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»Niemand hat das«, meinte Berengar. »Wir alle haben uns diese Unternehmung wohl leichter vorgestellt, hatten keine Ahnung, welcher Art die Prüfungen sein würden, denen der Herr uns aussetzt – und dabei haben wird das Heilige Land noch nicht einmal erreicht.«

»Jemand sagte mir einst, dass Gott auf diese Weise die Spreu vom Weizen zu trennen pflegt«, erwiderte Conn leise. »Die Unwürdigen von den Würdigen.«

»Ein schöner Gedanke. Aber was ist mit den Kindern, die dieser Tage hungers sterben? Mit den Frauen, die niederkommen und ihre Neugeborenen zurücklassen müssen, weil ihr Busen ausgetrocknet ist? Sind sie deshalb unwürdig? Was, wenn am Ende nur Spreu übrig bleibt, Conwulf? Was dann?«

Conn wusste keine Antwort. Er hatte Baldric nur zitiert, um überhaupt etwas zu sagen und die Leere in seinem Inneren mit etwas zu füllen. »Was fragt Ihr mich?«, knurrte er deshalb. »Ihr seid der Prediger von uns beiden! Ist es nicht Eure Aufgabe, all dies hier zu erklären und einen Sinn darin zu sehen? Und was ist mit den Vorzeichen, von denen Ihr damals gesprochen habt? Dem drohenden Unheil?«

»All diese Zeichen hat es gegeben, aber wie alle Zeichen obliegen sie unserer Deutung. Was, wenn es sich in Wahrheit um eine Warnung gehandelt hat und wenn das angekündigte Unheil bereits dabei ist, über uns hereinzubrechen?«

Conn starrte den Mönch fassungslos an. Derlei Überlegungen hatte er bislang nie angestellt, und es erstaunte ihn, sie ausgerechnet aus dem Mund eines Predigers zu hören. Aber ließen sich Berengars Worte einfach von der Hand weisen? War bei alldem, was ihnen auf diesem Todesmarsch widerfuhr, auszuschließen, dass sie verdammt waren? Dass Gott sie alle strafen wollte?

Offenbar konnte Berengar sehen, dass der Gedanke Conn ängstigte, denn seine Züge wurden ein wenig milder. »Warum hast du dich dem Feldzug angeschlossen, Conwulf? Willst du dir dein Seelenheil erwerben? Oder geht es dir um weltlichen Ruhm?«

»Weder noch«, gab Conwulf zu.

»So bist du auf Beute aus wie dieser Hitzkopf Tankred und seine italischen Kumpane?« Der Benediktiner schürzte die Lippen. »Ich muss zugeben, das hätte ich nicht von dir gedacht. Du machst mir nicht den Eindruck eines Mannes, der für Gold und Geschmeide kaltblütig töten würde.«

Conn starrte zu Boden und erwiderte nichts. Hätte er es getan, hätte er mehr von sich preisgeben müssen, als er wollte und als gut für ihn war. Sollte Berengar ihn lieber für einen gewissenlosen Söldner halten …

»Hast du schon versucht, deine Freunde zu finden?«, wechselte der Benediktiner abrupt das Thema.

»Ja, aber es ist mir noch immer nicht gelungen. Ich hoffe nur, sie sind noch am Le…«

»Wasser!«, rief in diesem Augenblick ein Soldat, der zur Linken auf einem Hügel auftauchte und heftig gestikulierte, um auf sich aufmerksam zu machen. »Wir haben eine Quelle entdeckt!«

Das Wort allein genügte, um Conn einen Schauer über den Rücken zu jagen. Den letzten Schluck Wasser hatte er am Tag zuvor getrunken; es hatte schal und abgestanden geschmeckt, aber immerhin war es kühl und flüssig gewesen. Seither hatte er alles Mögliche unternommen, um seinen Körper am Austrocknen zu hindern, hatte seinen eigenen Schweiß aufgeleckt und den spärlichen Tau gesammelt, der sich am Morgen niederschlug, hatte den Saft aus dem Fleisch von Kakteen gesogen, soweit noch welche zu finden gewesen waren. Die Aussicht auf belebendes Nass jedoch ließ ihn und alle anderen in der Marschkolonne aufhorchen.

»Wasser!«

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Neuigkeit. Schon waren die Ersten dabei, aus der Marschordnung auszubrechen und die Anhöhe hinaufzustürmen, allen voran ein Ritter, der sein Schlachtross verloren hatte und nun auf einem Ochsen ritt. Es war ein seltsamer Anblick: Der Reiter auf seinem gehörnten Tier voraus, dicht gefolgt von staubigen, abgerissenen Gestalten, von denen einige mehr tot aussahen als lebendig. Die Vorstellung von frischem, lebensspendendem Wasser jedoch verlieh ihnen ungeahnte Kräfte.

