»Also wirklich«, meinte Bertrand, der neben ihm im Sattel saß und die Strapazen weitaus besser wegsteckte. Sein Helm hing am Kinnriemen am Sattelknauf, sein wirres dunkles Haar flatterte im Abendwind und umrahmte sein breites Grinsen. »Für einen Angelsachsen, der gleichsam über Nacht zum Normannen wurde, sitzt du inzwischen gar nicht schlecht auf dem Gaul.«
»Findest du? Ich komme mir eher vor wie ein Ochse beim Eiertanz.«
»Ein schöner Vergleich«, lachte Bertrand, »zumal ein Ochse von Eiern ebenso wenig Ahnung haben dürfte wie ein Angelsachse vom Reiten.«
»Lass ihn in Ruhe, Bertrand«, mahnte Baldric, der sein schnaubendes Ross an Conns andere Seite lenkte. »Einen Gebirgspass auf dem Rücken eines Pferdes zu bezwingen ist immer eine Herausforderung. Conwulf hat seine Sache mehr als gut gemacht.«
»Danke«, zeigte sich Conn für das Lob erkenntlich – anerkennende Worte kamen seinem einstigen Herrn, der unversehens zu seinem Adoptivvater geworden war, ohnehin nur selten über die Lippen.
»Aber du musst deine Haltung im Sattel verbessern«, fügte Baldric hinzu, wobei sein einzelnes Auge Conn kritisch taxierte. »Sitz aufrecht und nimm die Schultern zurück. Oder soll Bertrand etwa doch noch Recht bekommen?«
Trotz seiner schmerzenden Knochen und des schweren Kettenhemdes, das seine Schultern nach unten zog, straffte sich Conn augenblicklich, was Bertrand einen weiteren Schwall gackernden Gelächters entlockte. Baldric nickte grimmig, gab seinem Pferd die Sporen und schloss wieder zur Spitze des unter seinem Kommando stehenden Spähtrupps auf, zu dessen einundzwanzig Mann auch Conn, Bertrand, Remy und Berengar gehörten.
Conn unterdrückte eine Verwünschung. Den Namen eines normannischen Ritters zu tragen war eine Sache – seine Rüstung zu tragen noch einmal etwas ganz anderes. Bislang hatte er stets zu Fuß gekämpft und folglich nur kurzes, bis zu den Oberschenkeln reichendes Rüstzeug zu tragen gehabt. Wenn Conn auf dem Pferd saß, bestand Baldric jedoch darauf, dass auch er das lange Kettenhemd eines normannischen miles trug, das bis zu den Knien reichte und an Vorder- und Rückseite geschlitzt war, um das Sitzen im Sattel zu erleichtern. Zusammen mit dem gepolsterten Untergewand, das die Franken gambeson nannten, und dem schweren, mit Nasenschutz versehenen Spangenhelm bot diese Rüstung zwar den denkbar besten Schutz gegen feindliche Schwerthiebe und Pfeile, die aus dem Hinterhalt abgeschossen wurden; jedoch zahlte man bei glühender Hitze und anstrengenden Aufstiegen für diese Sicherheit einen hohen Preis.
»Bereust du es schon, der Sohn unseres Herrn Baldric geworden zu sein?«, erkundigte sich Bertrand, der einen leichteren Plattenpanzer byzantinischer Bauart trug. Infolge des entbehrungsreichen Marsches durch Kappadokien und des Scharmützels mit den Türken, in das die Kreuzfahrer bei Herakleia verwickelt worden waren, bestand kein Mangel an Rüstungen und Waffen, die neue Besitzer suchten – ein halbwegs brauchbares Schwert war für fünf oder sechs Silberstücke zu bekommen, ein Schild schon für drei. »Dabei bist du selbst schuld. Hättest du wie unser guter Vater Berengar den weltlichen Dingen entsagt, wäre es dir erlaubt, mit leichterem Gepäck zu reisen.«
»Das ist ein Irrtum, mein Freund«, rief der Mönch, der zusammen mit Remy hinter ihnen ritt und jedes Wort gehört hatte. »Meine Kutte mag weniger wiegen als eine Rüstung, dafür trage ich die Bürde schwerer Verantwortung.«
»Tatsächlich?« Bertrand drehte sich im Sattel um. Seine kleinen Schweinsäuglein blitzen dabei listig. »Und was für eine Verantwortung, lieber Pater, sollte das sein? Meint Ihr etwa Eure Sprachkenntnisse im Kauderwelsch der Muselmanen, derentwegen man Euch diesem Erkundungstrupp zugesellt hat?«
»Mitnichten, Freund«, entgegnete der Mönch mit mildem Lächeln, »gleichwohl ich zugestehe, dass ich die Zungen des Ostens leidlich beherrsche, nicht nur jene der Türken, sondern auch die der Syrer und Juden. Freilich nur als Gottes bescheidener Diener.«
»Freilich«, bestätigte Bertrand feixend.
