»Niemand, der bei Verstand ist, kann die porta cilicia ernsthaft in Erwägung ziehen«, mischte Conn sich in den Wortwechsel der beiden Freunde ein. »Die Schlucht mit dem Hauptheer zu durchqueren würde bedeuten, es völlig zu entblößen. Der Feind bräuchte sich nur in den Bergen zu verstecken und uns zu erwarten.«
»Nanu?«, fragte Bertrand und musterte ihn in gespieltem Erstaunen. »Sollte sich unter diesem Helm und diesem strohfarbenen Haar tatsächlich etwas Verstand verbergen?«
»Denkt Ihr anders darüber, Bertrand?«, wollte Berengar wissen.
»Mitnichten, Pater«, erwiderte der Normanne mit dem alten Grinsen. »Der Weisheit, die aus den Worten unseres angelsächsischen Freundes sprach, habe ich nichts hinzuzufügen. Und ich denke, dass es auch genau das ist, was unser Herr Baldric den Fürsten ber…«
Plötzlich waren von der Spitze des Trupps laute Rufe zu vernehmen. Conn und seine Gefährten tauschten fragende Blicke, dann gaben sie ihren Tieren die Sporen und schlossen zu Baldric auf, vornweg die beiden Normannen, dann Conn und schließlich der Mönch, der ein mageres, aber zähes Maultier ritt.
»Was gibt es?«, wollte Conn wissen, als er sein Tier neben Baldric zügelte. Von dem Hügelkamm aus, auf dem sie Halt gemacht hatten, konnte man das angrenzende Tal überblicken. Es wurde von einem schmalen Fluss durchzogen sowie von einer Straße, die dem Lauf des Wassers folgte. Verstreute Büsche und Bäume säumten die Straße, hohe Zypressen und gedrungene Kiefern, die seltsam geformte Schatten warfen – und in diesen Schatten wälzte sich eine Karawane über das steinerne Band der Straße: Kamele und Esel, die schwer beladen waren, dazu Reiter auf Pferden und Maultieren, die wie ein Schwarm Hornissen um den Zug schwirrten.
Da die meisten der Reiter mit langen, wehenden Mänteln bekleidet waren und Tücher um ihre Köpfe trugen, erkannte Conn nicht sofort, was sich dort unten abspielte. Als der Wind jedoch Schreie herauftrug und man im gleißenden Sonnenlicht Waffen blitzen sah, da wurde es nur zu offensichtlich.
»Das ist ein Überfall!«, rief Conn aus, während er sehen konnte, wie einer der Reiter kopfüber aus dem Sattel stürzte. Seine weiße Robe war rot gefleckt von Blut.
»Gott stehe diesen armen Seelen bei«, murmelte Berengar und bekreuzigte sich.
»Was sollen wir tun?«, fragte Conn aufgeregt und riss sein Schwert heraus. Seine Unruhe übertrug sich auf sein Pferd, das schnaubend hin und her tänzelte. »Ihnen zu Hilfe kommen?«
»Ich weiß nicht.« Bertrand, der dem Treiben ungerührt zuschaute, rieb sich das bärtige Kinn. »Eigentlich ist es eine schöne Abwechslung, den Muselmanen einmal dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig umbringen.«
»Ist das dein Ernst?«, fragte Conn. Soeben fielen einige der Angreifer über eine Schar von Kameltreibern her, die nur mit ihren Stöcken bewaffnet waren und ihnen nichts entgegenzusetzen hatten. Einer nach dem anderen fiel unter den Schwerthieben der Räuber, grässliche Schreie erklangen. »Baldric! Was sollen wir tun?«
Der Anführer des Trupps antwortete nicht. Mit unbewegten Gesichtszügen saß er im Sattel, den Blick starr auf das Massaker gerichtet, das sich vor ihnen abspielte. Aber Conn hatte nicht den Eindruck, dass sein Ziehvater tatsächlich sah, was dort unten vor sich ging. Vielmehr schien das eine Auge Baldrics in eine andere Zeit zu blicken, in ferne Vergangenheit.
»Verzeiht, Herr, wenn ich Eure Gedanken störe«, ließ Berengar sich vernehmen. »Ich will nicht in Abrede stellen, dass wir fremd sind in diesem Land und die Heiden unsere Feinde – doch sollten wir nicht unterscheiden zwischen denen, die Waffen tragen und uns bekämpfen, und denen, die friedfertiger Gesinnung sind? Vergesst nicht, dass Räuber wie diese auch friedliche Christenpilger angegriffen haben.«
Es war, als würde Baldric aus einem Traum erwachen. Er fuhr hoch, der Blick seines Auges kehrte ins Hier und Jetzt zurück. »Ihr habt recht«, sagte er nur – und gab den Befehl zum Angriff.
