zumindest Guillaume de Reins Leuten übergeben

müssen?

Bertrand jedoch schien nicht einmal einen Gedanken daran zu verschwenden. Stattdessen bedachte er Conn mit einem letzten warnenden Blick und entließ ihn dann vollends aus seinem Griff.

»Du … du kennst de Rein ebenfalls«, sprach Conn die Vermutung, die ihm durch den Kopf schoss, laut aus.

»Ein wenig. Jedoch gut genug, um zu wissen, dass es ratsam ist, sich von ihm und seinem Vater fernzuhalten.«

»Aber …«

»Kein aber. Wenn du tust, wozu dein Gefühl dir rät – und ich glaube zu wissen«, fügte der Normanne mit Blick auf Conns Dolch hinzu, »was das ist –, so wirst du entweder am Galgen enden oder gleich getötet, zumal du Guillaume de Rein im Kampf nicht das Wasser reichen könntest. Folglich wirst du deine unsterbliche Seele im Fegefeuer wiederfinden, wenn nicht gar im dunkelsten Höllenpfuhl. Bist du sicher, dass du ein derart sinnloses Opfer bringen willst?«

Conn schaute ihn verblüfft an.

Er war noch immer wütend, inzwischen aber wieder so bei Verstand, dass er einen klaren Gedanken fassen und ihn auch zu Ende bringen konnte. Somit kam er nicht umhin zuzugestehen, dass Bertrand recht hatte. Die Gefahr ewiger Verdammnis hätte Conn auf sich genommen, wenn dafür garantiert gewesen wäre, dass Guillaume de Rein seine gerechte Strafe erhielt. Aber dies war tatsächlich äußerst fraglich, denn abgesehen von seinem Hass war Conn nicht darauf vorbereitet, Nias Mörder gegenüberzutreten, zumal ihn die Verwundung am Arm zusätzlich beeinträchtigen würde.

Er würde seine Rache einmal mehr aufschieben müssen, aber er hatte eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Die de Reins hatten sich dem Feldzug ebenfalls angeschlossen und reisten im selben Kontingent wie er, was bedeutete, dass er in ihrer Nähe war und sie ihm nicht entkommen konnten. Entdeckung brauchte er wohl nicht zu fürchten, denn Guillaume de Rein und er hatten sich zwar in jener Nacht auf den Zinnen der Königsburg kurz gegenübergestanden, doch fraglos hatte sich ihm die Fratze des Mörders ungleich tiefer ins Gedächtnis eingebrannt als sich sein Gesicht dem jungen Herrn de Rein, für den ein Angelsachse aussah wie der andere. Vermutlich, dachte Conn bitter, erinnert sich de Rein noch nicht einmal an die junge Frau, die er wie einen Hund geprügelt und zu Tode vergewaltigt hatte.

Wieder verspürte er tiefen Zorn, aber diesmal behielt er die Kontrolle.

Es war zu früh, um sich Guillaume de Rein zu stellen.

Aber sie reisten gemeinsam, und von dieser Stunde an hatte auch Conn einen erklärten Grund, mit den Kreuzfahrern gen Osten zu ziehen, auch wenn seine Motive weniger hehr waren als jene Baldrics und er sein Seelenheil wohl eher verlieren als gewinnen würde.

18.

Kloster Cerreto

September 1096

Isaac Ben Salomon hatte gehorcht.

Dem Versprechen, das er einst gegeben hatte, sowie der bitteren Notwendigkeit. Und auch jener inneren Stimme, die ihm geraten hatte, dem Willen seiner Tochter nachzugeben und sie mitzunehmen auf die weite und gefahrvolle Reise. Chaya hatte sich dieser Entscheidung in jeder Hinsicht würdig und gewachsen erwiesen.

In Männerkleider gehüllt und als Isaacs Diener getarnt, hatte sie Köln zusammen mit ihrem Vater am Tag nach Schawuot verlassen. Jener Stadt den Rücken zu kehren, in der sie aufgewachsen war und wo sie den größten Teil ihres bisherigen Lebens verbracht hatte, war Chaya nicht leichtgefallen, obschon ihr Vater ihr immer wieder vor Augen führte, dass Köln zwar die Stätte ihrer Geburt sein mochte, ganz sicher jedoch nicht ihre Heimat war. Denn diese lag weit im Osten, jenseits des Meeres und umgeben von den kargen Gebirgen Syriens und der weiten Wüste des Sinai. Mit Gottes Hilfe würde Chaya sie schon bald zu sehen bekommen.

Um den Mordbrennern und Eiferern zu entgehen, die entlang des Rheins ihre Lager aufgeschlagen hatten, hatten sie sich für die östliche Route entschieden und die Mitte des Reiches durchwandert, das ihnen lange Zeit sichere Zuflucht geboten hatte, nun jedoch zum Feindesland zu werden drohte. Teils waren sie zu Fuß gereist, teils auf Ochsenkarren, deren Besitzer Isaac für die Mitnahme bezahlt hatte; später dann hatte er zwei Maultiere erstanden, auf denen sie ein gutes Stück des Weges ritten und die grau und unauffällig genug waren, um nicht aufzufallen – denn in diesen dunklen Tagen konnte selbst der Anblick eines prächtigen Reitpferdes schon genügen, um blutigen Hass hervorzurufen, wenn ein Jude darauf saß.

Von Fulda waren sie nach Würzburg gelangt und von dort nach Augsburg, stets wachsam und die großen Städte meidend aus Sorge, dort ähnliche Bedingungen vorzufinden wie an Mosel und Rhein. Durch die südlichen Herzogtümer – das Wetter hatte sich bereits verschlechtert, und es regnete in Strömen – hatten sie sich schließlich den Alpen genähert, die sich zunächst als fernes gezacktes Band, dann aber als trutzige, schier unüberwindliche Mauer aus kargem Fels erwiesen hatten, deren bereits schneegekrönte Gipfel sich zumeist in düstere Wolken hüllten.

Die dunklen Wälder, die den Fuß der Berge säumten, gemahnten an die Zeit, da das Land noch jung und kaum von Menschen besiedelt gewesen war. Die Städte wurden kleiner, die Anzahl der Dörfer nahm nach Süden hin beständig ab. Entsprechend wurden auch die Menschen immer weniger, und es hatte fast den Anschein, als würde am Rand der Berge das kultivierte Ackerland von üppig wuchernder Wildnis verschlungen.