»Die Verantwortung, von der ich spreche, besteht darin, über verwirrte Seelen zu wachen und sie vor dem Untergang zu bewahren.«
»Wessen Seelen meint Ihr?« Wissbegierig, fast angriffslustig reckte Bertrand das Kinn vor. »Etwa unsere?«
»Nun«, konterte der Benediktiner gelassen, »es wäre nicht das erste Mal, dass Kämpfer, die das Kreuz genommen haben, den Pfad der Tugend verlassen, oder?«
Das, wusste Conn, war nur zu wahr, selbst Bertrand konnte nicht widersprechen. Der lange Marsch und die bestandenen Kämpfe hatten eine hohe Zahl von Opfern gefordert, daran hatten auch die ruhigen Tage von Iconium nichts ändern können. Nicht nur die Zahl der Kreuzfahrer war gemindert worden, sondern auch ihre Moral. Viele, die sich dem Unternehmen in frommer Begeisterung angeschlossen hatten, waren ernüchtert aus ihrem Traum erwacht und hatten feststellen müssen, dass sie nicht nur sich selbst, sondern oft auch ihre Familien, ihre Frauen und Kinder in den sicheren Tod geführt hatten. Manche waren daran verzweifelt und hatten den Verstand verloren, andere waren mehr denn je in religiösem Eifer entbrannt und hatten sich geheimen Bündnissen angeschlossen. Wieder andere schienen alle Ideale in den Weiten der anatolischen Steppe verloren zu haben und nahmen nur noch am Feldzug teil, um sich selbst zu genügen. Plündernd fielen sie über den Feind her und bereicherten sich mit weltlichen Gütern, wenn das Himmelreich ihnen schon verschlossen schien.
Und nicht nur die einfachen Kämpfer und niederen Ritter zweifelten, sondern auch jene, die den Oberbefehl über diese größte aller christlichen Unternehmungen führten.»Schließt nicht vom Teil auf das große Ganze, Pater«, belehrte Bertrand ihn säuerlich. »Ein Fisch beliebt stets zuvorderst am Kopf zu stinken, dann erst am Schwanz.«
»Tankred ist Normanne wie Ihr, oder nicht?«, wandte Berengar ein.
»Das ist wahr – ein Sohn des guten Odo und ein Enkel Robert Guiscards, dessen hitziges Gemüt er geerbt zu haben scheint.«
»Dann teilt Ihr seine Auffassung also nicht? Ihr seid nicht der Ansicht, dass wir den Weg durch die porta cilicia wählen sollten?«
Conn verstand weniger von Politik als seine beiden wackeren Mitstreiter, aber er wusste, dass diese Frage im Mittelpunkt des Zwists stand, der im Fürstenrat entflammt war.
Nachdem man in Iconium Kraft geschöpft hatte, war man gen Osten weitergezogen. Bei Herakleia war es erneut zu einem Zusammentreffen mit dem muselmanischen Feind gekommen, den man nach einem ebenso kurzen wie heftigen Gefecht jedoch wiederum vertrieben hatte, und man war weiter bis Tyana marschiert. Von dort aus jedoch boten sich zwei Möglichkeiten, um vom Hochland hinab nach Syrien vorzustoßen: Zum einen der direkte Weg, der über die Ausläufer des Taurus und durch eine schmale Schlucht führte, die weithin als die »kilikische Pforte« bekannt war, da sie den Zugang nach Kilikien und zur Stadt Tarsus öffnete, die in der Geschichte der Apostel als die Geburtsstätte des Heiligen Paulus genannt wurde; zum anderen bot sich die Marschroute über das weit im Nordosten gelegene Caesarea an, die zwar einen beträchtlichen Umweg bedeutete, die schwer zugänglichen Pässe jedoch mied und durch das überwiegend von Christen bevölkerte armenische Bergland führte, wo man nicht mit Widerstand zu rechnen hatte. Über Marash würde man in das Tal des Orontes gelangen und brauchte dem Fluss dann nur noch zu folgen, um Antiochia zu erreichen, das nächste große Ziel des Feldzugs.
Die Meinung darüber, welche Richtung man einschlagen sollte, war unter den Anführern geteilt. Während die meisten Franken, allen voran Godefroy de Bouillon und Raymond de Toulouse, im Hinblick auf die bereits erlittenen Verluste dem weiteren, aber größere Sicherheit versprechenden Weg den Vorzug gaben, sprachen sich andere, unter ihnen Godefroys Bruder Baldwin de Boulogne und der ehrgeizige Normanne Tankred, vehement dafür aus, den direkten Weg nach Süden zu nehmen, ganz gleich, wie hoch die Verluste auch sein mochten. Zwar war es ein offenes Geheimnis, dass beide weniger den Erfolg der Unternehmung als vielmehr ihren eigenen Vorteil im Blick hatten und die reiche Beute, die die kilikischen Städte versprachen, auf sie einen größeren Reiz ausübte als die Aussicht auf ihr Seelenheil, doch war beider Einfluss und ihr Rückhalt unter ihren Rittern zu bedeutend, als dass sie einfach hätten übergangen werden können. Folglich war man übereingekommen, einen Spähtrupp auszusenden, der die kilikische Pforte erkunden und dem Fürstenrat berichten sollte. Kein anderer als der erfahrene Baldric war ausgewählt worden, diese Reiterschar anzuführen. Was die Späher allerdings vorgefunden hatten, war mehr als ernüchternd gewesen.