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»… und den Eiter ausfließen lassen, um sie zu säubern«, fuhr der junge Jude unbeirrt fort.

»Das kommt nicht in Frage«, widersprach Conn. »Ich werde gewiss nicht …«

»Es ist deine Entscheidung. Aber wenn nicht bald etwas passiert, wirst du den Arm verlieren. Und wenn das nicht rechtzeitig geschieht, auch dein Leben.«

Die Entscheidung war Conn nicht besonders schwergefallen.

Seine Vorbehalte hatte er noch immer, und er war alles andere als begeistert von dem Gedanken, dass der großmäulige Diener des alten Isaac mit einem glühenden Messer in seiner schwärenden Wunde stochern würde. Aber er sah ein, dass er keine andere Wahl hatte – wie so häufig in letzter Zeit.

Früher war Conn frei gewesen, frei in seinen Gedanken wie auch in den Dingen, die er tat. Seit jener schicksalhaften Nacht jedoch wurde er das Gefühl nicht los, dass fremde Mächte sein Leben bestimmten, und anders als der ehrfürchtige Baldric war er nicht in der Lage, dahinter göttliche Vorsehung zu vermuten.

Sie hatten die Herberge aufgesucht, in der der Kaufmann und sein Diener abgestiegen waren, ein mehrstöckiges Gebäude am Ende einer langen Gasse, in der jüdische Geldverleiher ihre bisweilen zweifelhaften Dienste anboten. Auch Isaac billigte ihre Methoden nicht, wie er betonte, jedoch sei anderswo in der Stadt kein Quartier mehr zu bekommen gewesen.

Ilan bestand darauf, Conn mit nach oben in die Unterkunft zu nehmen, um die Wunde dort zu versorgen. Der Gedanke schien Isaac zunächst nicht zu gefallen, aber schließlich willigte er ein, und so blieben Baldric und er im Schankraum zurück, während Conn Ilan nach oben begleitete, sengende Schmerzen im Arm und ein flaues Gefühl in der Magengegend.

Die Kammer war nicht sehr groß, und durch das Fenster, das auf die schmale Gasse blickte, drang so wenig Licht, dass Ilan eine Kerze entzünden musste. Er forderte Conn auf, sich an den kleinen Tisch zu setzen, der die Mitte der Kammer einnahm. Dann ging er im flackernden Licht daran, die vor Eiter und Nässe glänzende Wunde zu säubern. Bei jeder Berührung zuckte Conn zusammen.

»Was?«, fragte Ilan indigniert, der seine Kapuze noch immer nicht abgenommen hatte.

»Es tut verdammt weh«, knurrte Conn.

»Willst du, dass ich dir helfe?«

Conn brummte eine unverständliche Erwiderung, und der Junge fuhr damit fort, die Wunde abzutupfen und zu reinigen. Dabei rutschte ihm die Kapuze immer wieder ins Gesicht, sodass er sie schließlich unwirsch zurückschlug.

Conn war überrascht. Nicht nur, weil der Kopf des Jungen fast kahl war und das Haar darauf nur in kurzen schwarzen Stoppeln wuchs. Sondern auch, weil nun noch mehr auffiel, wie jung Ilan war. Noch nicht einmal der Ansatz eines Bartes spross in seinem Gesicht, sein Nacken war schlank und seine Haut so zart wie …

»Warum tust du das?«, wollte Ilan unvermittelt wissen, während er nach einer ledernen Tasche griff, der er ein Messer mit kurzer Klinge sowie ein kleines Fläschchen mit einer Tinktur entnahm.

»Was meinst du?«

Mit den makellos weißen Zähnen entkorkte Ilan die Flasche und schüttete einige Tropfen ihres Inhalts über die Messerklinge. Conn ahnte, was nun folgen würde.

»In den Krieg ziehen«, wurde Isaacs Diener deutlicher.

Conn erwiderte das, was Baldric wohl entgegnet hätte. »Nun, um die Heiligen Stätten von den Heiden zu befreien, zum Ruhm und zum Andenken Gottes.«

»Glaubst du denn, euer Gott will, dass ihr euren Glauben mit Feuer und Schwert verbreitet? Hat euer Rabbi Jesus euch nicht gelehrt, den Nächsten zu lieben?«

»Das stimmt«, kam Conn nicht umhin zuzugeben.

»Warum wollt ihr jene, die anderen Glaubens sind, dann töten?« Ilan schaute auf. Der Blick seiner dunklen Augen war so eindringlich, dass Conn das Gefühl hatte, darin zu versinken.

»Ich… ich will sie nicht töten«, versicherte er rasch. Er fühlte sich in die Ecke gedrängt, war von den Fragen seines Gegenübers mindestens ebenso verwirrt wie von seinen forschenden Blicken.

»Warum hast du dich dann dem Feldzug angeschlossen?«

»Weil …« Er biss sich auf die Lippen. Was hätte er auch sagen sollen?

