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Renald streifte sie mit einem Seitenblick. »Du sprichst mit mir, meine Gemahlin? Welch unerwartetes Privileg!«

In der Tat wechselten sie kaum noch Worte. Seit ihrer Abreise aus England beschränkte sich Eleanor darauf, der Dienerschaft Anweisungen zu erteilen und sich mit ihrem Sohn zu unterhalten, mit dem sie seit London noch viel mehr teilte als nur das gleiche Blut. Ein Bündnis war zwischen ihnen entstanden, das Renald ausschloss und ihm das Gefühl gab, in seinem eigenen Zelt ein Fremder zu sein.

»Ihr solltet wissen, dass weder Guillaume noch diese Unternehmung der Grund dafür ist, dass wir darben«, ergriff sie einmal mehr für ihren Sohn Partei. »Vielmehr sind es diese elenden Ungläubigen, die ihr eigenes Land in eine Ödnis verwandeln, um uns zu schaden.«

»In der Tat«, stimmte de Rein mit vor Sarkasmus triefender Stimme zu. »Wer konnte auch damit rechnen, dass sie Widerstand leisten würden? Ich habe in vielen Kriegen gekämpft – zuerst gegen die Angelsachsen, dann gegen die Briten und schließlich gegen die Pikten. Und keiner von ihnen hat seinen angestammten Boden freiwillig hergegeben.«

»Ihr solltet nicht darüber spotten, Vater«, sagte Guillaume, nachdem er seine Bemühungen, die Reste des Skorpions loszuwerden, zu einem einigermaßen zufriedenstellenden Ergebnis gebracht hatte. »Ihr seid in dieser Ödnis ebenso gefangen wie wir.«

»So ist es«, bestätigte de Rein grimmig, »und das verdanke ich dir. Hättest du es nicht so eilig damit gehabt, dich bei dem verfluchten Brandstifter anzubiedern …«

»Ihr wisst, dass dies Unsinn ist«, fiel Eleanor ihm ins Wort. »Ihr solltet nicht Guillaume für etwas zürnen, an dem er keine Schuld trägt.«

»Das ist wahr.« Wutentbrannt schoss de Rein von seinem Hocker hoch und funkelte seine Gattin wütend an. »Stattdessen sollte ich dir zürnen, mein teures Weib, denn du bist es gewesen, die mit Flambard paktiert hat. Du trägst Schuld daran, dass wir fauliges Wasser saufen und Echsen, Würmer und Ratten fressen, um nicht elend zu verrecken!«

Eleanors Miene verriet keine Regung, so als wäre sie aus Stein gemeißelt. »Nicht mehr lange«, war alles, was sie erwiderte.

»Natürlich, ich vergaß«, tönte Renald und rollte abermals mit den Augen. »Euer großartiger Plan! Warum, in aller Welt, wurde er noch immer nicht in die Tat umgesetzt? Hat euch der Mut verlassen?«

»Dafür gibt es viele Gründe«, beschied Eleanor ihm ebenso lakonisch wie rätselhaft, was ihn nur noch wütender machte. »Die passende Gelegenheit hat sich noch nicht ergeben.«

»Unsinn. Während der Schlacht hätte es unzählige Gelegenheiten gegeben, einen Speer oder einen scheinbar verirrten Pfeil so ins Ziel zu lenken, dass er das schmutzige Werk verrichtet – aber dazu«, fügte er an Guillaume gewandt hinzu, »hätte man Manns genug sein müssen, an vorderster Front zu kämpfen.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Vater?«

»Das weißt du sehr genau. Wie jeder andere meiner Gefolgsmänner hast du einen feierlichen Eid geleistet, mir zu dienen. Wo aber bist du gewesen, als während der Schlacht mein Pferd getroffen wurde und unter mir zusammenbrach?«

»Dort, wo auch Eure anderen Ritter waren – im erbitterten Kampf gegen die Muselmanen.«

»Du hast mich feige im Stich gelassen«, schnaubte Renald unbeirrt, »und hätte es nicht jenen fremden Streiter gegeben, der mir unversehens zur Hilfe kam, wäre ich an jenem Tag getötet worden. Aber vermutlich wäre das euren Plänen nicht einmal ungelegen gekommen.«

»Vater!«, ereiferte sich Guillaume.

»Ihr geht in Euren Mutmaßungen zu weit, mein Gemahl«, war auch Eleanor überzeugt. Ihre Stimme klirrte vor Kälte.

