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Es wurde still im Zelt.

Schweigend standen sie einander gegenüber, Mutter und Sohn auf der einen, der Baron auf der anderen Seite. Wut, Verachtung, Hass und Furcht ballten sich unter dem Zelt wie ein Ungewitter an einem schwülen Sommertag, das sich durch fernen Donner angekündigt hatte und nun reif war, sich zu entladen.

Aber es kam nicht dazu.

Abrupt wandte sich Guillaume ab und stürzte aus dem Zelt.

Er wusste selbst nicht, ob es taktische Erwägung war, die ihn flüchten ließ, oder die Furcht vor der Konfrontation, nur eines war ihm klar: dass er weg wollte von diesem Mann, aus dessen übermächtigem Schatten er sich einfach nicht lösen konnte.

Zu Beginn des Feldzugs waren die Verhältnisse noch klar gewesen: Guillaume und seine Mutter hielten das Heft des Handelns in den Händen, während der Baron zur willenlosen Spielfigur verkommen war. Doch dies hatte sich geändert. Mit derselben Mischung aus Rücksichtslosigkeit und Loyalität, die ihn schon in England zu einem wohlhabenden Mann gemacht hatte, war er wiederum dabei, sich die Gunst der Fürsten zu erschleichen, besonders jene des Italiers Bohemund – und Guillaume merkte, wie ihm die eben erst gewonnene Kontrolle bereits wieder zu entgleiten drohte.

Mit hastigen Schritten eilte er durch das nächtliche Lager. Abgerissene Gestalten kauerten um die Feuer, die mit leeren Blicken in die Flammen starrten. Viele Gemeine, aber auch manche Edle nächtigten unter freiem Himmel, weil sie ihre Zelte entweder gegen Proviant eingetauscht hatten oder zu schwach waren, sie zu errichten. Mangel und Entbehrung herrschten, wohin das Auge blickte. Auf einem Karren, dessen Zugochse wie ein lebender Kadaver erschien, kauerte eine weinende Frau. Vermutlich hatte sie ihr Kind verloren, wie so viele andere auf dem Zug. Warum, fragte sich Guillaume mitleidlos, hatten sie ihre Bälger auch nicht zu Hause gelassen?

Sein Ziel war das Zelt von Eustace de Privas.

Noch immer sah er in dem Edelmann aus der Provence, der der Bruderschaft der Suchenden vorstand, einen Rivalen. Doch in Anbetracht des überstrengen Vaters war Eustace für ihn auch das geworden, was einem Freund am nächsten kam.

Das Zelt war nicht zu verfehlen. Nicht nur, weil es ein prächtiges Gebilde war, um dessen Annehmlichkeit Eustace beneidet wurde, sondern auch, weil es ein wenig abseits des Lagers stand. Bewaffnete Vasallen umlagerten es, grimmig starrten sie in das umgebende Dunkel.

»Halt!«, rief einer der Wächter, als Guillaume sich näherte, dabei senkte er seinen Speer. »Keinen Schritt weiter!«

»Was soll das?«, fuhr Guillaume den Mann an. »Weißt du nicht, wer vor dir steht?«

Dem tumben Augenpaar, das unter dem Nasalhelm hervorstierte, war die Verunsicherung anzumerken. »Nein«, gestand der Wächter kleinlaut, seine Stellung jedoch behauptete er tapfer.

Guillaume straffte sich, dann nannte er Namen und Titel und genoss es zu sehen, dass der Posten zusammenzuckte wie ein geprügelter Hund. Der Mann verbeugte sich, dann gab er den Weg frei, das Haupt noch immer demütig gesenkt.

»In Zukunft«, zischte Guillaume, während er ihn passierte, »solltest du deine Augen besser aufmachen, Tölpel. Sonst könnte es sein, dass sie dir ausgestochen werden.«

Unter dem Baldachin hindurch trat er in die Vorkammer des Zeltes, die durch schwere Vorhänge vom Hauptraum getrennt war. Eustaces Knappe wartete dort, der den Besucher jedoch erkannte und ihn ungehindert passieren ließ.

Warmer Lichtschein drang Guillaume entgegen, der von mehreren Öllampen rührte. In der Mitte des länglichen Zeltes war ein Tisch aufgestellt, an dem de Privas und einige andere provenzalische Ritter saßen, allesamt Mitglieder der Bruderschaft. Sie alle hatten mit Fleisch gefüllte Teller und Kelche mit Wein vor sich stehen, während anderswo im Lager gehungert wurde. Der Geheimbund, das hatte Guillaume längst festgestellt, sorgte gut für jene, die sich seiner Sache verschrieben hatten.