Im nächsten Augenblick hätte er ohnehin kein Wort mehr hervorgebracht, weil Ilan mit der Lanzette in die Geschwülste stach und der Schmerz so heftig war, dass Conn die Zähne fest zusammenbeißen musste, um nicht laut zu schreien. Gelber Eiter trat hervor, und der faulige Gestank, der ohnehin schon von der Wunde aufgestiegen war, steigerte sich noch. Conn konnte nicht verhindern, dass ihm Tränen in die Augen traten. In dem Moment, als die Qual am größten war und er schon glaubte, die Sinne würden ihm schwinden, traf ihn die Erkenntnis wie ein Hammerschlag.

Alles – Ilans knabenhaftes Äußeres, die verstohlenen Wortwechsel mit dem alten Isaac und dessen offenkundige Sorge um seinen Diener – ergab plötzlich einen Sinn. Die Wahrheit stand Conn plötzlich klar und deutlich vor Augen.

»Du bist … ein Mädchen!«, platzte er heraus.

Angesichts der Schmerzen, die ihn peinigten, klang es mehr wie eine Verwünschung als wie eine Feststellung. Und kaum hatte er sie geäußert, kam er sich vor wie ein Narr.

Ilan jedoch reagierte ganz anders, als er erwartet hatte. Weder lachte Isaacs Diener ihn aus noch wurde er wütend, sondern begnügte sich zunächst damit, weiter in der nun offenen Wunde herumzubohren, so als wäre das Strafe genug.

»Eine Frau«, verbesserte sie schließlich. Die Höhe ihrer Stimme hatte sich kaum verändert, doch klang sie jetzt weicher und weiblicher.

Conns Atem ging stoßweise, er hatte das Gefühl, vor Schmerz zu vergehen. Dass er nicht das Bewusstsein verlor, lag vermutlich nur daran, dass sein Geist etwas hatte, woran er sich festhalten und worüber er rätseln konnte.

»Aber wieso?«, stieß er hervor. »Wie …?«

»Spart Euch Euren Atem lieber«, riet sie ihm, während sie ein frisches Tuch dazu benutzte, den ausgeflossenen Eiter aufzunehmen und die Wunde erneut zu säubern. »Ihr werdet ihn noch brauchen.«

Conn dachte nicht daran, den Rat zu befolgen. Zu überraschend war die Erkenntnis, dass es eine junge Frau war, die ihm diese Höllenqualen bereitete, zu verwirrend die Konsequenzen, die sich daraus ergaben. »Und du … Ihr seid auch nicht Isaacs Diener, nicht wahr?«, fragte er weiter. Ihm war nicht verborgen geblieben, dass sie ihm nun distanzierter begegnete.

Die Jüdin schaute ihn lange und prüfend an, so als gelte es zu erwägen, ob er der Wahrheit würdig war. Trotz ihres fast kahlen Hauptes und der markanten, vielleicht ein wenig zu herben Gesichtszüge war Conn von ihrem Anblick gefesselt. »Nein«, gestand sie schließlich, »ich bin seine Tochter. Ich heiße Chaya.«

»Chaya«, echote Conn verwundert. »Aber warum nur …?«

Er verstummte, als sein Arm plötzlich in Flammen aufzugehen schien. Kurzerhand hatte sie den restlichen Inhalt der kleinen Flasche über die noch offene Wunde gekippt, sodass Conn nicht anders konnte, als laut aufzuschreien. Sein Herz schlug heftig, und er sah dunkle Flecke, die vor seinen Augen auf und ab tanzten.

»Warum ich mich als Mann verkleide?«, fragte die Jüdin ungerührt dagegen. »Warum ich mir das Haupt geschoren habe, als ginge es zum Richtplatz?«

Er nickte mit zusammengebissenen Zähnen.

»Sehr einfach – weil die Welt nun einmal ist, wie sie ist. Und weil in dieser verkehrten Welt einer jungen Frau, die mit ihrem Vater reist, größeres Ungemach droht als dessen männlichem Diener, obschon eine Frau doch sehr viel schwächer ist und daher des Schutzes in größerem Maße bedürfte.«

Conn wusste nicht viel zu erwidern. Ob als Ilan oder als Chaya – ihre Wortwahl und ihre Art sich auszudrücken, sorgten dafür, dass ihm der Schädel brummte, von den Schmerzen in seinem Arm ganz zu schweigen. Aber in diesem Moment wurde ihm klar, dass diese bereits merklich nachgelassen hatten.

Der unerträgliche Druck, der die ganze Zeit über auf der Wunde gelegen hatte, war verschwunden, auch das höllische Brennen hatte aufgehört. Die Geschwulst war zurückgegangen, und Conn war sogar in der Lage, seine Hand wieder zu bewegen, was zuletzt kaum noch möglich gewesen war. Blut trat aus der Schnittwunde aus, aber Chaya störte sich nicht daran. Im Gegenteil, meinte sie, sorge das Blut dafür, dass der restliche noch verbliebene Schmutz aus der Wunde entfernt werde. Abermals säuberte sie die Stelle, dann nahm sie einen gläsernen Tiegel zur Hand, der eine weiße, übelriechende Paste enthielt. Mit einem hölzernen Spatel trug sie etwas davon sowohl auf die alte Pfeilwunde als auch auf den frischen Schnitt auf, dann legte sie einen frischen Verband an, den sie ordentlich straff zog.