Ein Ruck durchlief die Reihen der Reiter, dann sprengten sie den Abhang hinab, Baldric voraus, dicht gefolgt von Conn und den anderen. Die Lanzen, an denen das Kreuzbanner flatterte, wurden angelegt, sodass eine Phalanx tödlicher Eisenspitzen auf die Räuber zuflog – und sie schon kurz darauf ereilte.
Einer der Angreifer, ein baumlanger Kerl, der sich in eine dunkle Robe gehüllt und bis zur Unkenntlichkeit vermummt hatte, verfiel in heiseres Gebrüll, als er die Kreuzfahrer heranjagen sah. Dann wurde er von Baldrics Lanze durchbohrt.
Mit der Wucht eines Orkans fuhren die Kämpfer des Spähtrupps in den Pulk der Räuber und trieben ihn auseinander. Hufschlag dröhnte, Pferde wieherten, Lanzen splitterten und gellende Schreie erklangen, als Kreuzfahrer und Räuber aufeinandertrafen. Einige der Vermummten ergriffen sofort die Flucht. Andere setzten ihr Mordhandwerk fort, noch immer darauf aus, rasche Beute zu machen. Wieder andere stellten sich zum Kampf. Staub stieg auf, und ein wildes Handgemenge entbrannte, in dem Conn Mühe hatte, sich zurechtzufinden.
Den Schild am Arm und das Schwert in der Hand, dirigierte er sein Pferd mit den Schenkeln, was ihm mehr schlecht als recht gelang – und sah sich unvermittelt einem Feind gegenüber. Der Mann war vermummt wie die anderen, nur seine Augen waren zu sehen, aus denen kalte Mordlust blitzte. »Grünschnabel«, brüllte er Conn entgegen, »hast du es so eilig mit dem Sterben?«
Conn kam nicht dazu, sich darüber zu wundern, dass der andere Französisch sprach, denn schon hieb der Vermummte auf ihn ein. Conn riss den linken Arm mit dem Schild nach oben und spürte die Erschütterung, als die Klinge des Angreifers darauf traf. Er führte sein Schwert in einem engen Bogen und wollte zum Gegenangriff übergehen, aber sein Gegner war im Sattel weit geschickter und hatte sich bereits außer Reichweite gebracht. Schnaubend drehte sich sein Pferd auf der Hinterhand herum, und Conn sah sich auf der anderen, ungeschützten Seite einer wilden Attacke ausgesetzt.
Er parierte den Schwertstreich mit der eigenen Klinge, versuchte den Gegner zurückzudrängen, der sein Tier eng an das seine herangebracht hatte. Ein wilder Schlagabtausch entbrannte, bei dem jeder dem anderen einen Vorteil abzuringen suchte. Die Klingen trafen dabei nur selten aufeinander, es war ein wüstes Hauen und Stoßen, das jener Eleganz, die Conn bei den seldschukischen Kriegern vor Dorylaeum ausgemacht hatte, völlig entbehrte. Wieder flog der Stahl seines Gegners heran, und Conn duckte sich im Sattel, um dem Hieb zu entgehen, jedoch etwas zu spät. Die Klinge traf seinen Helm und fegte ihn vom Kopf, sodass dieser nun ungeschützt war. Der Vermummte ließ höhnisches Gelächter vernehmen und wollte ein zweites Mal zuschlagen, doch Conn reagierte, indem er mit der Schildhand nach dem Zügel griff und sein Pferd dazu brachte, sich aufzubäumen.
Wiehernd stieg der Hengst in die Höhe und schlug mit den Vorderhufen, woraufhin der Angreifer ausweichen musste. Verschreckt trieb er sein eigenes Tier zurück, um den Hufen zu entgehen, aber das Pferd kam ins Straucheln und ging nieder.
Mit einer Verwünschung kippte der Vermummte aus dem Sattel und fand sich auf dem Boden wieder. Das weite Gewand, das er trug, hinderte ihn daran, sogleich wieder aufzuspringen und sich zu verteidigen. Conn nutzte die Chance. Als der Räuber wieder auf die Beine kam, stand Conn bereits vor ihm, die Klinge zum Stoß erhoben. Der Vermummte versuchte noch, seinen Schild zu heben, aber zu spät – Conns Klinge fuhr in seine Eingeweide. Der Mann verharrte wie versteinert, der Blick seiner Augen trübte sich. Dann kippte er rücklings zu Boden, wo er seinen letzten Atemzug tat.