»Ah«, machte Eustace, der am Ende der Tafel saß und eine halb abgenagte Keule in der Hand hielt, »unser normannischer Freund ist hier. Was führt Euch zu Euren Waffenbrüdern, mein guter Guillaume? Habt Ihr wieder Ärger mit Eurem Vater?«

Guillaume antwortete nicht. Wortlos nahm er an der Tafel Platz, griff nach einem großen Brocken Fleisch und biss davon ab. Er kaute ihn kaum, sondern spülte ihn mit einem tiefen Schluck Wein hinunter.

»Das bedeutet wohl ja«, bemerkte Eustace trocken. Das schulterlange schwarze Haar des Provenzalen glänzte, der Kinnbart war wie immer säuberlich gepflegt, selbst an einem Ort wie diesem. »Was ist geschehen? Hat der Baron einen weiteren Teil Eures Erbes an hergelaufenen Pöbel verschenkt?«

»Schlimmer noch«, erklärte Guillaume kauend. Das Fleisch, das er wütend hinunterschlang, sorgte für ein wärmendes Gefühl in seinem Magen, und er beruhigte sich ein wenig. »Der Baron hält mich für einen Feigling, für einen nichtswürdigen Versager!«

Die übrigen Ritter bekundeten lautstark ihre Ablehnung. Zwei von ihnen, Landri und Huidemar mit Namen, sprangen wütend auf. »Das ist ein Affront«, fasste Eustace ihre wütende Reaktion in Worte, »ein Angriff auf uns alle – denn wir hätten Euch sicher nicht in unsere Reihen aufgenommen, werter Guillaume, wenn Euer Vater recht hätte. Die Zeit wird kommen, da er seinen Irrtum begreift.«

»Hoffentlich«, knurrte Guillaume.

»Bis dahin«, fuhr der Anführer der Bruderschaft fort, »müsst Ihr Euch noch gedulden, mein Freund – übrigens auch, was den Ring Eures Vaters betrifft, den Ihr zurückhaben wollt. Leider ist es meinen Leuten bislang noch nicht gelungen, diesen Angelsachsen ausfindig zu machen. Das Lager ist groß, und ein Name allein ist nicht gerade viel, wenn es darum geht, jemanden zu finden.«

»Das verstehe ich. Ich danke Euch dennoch für Eure Bemühungen, Bruder.«

»Nehmt stattdessen diesen Ring«, fügte der Provenzale hinzu und pflückte ein Schmuckstück von seinen eigenen Fingern, das er Guillaume zuwarf. »Betrachtet ihn als Trost sowie als Zeichen unserer Wertschätzung.«

Guillaume betrachtete das Kleinod. Es war kunstvoll gearbeitet und mit fremdartigen Mustern versehen, die den orientalischen Ursprung verrieten. »Woher stammt dieser Ring?«

»Von einem Muselmanen, der auf dem Weg nach Edessa war und den Fehler beging, den Weg unseres geschätzten Waffenbruders Landri zu kreuzen«, verriet Eustace prompt, worauf seine Anhänger in lautes Gelächter verfielen. »Er braucht ihn nicht mehr.«

»Ich danke Euch«, sagte Guillaume, steckte sich das Schmuckstück an und betrachtete es eitel.

»Wisst Ihr, wie uns der Araber genannt hat, als er im Sand verendete?«, fragte der Ritter namens Landri beifallheischend in die Runde. »Er nannte uns tafura

»Und was bedeutet das?«, wollte ein anderer wissen.

Landri lächelte, Stolz funkelte in seinen Augen. »Es bedeutet soviel wie ›wild‹ oder ›ungezähmt‹«, erklärte er dann voller Genugtuung. »Das bedeutet wohl, dass diese verdammten Heiden anfangen, uns zu fürchten.«

Die anderen Ritter lachten schallend, und Guillaume schloss sich ihnen an. Dabei wünschte er sich, dass sein Vater ihn jetzt sehen könnte, unter Gleichgesinnten sitzend, jungen Männern von edler Herkunft, die ihn anerkannten und respektierten und seine ehrgeizigen Pläne teilten, anstatt sie zu verlachen.

Plötzlich jedoch merkte er, dass etwas nicht stimmte.

Das wohlig warme Gefühl, das seinen Magen eben noch gefüllt hatte, war nicht mehr da. Stattdessen hatte Guillaume das Gefühl, eine mit winzigen Stacheln versehene Metallkugel im Bauch zu haben – das Fleisch, das er nur halb zerkaut hinabgeschlungen, und den Wein, den er gedankenlos darübergeschüttet hatte.

Er merkte, wie die noch unverdaute Speise nach Ausgang verlangte, und einen quälenden Augenblick lang versuchte er, sie seinem inneren Drang zum Trotz bei sich zu behalten.