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»Wenn ihm das bisschen Seegang schon zusetzt, wie wird unserem jungen Angelsachsen dann erst das Schlachtgetümmel schmecken? Hast du schon einmal gegen einen wütenden Muselmanen gekämpft, Conwulf?«

Conn schüttelte gleichgültig den Kopf. Sein Magen machte ihm im Augenblick sehr viel mehr zu schaffen als irgendein Feind, der am anderen Ende des Meeres auf ihn warten mochte. Das Heilige Land und der Krieg gegen die Heiden waren noch sehr weit weg. Die aufsteigende Übelkeit hingegen sehr nahe.

»Lass ihn in Ruhe, Bertrand«, verlangte Baldric, der ebenfalls bei ihnen unter Deck saß. Andere Edle hätten das Meer vermutlich lieber durchschwommen, als auf einem salandrium zu reisen – er schien damit kein Problem zu haben. »Du hast auch noch nie im Leben gegen einen Ungläubigen gekämpft.«

»Das nicht, aber gegen starrsinnige Briten. Gegen barbarische Dänen. Und gegen rebellische Angelsachsen, die nicht wahrhaben wollten, dass die Zeit ihrer Unabhängigkeit vorüber war. Der Kampf gegen die Sarazenen sollte dagegen ein Kinderspiel sein.«

»Denkst du?« Baldrics einzelnes Auge musterte ihn. »Eines solltest du nicht vergessen, mein Freund: Die Muselmanen bevölkern jene Gebiete seit vielen hundert Jahren, und sie werden den Teufel tun, sie sich einfach wegnehmen zu lassen. Schon viel eher …«

Er hielt inne, als eine schwere Welle den Schiffsrumpf traf. Das Gurgeln verstärkte sich, die Holzbalken ächzten, jäh neigte sich das Deck.

Einige der Männer, die zusammen mit ihnen im Bugraum kauerten, in den die Zimmerleute noch zwei zusätzliche Decks eingezogen hatten, damit möglichst viele Menschen und Material transportiert werden konnten, schrien entsetzt auf, andere lachten derb. Die Pferde, die im Hauptladeraum untergebracht waren und die eigentliche Ladung des Schiffes darstellten, wurden unruhig. Zwar waren sie allesamt angeschirrt und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, jedoch konnte sie nichts daran hindern, laut zu wiehern, die Köpfe hin und her zu werfen und wild mit den Hufen zu stampfen, sodass manche der dünnen Bretterwände, die die Ladebucht unterteilten, splitternd zu Bruch gingen. Unter den Knechten, die zur Betreuung der Tiere abgestellt waren, brach hektische Betriebsamkeit aus. Stöcke in der einen und Hafersäcke in der anderen Hand, versuchten sie, die Tiere wieder zu beruhigen.

Vergeblich.

»Offenbar«, feixte Bertrand, »ist unser angelsächsischer Freund nicht der Einzige, der das Reisen zur See nicht verträgt. Sag, bist du ein Pferd, Conn?«

»Lieber ein Pferd als ein ständig maulender Esel«, entgegnete Conn trocken, und es war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen er Baldric grinsen sah. Selbst Remy gab, seiner unbeteiligten Miene zum Trotz, ein amüsiertes Blöken von sich, sodass auch Bertrand schließlich lachen musste.

»Deinen Witz hast du dir immerhin bewahrt, was angesichts unserer Umgebung nicht schaden kann«, sagte Bertrand.

»Willst du dich beschweren?«, fragte Baldric.

»Das nun gerade nicht. Obwohl ich auch nichts dagegen gehabt hätte, die Überfahrt ausschließlich in menschlicher Gesellschaft zu verbringen. Pferde und Maultiere entsprechen nicht gerade meinem üblichen Umgang.«

»Ein Hurenschiff gab es nun einmal nicht«, konterte Baldric. »Dies hier ist mehr als angemessen, schließlich sind wir demütige Pilger, nicht mehr und nicht weniger.«

»Genau wie die vierhundert armen Teufel, deren Boot kurz nach dem Auslaufen auseinanderfiel. Sie sind alle ertrunken …«

»… und ihre Seelen haben die ewige Ruhe und den Frieden bei Gott gefunden«, ergänzte Baldric gelassen. »Nicht zufällig waren ihre leblosen Körper, die in den darauf folgenden Tagen an Land gespült wurden, mit dem Zeichen des Herrn versehen.«

»So hieß es jedenfalls«, pflichtete Bertrand bei.

»Und daran glaubt Ihr, Baldric?«, fragte Conn.

»Warum nicht, Junge? Wenn wir unseren Glauben nicht mehr haben, was bleibt uns dann noch?«, entgegnete sein Herr.

Conn kam nicht dazu, über eine Antwort nachzudenken, denn das Schiff wurde erneut von einem harten Stoß getroffen. Wieder knarrte und knackte es, und das Deck neigte sich, diesmal zur anderen Seite.

