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Baldric, der bislang geschwiegen, den Wortwechsel jedoch aufmerksam verfolgt hatte, schickte seinem Gefolgsmann einen strengen Blick. »Wenn es Schätze sind, die du zu erwerben suchst, dann wärst du besser zu Hause geblieben«, beschied er ihm streng. »Hast du dich dieser Unternehmung deshalb angeschlossen, Bertrand?«

»Nein, natürlich nicht«, versicherte der Gescholtene beflissen und senkte das triefende Haupt wie ein gescholtener Köter. »Jedenfalls nicht ausschließlich. Aber die Männer reden nun einmal.«

»Worüber?«, wollte Baldric wissen.

»Nun – über das, was es in jenen fremden Ländern wohl zu holen gibt«, erklärte Bertrand mit einem zaghaften, um Vergebung heischenden Lächeln. »Natürlich geht es um unser Seelenheil und darum, der Christenheit zu dienen. Aber was ist falsch daran, sich dabei auch die Taschen zu füllen? Abgesehen davon, dass er einer heiligen Sache dient, ist dies ein Feldzug wie jeder andere, oder?«

»Wenn du das denkst, mein Freund«, erwiderte Baldric mit einiger Resignation in der Stimme, »hast du in den vergangenen Wochen nichts gelernt und deine Zeit verschwendet.«

»Offen gestanden fürchte ich das ohnehin.« Bertrand trat zum Feuer und streckte die Handflächen vor, um sie zu wärmen. »Nun, da Godefroy lange vor uns das Ziel erreicht hat und es erwiesen ist, dass wir zu spät kommen werden, frage ich mich …«

»Was?«, hakte Baldric nach, als der andere zögerte.

»Ob es überhaupt noch einen Sinn hat, hier zu bleiben«, rückte Bertrand kleinlaut heraus und starrte in den Topf mit der Suppe.

Conn hatte aufgehört zu rühren. Sowohl er als auch Remy schauten zu Baldric hinüber, halb erwartend, dass dieser wütend werden und die Beherrschung verlieren würde. Doch der Ritter blieb ruhig sitzen, während sein einzelnes Auge Bertrand musterte. »Was genau versuchst du mir zu sagen, Freund? Hat dich der Mut verlassen? Willst du lieber umkehren und nach Hause gehen?«

»Ich wäre beileibe nicht der Einzige, der so denkt«, entgegnete Bertrand, weiter in den Kessel stierend, von dem ein bitterer Geruch aufstieg. »Wie es heißt, haben letzte Nacht wieder zahlreiche Kämpfer das Lager verlassen.«

»Wie viele?«, fragte Baldric.

»Die Rede ist von fünfzehn, aber vermutlich sind es in Wirklichkeit noch sehr viel mehr.«

»Mutlose und Verblendete. Sie alle haben das Ziel dieses Unternehmens aus den Augen verloren.«

»Das allein ist es nicht«, gab Bertrand zu bedenken. »Die meisten dieser Männer haben sehr viel mehr verloren als nur ihr Ziel. Viele von ihnen haben Weib und Kinder zu Hause zurückgelassen. Andere hat dieser lange Marsch alles gekostet, was sie hatten. Ihre Mittel und Vorräte sind aufgebraucht.«

»Wie kommen sie dann zurück?«, fragte Conn.

»Sehr einfach, mein junger Diener«, erwiderte Baldric zähneknirschend und voller Abscheu. »Sie veräußern das Letzte, das ihnen noch geblieben ist – ihre Pferde, ihre Rüstung und sogar ihre Waffen.«

»Ist das wahr?« Conn hob die Brauen. Er konnte sich vorstellen, dass ein Ritter sein Pferd verkaufte, wenn es sich nicht vermeiden ließ – aber seine Waffen? Seine Rüstung? Gar sein Schwert? Wo war der Hochmut geblieben, wo der Stolz, den Conn den Normannen stets zugeschrieben hatte?

»Ich nenne auf dieser Welt nicht viele Dinge mein Eigen«, sagte Baldric leise, »aber ich würde sie ohne Zögern opfern, wenn ich mir dadurch ewiges Heil erwerben könnte. Jene hingegen stellen ihre Sehnsucht nach dem Schoß ihrer Weiber über die Sorge um ihre unsterbliche Seele. Und dafür«, fügte er mit einem bedeutsamen Blick in Bertrands Richtung hinzu, »verdienen sie Verachtung.«

Conn sah den Gescholtenen zusammenzucken. Bertrands sonst so unbekümmerte Züge waren erstarrt, die Wangen hohl und farblos. Mit einem Holzspan stocherte er in der Glut des Feuers.

