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»Tatsächlich? Wieso?«

»Weil, mein junger Freund, ich heute manches weiß, das ich damals noch nicht wusste«, beschied ihm der Mönch mit einem Lächeln, das milde war und zugleich voller Bitterkeit. »Soll ich dir davon berichten? Auch wenn deine Überzeugung dadurch womöglich auf eine harte Probe gestellt wird?«

»Durchaus«, versicherte Conn, obschon das Gegenteil der Fall war. Nach allem, was hinter ihm lag, war sein Glaube ohnehin schwer geprüft worden, auch ohne dass der Mönch noch zusätzliche Zweifel säte. Dennoch wollte Conn wissen, was Berengar zu sagen hatte. Er brannte geradezu darauf – sei es, weil der Benediktinermönch etwas wie eine letzte Verbindung zur alten Heimat darstellte oder weil Conn sich insgeheim erhoffte, etwas von jener Zuversicht wiederzufinden, die er damals in Rouen empfunden hatte. Als der Ordensmann sich jedoch neben ihm am Feuer niederließ, ahnte Conn bereits, dass ihm dies verwehrt bleiben würde.

»Von Rouen bin ich weiter nach Caen gereist«, berichtete Berengar. »Von dort nach Blois und nach Poitiers und weiter nach Süden, und wohin ich auch kam, habe ich die Kunde vom Willen Gottes und vom Feldzug gegen die Heiden verbreitet. In Le Puy schließlich schloss ich mich dem Heereszug des Grafen von Toulouse an, der mit den Seinen gen Osten zog und dem sich auch Adhémar, der Bischof von Le Puy, zugesellte, den der Papst zum Legaten und zum geistlichen Führer der Unternehmung bestellt hat. Wie die meisten glaubte auch ich, dass uns der Schutz des Höchsten dadurch sicher wäre, aber ich sollte mich irren.«

»Was ist geschehen?«

»Teils zu Land und teils zu Wasser erreichten wir Slavonia, ein gefährliches und unwegsames Land, von dem der Allmächtige schon vor langer Zeit sein Angesicht abgewandt haben muss. Räuber bedrängten uns bei Nacht und bei Tage, und es kostete uns vierzig Tage, bis Scutari zu gelangen. Von dort ging es weiter durch fremdes Land, das von Wilden bevölkert wird, deren heidnische Namen du noch niemals gehört haben magst. Guzzen, Kumanen, Bulgaren – sie alle bedrängten unseren Heereszug selbst dann noch, als wir längst byzantinischen Boden erreicht hatten und uns unter dem Schutz des christlichen Kaisers wähnten, dessen Hilferuf Seine Heiligkeit den Papst ja erst zu diesem Feldzug bewogen hat. Doch wie wir feststellen mussten, gehorchten die Glieder des Leibes dem Haupt nicht mehr, und so hatten wir es allenthalben mit weiteren Übergriffen zu tun, wobei Bischof Adhémar, zu dessen Vertrauten ich mich zählen darf, so schwer verletzt wurde, dass er in Thessalonicum zurückbleiben und sich in die Obhut des dortigen Klosters begeben musste. Auf diese Weise gelangten wir erst vor wenigen Tagen nach Byzanz – nur um zu erfahren, dass ebenjener Kaiser, der nicht in der Lage gewesen war, uns sicheres Geleit durch sein eigenes Reich zu gewähren, Graf Raymond inzwischen den Treueid abverlangt hatte. Ich frage dich, Conwulf: Verfahren Brüder so mit Brüdern?«

»Vermutlich nicht«, kam Conn nicht umhin zuzugeben. »Wobei ich nicht sehr viel von solchen Dingen verstehe.«

»Da gibt es auch nicht viel zu verstehen«, entgegnete der Mönch mit unverhohlener Bitterkeit. »Außer der Einsicht, dass manche der an dieser Unternehmung Beteiligten den Namen des Herrn für ihre eigenen Zwecke missbrauchen.«

»Berengar«, ermahnte ihn Bovo, »Ihr solltet auf Eure Worte achten. Byzanz hat seine Ohren überall, wie Ihr wisst.«

»Und? Wird die Wahrheit dadurch weniger wahr?«

»Das nicht, aber sie wird dadurch gefährlich«, entgegnete der Lothringer halblaut, wobei er argwöhnisch in das Dunkel blickte, das jenseits des Feuerscheins herrschte.