Ein bizarrer Wettlauf setzte ein, und plötzlich hielt auch Conn es nicht mehr aus. »Kommt, Pater«, raunte er Berengar zu, und im nächsten Moment eilten auch sie im Laufschritt den Hügel hinauf. Auf der anderen Seite fiel das Gelände steil ab und mündete in eine schmale Schlucht, an deren Ende es tatsächlich eine Wasserstelle gab. Ruhig und spiegelglatt lag sie da und schien nur darauf zu warten, den brennenden Durst der Kreuzfahrer zu stillen.

Schon hatten die ersten sie erreicht und warfen sich am Ufer zu Boden, formten mit zitternden Händen behelfsmäßige Gefäße oder benutzten ihre Helme dazu, das rettende Nass zu schöpfen. Auch der Ochsenritter hatte sich bereits niedergelassen und trank in gierigen Schlucken. In dem Moment jedoch, als auch Conn und Berengar den Teich erreichten und sich im allgemeinen Gedränge einen Platz suchen wollten, verfiel der Ritter in lautes Kreischen. Würgend und spuckend fuhr er zurück, auf die Mitte des Pfuhls deutend. Auch andere Soldaten, die bereits getrunken hatten, schrien erschrocken auf und prallten zurück – und Conn sah, was der Grund für die plötzliche Aufregung war.

Mitten im Teich, dort, wo die Oberfläche das Tageslicht spiegelte und man den Grund deshalb kaum sehen konnte, lagen die Kadaver mehrerer halb verwester Tiere im Wasser!

»Gift! Gift!«, brüllte jemand. »Die Heiden haben die Wasserstelle vergiftet!«

Conn und Berengar wichen zurück. Der anfängliche Jubel war jäh verstummt, Schreie der Wut und der Enttäuschung waren zu hören, in die sich das Würgen jener mischte, die in ihrer Not von dem verdorbenen Wasser getrunken hatten und sich nun übergaben, hoffend, dass sie daran nicht zugrundegehen würden.

Dann breitete sich beklommenes Schweigen aus – und mit ihm die bittere Erkenntnis, dass es auch an diesem Tag nichts zu trinken geben würde. Und der Marsch durch das öde, trostlose Land war längst nicht zu Ende.

9.

Das Tier schien kein bestimmtes Ziel zu haben.

Auf seinen acht Beinen kroch es über den sandigen Boden, wandte sich bald hierhin und bald dorthin auf der Suche nach Beute. Die beiden Scheren waren halb geöffnet, der Giftstachel am Ende des nach vorn gebogenen Schwanzes bereit zum Stich. In seiner Welt mochte es ein erbarmungsloser Jäger sein.

Hier war es das Opfer.

Eine Stiefelsohle fiel herab und zerquetschte das Tier, bewegte sich so lange hin und her, bis eine zähe Flüssigkeit hervorquoll, die langsam im Sand versickerte.

»Skorpione«, knurrte Guillaume de Rein. »Wie ich sie hasse.«

»Dies Land ist verflucht«, zischte Renald de Rein. Erschöpft vom langen Marsch des Tages ließ sich der Baron auf den Hocker niedersinken, den seine Diener im Zelt aufgestellt hatten. »Vor zwei Wochen haben wir Dorylaeum als glorreiche Sieger verlassen, und nun sieh, was aus uns geworden ist. Die Hitze quält uns, Hunger und Durst geißeln uns wie eine Seuche!«

»Ihr sagt das, als ob ich daran Schuld trüge, Vater«, entgegnete Guillaume, während er mit vor Ekel herabgezogenen Mundwinkeln die Reste des Skorpions von seinem Stiefel zu entfernen suchte.

»Und?« Renald rollte angriffslustig mit den vom Staub entzündeten Augen. Seine fleischigen Gesichtszüge waren von der Sonne verbrannt. »Ist das etwa nicht so? Wessen Einfall war es, sich diesem Unternehmen anzuschließen?«

»Macht Euren Sohn nicht für etwas verantwortlich, für das er nichts kann«, drang eine dünne, krächzende Stimme aus dem abgetrennten Schlafraum des Zeltes. Der Vorhang wurde beiseitegeschlagen, und Eleanor de Rein erschien. Infolge der Entbehrungen und Anstrengungen der Reise war sie noch hagerer geworden. Ihre einstmals so blasse Haut, die sich direkt über den Gesichtsknochen und den tief liegenden Augen spannte, hatte unter dem Einfluss von Hitze und Trockenheit die Farbe von Pergament angenommen.