»Tatsächlich?« Renald fuhr mit der Zunge über seine von der Trockenheit spröden Lippen. »Womöglich ist es ja der nagende Hunger, der mich dazu treibt, oder der brennende Durst.«

Guillaume schnaubte. In England hatte es gute Gründe dafür gegeben, die Vorhaltungen seines Vaters widerspruchslos über sich ergehen zu lassen – aber nicht hier. Die Unterstützung seiner Mutter und das Wissen um den geheimen Bund, dem er sich angeschlossen hatte und von dessen Existenz sein Vater nichts wusste, beflügelten ihn. »Ich bin kein Feigling, Vater, und das werdet Ihr schon sehr bald merken, wenn ich über Euch stehe und auf Euch herabblicke.«

»Du?« Renald musterte ihn mit unverhohlener Geringschätzung. »Ausgeschlossen. Denn Macht verlangt nach Mut und Verantwortungsgefühl – Eigenschaften, die du von jeher entbehrst. Andernfalls hättest du vor Dorylaeum an der Seite deines Lehnsherrn gefochten, statt dich in der hintersten Schlachtreihe zu verstecken. Jener andere Kämpfer hingegen, der sich dem angreifenden Muselmanen entgegenstellte und mich vor dem sicheren Tod bewahrte, vereinte in sich all diese Eigenschaften.«

»Habt Ihr ihm deshalb Euren goldenen Ring geschenkt?«, fragte Guillaume spitz und voller Eifersucht.

»In der Tat. Und vielleicht hätte ich ihm auch noch den Rest meines Besitzes vermachen sollen, denn er wäre seiner allemal würdiger als du.«

»Renald!«, rief Eleanor entrüstet.

»Es ist die Wahrheit«, beharrte der Baron. »Ich habe einst große Hoffnungen in dich gesetzt, Guillaume, als meinen Nachkommen und Erben. Aber in diesen Tagen sehe ich, was ich für ein Narr gewesen bin, wenn schon ein gemeiner Soldat mehr Edelmut im Herzen hat, als du jemals besitzen wirst.«

»Warum liegt Euch so viel daran, mich zu erniedrigen, Vater?«, fragte Guillaume mit nur mühsam zurückgehaltenem Zorn. Dass der Baron einen hergelaufenen Gemeinen seinem eigenen Sohn vorzog, machte ihn rasend vor Wut und Eifersucht.

»Ich habe dich nicht erniedrigt. Das hast du ganz allein getan, zusammen mit deiner Mutter«, fügte er an Eleanor gewandt hinzu. »Eure Falschheit und euer Ehrgeiz haben uns hierhergebracht und dafür gesorgt, dass wir Kaktusnadeln kauen und unsere eigene Pisse saufen. Eine schlimmere Erniedrigung kann ich mir nicht vorstellen.«

»Und wenn schon!«, begehrte Guillaume auf, so laut, dass es vermutlich auch außerhalb des Zeltes zu hören war, aber er scherte sich nicht darum. Er hatte es satt, sich all die Vorwürfe, die Herabsetzungen und Beleidigungen anzuhören, an denen es seinem Vater niemals zu gebrechen schien. »Glaubt Ihr nicht, dass unsere Ziele diese Opfer wert sind? Mir werft Ihr vor, feige und mutlos zu sein, dabei seid Ihr es selbst, der die Strapazen scheut und sich fortwährend beschwert.«

»Sei vorsichtig, was du sagst«, zischte de Rein.

»Das war ich lange genug, aber ich werde nicht länger schweigen und Eure Ungerechtigkeit ertragen. Wäre es Euer Ansinnen gewesen, sich an diesem Feldzug zu beteiligen, würdet Ihr die Entbehrungen widerspruchslos hinnehmen. So aber leugnet Ihr selbst die Erfolge, die wir errungen haben.«

»Was für Erfolge?«

»Trotz aller Strapazen geht der Vormarsch nach Süden rasch vonstatten, und unser Sieg vor Dorylaeum scheint auf die Türken einen solch tiefen Eindruck hinterlassen zu haben, dass sie vor uns die Flucht ergreifen und sich seither nicht ein einziges Mal zum Kampf gestellt haben.«

»Das brauchen sie nicht. Das Land führt den Krieg für sie.«

Guillaume holte keuchend Luft und suchte nach weiteren Argumenten, aber es fielen ihm keine ein. Wie leid er es war, sich vor seinem Vater zu rechtfertigen! In seiner ohnmächtigen Wut ruckte seine Hand kaum merklich in Richtung des Dolchs an seinem Gürtel – dem Baron jedoch blieb die Bewegung nicht verborgen.

»Nur zu«, forderte er ihn auf, erhob sich von seinem Hocker und trat auf Guillaume zu. »Gib mir einen Grund, meine Klinge zu ziehen – ich schwöre, dass ich nicht zögern werde, es zu tun.«

»Nein!« Mit einem entsetzten Ausruf stürzte Eleanor aus dem Nebenraum und stellte sich vor ihren Sohn, die Arme schützend ausgebreitet. »Seid Ihr von Sinnen? Renald, ich beschwöre Euch!«

De Rein, dessen Hand zwar auf dem Schwertgriff lag, der jedoch keine Anstalten unternommen hatte, die Waffe zu zücken, lachte leise. »Ist das deine Vorstellung von Tapferkeit, Guillaume? Dich wie ein Säugling im Schoß der Mutter zu verkriechen?« Er schüttelte den Kopf. »Geh mir aus den Augen.«