»Sind die Gründe für diesen Feldzug letztlich nicht gleichgültig?«, fragte Conn in Erinerung an das, was Herr Baldric ihm gesagt hatte. »Geht es nicht darum, die Stätten der Christenheit zu befreien? Ist dies nicht das heilige Ziel dieser Unternehmung?«

»So habe ich einst auch gedacht, Conwulf«, stimmte Be­rengar zu. »Die Erfahrungen des langen Marsches haben mich jedoch gelehrt, dass nichts Heiliges darin liegt, einen Menschen im Sand der Steppe verbluten zu sehen, gleich welchen Glaubens er auch sei. Und wer die Schreie jener, die auf dem Schlachtfeld verwundet liegen, einmal gehört hat, der vergisst sie so schnell nicht. Kann Gott so etwas wollen, Conwulf? Kann er ein Unterfangen wie dieses gutheißen?«

Conn schaute den Mönch von der Seite an, sah den ausdruckslosen Blick seiner Augen, die leer in die Flammen starrten. Nicht nur, dass Berengar die Begeisterung verloren hatte, die einst aus ihm gesprochen hatte, der Benediktiner zweifelte ernstlich am Sinn der Unternehmung! Aber wenn schon die Nachfolger Christi auf Erden zweifelten, wenn sogar die Frommen ob der Anstrengungen und Widrigkeiten verzagten, welche Aussicht auf Erfolg gab es dann noch? Hatte sich das Schicksal, hatte sich Gott womöglich bereits von den Kreuzfahrern abgewandt?

Wenn es so war, dachte Conn beklommen, warum hatte er dann die Fährnisse der letzten Wochen auf sich genommen? Warum war er den Weg allen Widerständen zum Trotz bis zum Ende gegangen?

Stets hatte er sich eingeredet, es für ein höheres Ziel zu tun, zu einem besseren Ende. Für Herrn Baldric, für seine Kameraden Bertrand und Remy, von denen er noch nicht einmal wusste, ob sie noch am Leben waren – und für Nia!

»Nein!«, widersprach Conn entrüstet. »Hört auf, so zu reden, ich bitte Euch! Ich will nicht, dass alles vergeblich gewesen ist! All die Mühen, die wir auf uns genommen haben …«

»Keine Sorge, das waren sie nicht«, versicherte Bovo, der ebenfalls nicht gewillt schien, den Bedenken des Mönchs zu folgen. »Gib nichts auf das Gerede eines Predigers, der den Anblick des Krieges nicht ertragen kann. Jeder von uns sollte das tun, was er am besten kann. Überlasst uns getrost das Schlachtfeld, Pater. Ihr hingegen kämpft weiter mit Worten.«

»Meint ihr.« Berengar lächelte nur, wissend und verzeihend zugleich. »Und du, junger Conwulf?«, wandte er sich dann unvermittelt an Conn. »Wie bist du vom fernen Rouen hierhergelangt? Wie hat es dich hierher verschlagen?«

Einen Augenblick lang zögerte Conn.

Dann begann er zu berichten.

3.

Adriatisches Meer

Elf Wochen zuvor

Conn war alles andere als wohl in seiner Haut – und das nicht, weil er zum zweiten Mal in seinem noch jungen Leben ein Schiff bestiegen hatte, das ihn einer weiten, ungewissen Ferne entgegentrug. Sondern weil die Planken unter seinen Füßen beständig schwankten und die Luft unter Deck so von Gestank durchsetzt und zum Schneiden dick war, dass er kaum noch Luft bekam. Dazu war ein Gurgeln und Brausen zu vernehmen, das aus tiefsten Tiefen zu dringen schien und ebenfalls nicht dazu angetan war, sein Vertrauen in das salandrium zu stärken, das sie im Vertrauen auf günstiges Wetter bestiegen hatten.

Ein Irrtum, wie sich nun zeigte.

»Schau an«, meinte Bertrand, der ihm in der Enge der Ladebucht gegenüber kauerte, an den leinenen Sack gelehnt, der seine wenige Habe enthielt. »Unser Angelsachse scheint das Reisen per Schiff nicht gut zu vertragen.«

»Unsinn«, beeilte sich Conn zu versichern, obwohl er merkte, wie das karge Frühstück, das er am Morgen zu sich genommen hatte, den Grund seines Magens verließ. »Es geht mir gut.«

»Genauso siehst du auch aus«, erwiderte der Normanne grinsend, dem weder die von Pferdedung durchsetzte Luft noch das unablässige Schaukeln etwas auszumachen schienen. »Nicht wahr, Remy?«

Sein hünenhafter Freund, der neben ihm auf den strohgedeckten Planken kauerte und den Kopf zwischen den angewinkelten Beinen hatte, um sich ihn nicht an der niedrigen Decke zu stoßen, gab ein beifälliges Knurren von sich, während er in stoischer Ruhe sein Schwert schliff. Verdrießlich fragte sich Conn, ob der tumbe Riese überhaupt mitbekam, was um ihn herum geschah.