»Habt ihr Narren denn geglaubt, dass es einfach werden würde?«, fragte Baldric. »Habt ihr gedacht, dass wir jedes Hindernis auf Anhieb überwinden würden?«

»Nein.« Bertrand schüttelte den Kopf. »Aber diese wochenlange Untätigkeit …«

»Und? Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass Gott uns auf diese Weise prüfen könnte? Dass er unsere Geduld auf die Probe stellen und herausfinden will, ob wir der Aufgabe würdig sind? Dass er womöglich die Spreu vom Weizen trennen will, wie der Täufer es einst am Jordan ankündigte?«

Conn hatte wieder zu rühren begonnen, weniger, weil es ihm notwendig schien, sondern aus Verlegenheit. Wenn er ehrlich war, so musste er zugeben, dass er Bertrands Argumenten insgeheim recht gegeben hatte, zumal er sich nicht aus Überzeugung auf diesen Feldzug begeben hatte, sondern weil Baldric ihn praktisch dazu gezwungen hatte. Zu seiner eigenen Verblüffung stellte er jedoch fest, dass er darüber Reue empfand – und Beschämung. Die tiefe Überzeugung, die seinen Herrn erfüllte, war auch auf ihn nicht ohne Wirkung geblieben.

Baldric fuhr fort. »Es liegt nicht an mir zu beurteilen, ob ihr Spreu seid oder Weizen. Zumindest dies muss jeder von euch selbst entscheiden. Aber wie eure Entscheidung auch immer ausfallen wird, ich werde sie ohne Widerspruch annehmen. Keiner von euch ist mir etwas schuldig. Auch du nicht, Conn.«

»Herr?« Conn schaute verwundert auf.

»Vielleicht war es ein Fehler, dich mitzunehmen. Wenn schon meine engsten Vertrauten und Freunde am Sinn dieses Feldzugs zweifeln, um wie vieles mehr musst du dich dann nach deiner Heimat sehnen, der ich dich wider deinen Willen dazu verpflichtet habe?«

»N-nun«, stammelte Conn, der nicht wusste, was er darauf erwidern sollte, »ich …«

»Wenn es dein Wunsch ist, nach England zurückzugehen, dann geh«, forderte Baldric ihn auf. »Deine Schuld ist beglichen, ich werde dich nicht aufhalten.«

»Nein?«, fragte Conn vorsichtig.

Baldric schüttelte den Kopf. »Ich schenke dir die Freiheit. Es ist meine Gabe an dich in dieser Nacht.«

Conn blieb vor Staunen der Mund offen stehen. Eben noch war er Baldrics Knappe und Diener gewesen, mehr unfrei als frei, und nun plötzlich durfte er selbst entscheiden?

Einen erleichterten Atemzug lang genoss er die Vorstellung – bis ihm klar wurde, dass er sich längst entschieden hatte.

In England gab es nichts mehr, das eine Rückkehr lohnte. Der einzige Grund wäre Guillaume de Rein gewesen, aber der befand sich unter den Kreuzfahrern, auch wenn seine Bleibe wohl weniger zugig und seine Mahlzeiten fraglos großzügiger bemessen waren. Aber seltsamerweise war es nicht nur der Wunsch nach Rache, der Conns Entschluss bestimmte. Es war, wie er verwundert feststellte, eine gewisse Zuneigung, die er zu Baldric gefasst hatte.

»Ich danke Euch, Herr«, sagte er deshalb. »Aber ich will nicht zurück nach England.«

»Warum nicht?«

»Weil ich dort nichts gewinnen, aber alles verlieren kann«, gab Conn ohne Zögern zur Antwort. »Hier verhält es sich genau umgekehrt.«

Baldric starrte ihn lange an. Dann lachte der Normanne auf eine Weise, die erkennen ließ, dass er keine andere Antwort erwartet hatte. »Gut gesprochen, Knappe«, sagte er und nickte wohlwollend. »Und wie lautet deine Entscheidung, Bertrand?«

Der Angesprochene schaute zuerst zu Conn, dann zu Remy und schließlich zu Baldric. Dabei war im Feuerschein deutlich zu erkennen, wie sich seine Züge röteten. »Ich fürchte, unser junger Freund hat mir gerade eine Lektion erteilt. Verwünscht sei sein schlichtes angelsächsisches Gemüt.«

»Das reine Herz ist offen für die Wahrheit«, drückte Baldric es schmeichelhafter aus, und sie alle lachten – bis Glockenschlag zu hören war, den der Wind vom nahen Dorf herübertrug.

»Christ ist geboren«, sagte Baldric und ließ sich auf die Knie nieder, um sich zu bekreuzigen.

»Christ ist geboren«, bestätigten Bertrand und Conn und taten es ihm gleich, und selbst der gestrenge Remy legte sein Schwert zur Seite und beugte das Haupt.