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»Nicht nur lautere Herzen tummeln sich im Heer des Herrn«, knurrte Baldric missmutig. »Du musst vorsichtig sein, wenn du des Nachts das Lager durchstreifst.«

»Ich weiß«, versicherte Conn und rieb sich den brummenden Schädel – dass er betrunken gewesen war und sich verlaufen hatte, behielt er geflissentlich für sich.

»Allerdings«, fuhr Baldric fort und wurde plötzlich ernst, »gibt es da eine Sache, die weitaus weniger leicht aus der Welt zu schaffen ist als ein hergelaufener Wegelagerer.«

»Ja?«, fragte Conn erstaunt.

»Als Pater Berengar sein Schweigen brach und mir von einem jungen Angelsachsen erzählte, der dem, den ich verloren glaubte, auf verblüffende Weise ähnelte, da sagte er, dass sich dieser Conwulf nenne des Baldrics Sohn …«

Conn fuhr innerlich zusammen. Infolge der Wiedersehensfreude hatte er an seine Notlüge gar nicht mehr gedacht. Seinem dröhnenden Schädel zum Trotz sprang er auf und sank vor Baldric auf die Knie. »Verzeiht, Herr. Ich wollte Euch weder beleidigen noch Euren Namen beschmutzen, das müsst Ihr mir glauben.«

»Das glaube ich dir gern, Junge, und ich würde auch niemals annehmen, dass du Schande über mich bringen wolltest. Nach allem, was ich gehört habe, dürfte vielmehr das Gegenteil der Fall gewesen sein. Dennoch hast du dich ungefragt meines Namens bedient und dir meinen Rang angemaßt, und das, Conwulf, ist ein ernsthaftes Vergehen, zumal für jemanden deines Standes und deiner Herkunft.«

»Ich weiß, Herr.« Reue erfüllte Conn plötzlich, nicht so sehr, weil er sich etwas angeeignet hatte, das ihm nicht gehörte – das hatte er auch früher schon getan. Sondern weil er das Gefühl hatte, Baldric enttäuscht zu haben.

Zögernd blickte er an dem Normannen empor, der sich vor ihm aufgebaut hatte, die Arme vor der Brust verschränkt, während das eine Auge streng auf Conn herabblickte. Auch aus den Gesichtern Bertrands und Remys schien jede Freude gewichen zu sein.

»Es tut mir leid, Herr«, beteuerte Conn, der seine eben erst wiedergefundenen Freunde nicht gleich wieder um einer dummen Lüge willen verlieren wollte.

»Ich glaube dir, Conwulf«, versicherte Baldric, »aber die Schwere des Vergehens wird dadurch nicht aus der Welt geschafft. Ein Diener, der von sich behauptet, ein Edler zu sein, ist eine Beleidigung für den Ritterstand, und ich nehme an, dass der Fürstenrat eine angemessene Bestrafung für dich fordern wird.

Es sei denn«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu, »deine freche Behauptung entspräche den Tatsachen.«

»Was?«, fragte Conn verwirrt.

»Pater Berengar«, wandte sich Baldric an den Mönch, »ich möchte, dass Ihr als ergebener Diener von Gottes Reich auf Erden Folgendes bezeugt. Und auch euch, meine Getreuen«, sagte er an Bertrand und Remy gerichtet, »nehme ich als Zeugen dafür, dass ich vom heutigen Tage an Conwulf von London, genannt Conn, an Sohnes statt als meinen rechtmäßigen Nachkommen und Erben annehme, mit allen Rechten und allen Pflichten, die damit verbunden sind. Vorausgesetzt, er stimmt meiner Absicht zu.«

Hätte man Conn gesagt, dass Wasser und Himmel über Nacht vertauscht worden seien und die Fische jetzt durch die Lüfte flögen, seine Verblüffung hätte nicht größer sein können. Eben noch war er voller Schuldgefühle und hatte Angst, Herrn Baldric enttäuscht zu haben – und nun bot ihm dieser an, ihn als seinen Sohn anzunehmen!

Seine Verwunderung war ihm wohl anzusehen, denn Bertrand konnte sich eine spöttische Bemerkung nicht verkneifen. »Was denn? Hast du wirklich gedacht, der gute Baldric ließe dich bestrafen? Nachdem er dem Herrn auf den Knien dafür gedankt hat, dass du noch lebst?«

»Offen gestanden weiß ich nicht, was ich denken soll«, sagte Conn. »Warum tut Ihr das?«

»Weil ich mehr in dir sehe als du selbst«, antwortete Baldric.