Conns Magen krampfte sich abermals zusammen, und er verwünschte die launische See, die sich in diesem Jahr überhaupt nicht beruhigen zu wollen schien. Der Winter war längst zu Ende, trotzdem traten noch immer Stürme auf. Es gab Stimmen, die behaupteten, dies wäre ein Zeichen dafür, dass sich der Herr von den Kreuzfahrern abgewandt und dem Feldzug seine Gunst entzogen hätte. Nicht wenige Ritter und ihre Vasallen hatten in den vergangenen Wochen das Weite gesucht und die Rückreise in ihre Heimat angetreten. Baldric jedoch war überzeugt, dass auch dies nur eine weitere Prüfung des Allmächtigen war. Seine Überzeugung reichte aus, um auch Conns Zweifel zu zerstreuen.

Nur nicht die seines Magens.

Als wiederum ein Brecher das Schiff traf und es zur Seite kippte, diesmal so weit, dass einige der ledernen Riemen, die die Pferde hielten, aus den Verankerungen gerissen wurden und eines der Tiere freikam, hielt Conn es nicht mehr aus. Er spürte, wie der Inhalt seines Magens emporstieg, und hatte plötzlich das Gefühl, in der Enge des Zwischendecks zu ersticken.

Er brauchte Luft. Sofort!

Wie von einer Giftschlange gebissen, schoss er in die Höhe und stieß prompt an die niedrige Decke. Wie von einem Fausthieb getroffen, ging er zu Boden, dunkle Flecke vor Augen.

»Conwulf? Bist du in Ordnung?«

Baldrics besorgte Frage drang nur wie aus weiter Ferne an sein Ohr. Auf allen vieren kroch er zu der Leiter, die nach oben auf Deck führte. Dass er dabei über andere Kämpfer und deren Habe stieg, war ihm gleichgültig – ihre empörten Ausrufe und wüsten Beschimpfungen vermischten sich zusammen mit dem Knarren der Planken und dem Wiehern der Pferde zu einem undeutlichen Rauschen. Ein Schwall von Erbrochenem schwappte ihm über die Lippen, er war nicht mehr in der Lage, den Blick zu fokussieren. Atemnot plagte ihn, sein Pulsschlag raste, während er unbeirrt weiterkroch.

Er musste hinaus, brauchte Luft …

Fausthiebe trafen ihn, und irgendjemand hielt ihn fest, während sich das Schiff erneut zur Seite neigte. Irgendwo übergab sich jemand, und der Gestank wurde noch schlimmer. Conn trat zu, um sich zu befreien, schleppte sich weiter voran – und bekam endlich die Holme der grob gezimmerten Leiter zu fassen.

Hinaus, nur hinaus …

Conn brauchte einen Moment, um sich emporzuziehen und Tritt zu fassen, dann erklomm er Sprosse für Sprosse, auf Beinen, die weich wie Butter waren. Dabei würgte er und rang verzweifelt nach Atem. Womöglich hätte er das Bewusstsein verloren, wäre durch das Luk, das Tag und Nacht offen stand, um das Leben unter Deck einigermaßen erträglich zu machen, nicht frische Luft hereingedrungen. Conn sog sie gierig in seine Lungen. Ein Schwall Wasser traf ihn von oben, Salz brannte in seinen Augen. Dann hatte er das Ende der Leiter erreicht und schleppte sich hinaus auf das Vordeck.

Es war Nacht.

Heftiger Wind blies ihm entgegen, Regen peitschte ihm ins Gesicht. Auf Deck war die Hölle losgebrochen.

Eines der beiden Dreieckssegel, die das mächtige Rundschiff antrieben, war nicht rechtzeitig gerefft worden und hatte sich infolge des heftigen Windes losgerissen. Wuchtig schlugen die Seilenden hin und her, der Kapitän bellte heisere Befehle und wies die Mannschaft an, das Segel endlich einzuholen und das Deck zu sichern. Der Sturm schien die Seeleute völlig überrascht zu haben.

Auf zittrigen Knien wankte Conn zur Back und übergab sich. Schwallweise ergoss sich der Inhalt seines Magens in die gurgelnde pechschwarze See, während sich seine klammen Hände mit aller Macht an das von Regen und Gischt glitschige Holz krallten.

Irgendwann war sein Magen leer, und die würgenden Krämpfe, die ihn schüttelten, brachten nur noch bittere Flüssigkeit zutage. Mit dem Ärmel der Tunika wischte sich Conn den Mund und wollte sich von der Back abwenden, um wie ein geprügelter Hund zurück unter Deck zu schleichen. Doch just in dem Augenblick, da er sich umwandte, flog etwas auf ihn zu. In der Dunkelheit und im prasselnden Regen sah er etwas heranrauschen und riss instinktiv die Arme hoch, um es abzuwehren – zu spät.