»Aber Ihr … Ihr wisst doch kaum etwas über mich, Herr! Ich bin nur ein Dieb, ein …«

»Was du einst warst, ist nicht mehr von Belang«, belehrte Baldric ihn. »Wir alle, die wir uns auf diesen Feldzug begeben haben, haben unser altes Leben hinter uns gelassen. Du brauchst nur zuzustimmen, das genügt. Vorausgesetzt natürlich, der Name eines Ritters, dem wenig mehr geblieben ist als das, was er am Leibe trägt, ist dir gut genug.«

Conn überlegte. Zum zweiten Mal war dieser eigenwillige Normanne dabei, sein Leben zu verändern und ihn zu etwas zu zwingen, das er eigentlich nicht wollte. Er musste an London denken, an die Spelunke, in der er zu sich gekommen war, und an den Handel, den Baldric ihm aufgenötigt hatte – und er ertappte sich dabei, dass er trotz aller Strapazen, die er durchlitten, und trotz aller Schrecken, die er erlebt hatte, dafür dankbar war.

In England hatte Conn alles verloren und nichts mehr zu gewinnen gehabt. Baldric jedoch hatte ihm eine Welt gezeigt, die größer und freier war. Und war es nicht genau das gewesen, was er Nia versprochen hatte, als sie in seinen Armen starb? Plötzlich wurde Conn bewusst, wie weit das alles hinter ihm lag, und zum dritten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, dass der Atem Gottes ihn zumindest für einen kurzen Augenblick berührte.

Seinem angeschlagenen Zustand zum Trotz kam er wankend auf die Beine und blickte seinem Herrn und Mentor tief in das eine Auge. »Ich gehöre Euch längst, Herr«, sagte er nur.

Baldric lächelte. Dann streckte er die rechte Hand aus und legte sie auf Conns linke Schulter. »Vor dem Allmächtigen und den hier anwesenden Zeugen nehme ich dich, Conwulf, an Sohnes statt an. Mein Blut ist nun auch dein Blut, mein Name auch der deine.«

»Danke, Herr«, flüsterte Conn.

»Dann besiegle ich die Adoption hiermit als Gottes bescheidener Diener und Zeuge«, fügte Berengar hinzu, »in nomine patris et filii et spirituˉs sancti.«

Die Anwesenden bekreuzigten sich, und Baldric nickte Conn in fast väterlichem Stolz zu. Der Gedanke, dass er nun zumindest dem Namen nach zum Normannen geworden war, kam Conn nur ganz am Rande in den Sinn, und er erschrak noch nicht einmal darüber. Während des langen Marsches hatte Conn Ritter aus den Reihen der angeblich so edlen Provenzalen verzweifeln und wie Knaben greinen sehen, dafür aber Normannen, die ihren Leuten auch in höchster Not zur Seite gestanden und ihnen Mut zugesprochen hatten. Nicht die Herkunft, sondern allein die Taten eines Mannes entschieden über seinen Wert. Die alten Vorurteile waren nicht länger von Bestand, und Conn begriff, dass er in dieser Nacht mehr gefunden hatte, als ihm je verloren gegangen war.

Nämlich den Vater, den er nie gehabt hatte.

12.

Ebene von Tarsus

September 1097

Das Land war wild und weit, und im orangeroten Licht des späten Tages schien es zu glühen.

Nach Norden hin wurde die Ebene von steil aufragenden Felsen begrenzt, deren Gestein die Farbe von Blut angenommen hatte. Riesigen steinernen Wächtern gleich schienen sie jene schmale Pforte zu hüten, die das zerklüftete Hochland Kilikiens mit dem Meer verband, das weit im Süden als ferner Dunst zu erahnen war.

Conn atmete innerlich auf.

Nach der schrecklichen Trockenheit und Dürre des Hochlands tat es gut, wieder Büsche und Bäume zu sehen, auch wenn sie karg und anders geformt waren als zu Hause. In der warmen Luft glaubte er einen Hauch von salziger Frische zu spüren, sodass die Müdigkeit ein wenig von ihm abfiel und seine Knochen trotz des langen Ritts nicht mehr ganz so schmerzten.