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Conn stand über ihm, schwer atmend und am ganzen Leib bebend. Ihm war klar, wie knapp und wie wenig glanzvoll sein Sieg gewesen war. Aber wenn er eines auf diesem Feldzug gelernt hatte, dann dass am Ende nur das Überleben zählte.

Der Kampf war entschieden.

Die Vermummten hatten entweder die Flucht ergriffen oder lagen erschlagen in ihrem Blut. Auch unter den Treibern und den Wachleuten der Karawane hatte es Opfer gegeben, die Kaufleute selbst hingegen schienen weitgehend unverletzt zu sein. Von den Kreuzfahrern hatte nur ein einziger das Gefecht mit dem Leben bezahlt, die übrigen waren mit mehr oder minder leichten Blessuren davongekommen, so wie Baldric, an dessen Schläfe ein dünner Blutfaden herabrann.

»Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich vom Rücken seines Pferdes aus, das er vor Conn zügelte. Auch Bertrand und Berengar, der sich während des Kampfes im Hintergrund gehalten hatte, kamen herbei.

Conn blickte auf die blutige Klinge in seiner Hand und auf den leblos vor ihm liegenden Gegner. »Ich denke ja«, antwortete er, dann trat er auf den Gefallenen zu und löste das Tuch um seinen Kopf.

Was darunter zum Vorschein kam, entsetzte ihn – denn wider Erwarten waren es nicht die fremdländisch anmutenden Züge eines Türken oder Arabers.

»Es … es ist einer von uns!«, rief Conn fassungslos aus, als er in die totenbleiche Miene blickte.

»Ich habe es auf den ersten Blick gesehen«, erwiderte Baldric bitter. »Ihre Art, im Sattel zu sitzen und das Schwert zu führen, hat sie verraten. Aber das ist noch längst nicht alles. Sieh dir seine Rüstung an.«

Conn zerrte den Umhang des Toten herab. Kettengeflecht und ein Abzeichen kamen darunter zum Vorschein, das stilisiert war, aber deutlich zu erkennen.

»Er trägt das Kreuz«, entfuhr es Berengar in ehrlichem Entsetzen. »Er ist ein christlicher Ritter!«

»Genau wie alle anderen, die die Karawane angegriffen haben«, bestätigte Baldric. »Sie sind Kreuzfahrer, genau wie wir.«

»Also ist es wahr«, folgerte Bertrand wütend. »Tankred hat bereits Männer durch die Pforte geschickt, ohne die Entscheidung des Fürstenrates abzuwarten. Deshalb treiben sie diesen absonderlichen Mummenschanz und verhüllen ihre Gesichter.«

»Das wissen wir nicht«, gab Baldric zu bedenken. »Es könnten auch andere gewesen sein. Ich habe von einer Gruppe von Rittern gehört, die sich ›Tafur‹ nennen. Nur wenig ist über sie bekannt, aber wie es heißt, sind sie auf Blut und Beute aus.«

»Wie so viele andere«, fügte Berengar hinzu. »Furcht und Verzweiflung sind es, die solche Gesinnung hervorzubringen pflegen.«

»Der Fürstenrat muss davon erfahren«, war Conn überzeugt.

»Das wird er«, stimmte Baldric zu, »aber ich denke nicht, dass sich dadurch etwas ändern wird. Tankred und Balwin sind nicht …«

Ein schriller Schrei war plötzlich zu vernehmen, der den Normannen verstummen ließ. Conn fuhr herum und sah, dass er sich geirrt hatte. Der Angriff der Verräter hatte doch nicht nur unter den Kameltreibern und den Wachsoldaten Opfer gefordert. Einer der Kaufleute lag ebenfalls im Sand, der sich rings um ihn dunkel färbte – und entsetzt stellte Conn fest, dass er den Mann kannte.

Mit einem Aufschrei des Entsetzens fiel Chaya neben ihrem Vater nieder, der in gekrümmter Haltung auf dem Boden lag, die Hände auf die klaffende Wunde pressend, die quer über seine schmale Brust verlief. Blut tränkte seine Robe, sein Antlitz war aschfahl geworden, die Augen tief darin versunken.

»Vater! Vater!«

Das Maultier, auf dem der alte Isaac gesessen hatte, war durchgegangen, als die Räuber angriffen, und so hatten sie einander aus den Augen verloren. Verzweifelt hatte Chaya sich selbst in Sicherheit zu bringen und dabei gleichzeitig nach ihrem Vater Ausschau zu halten versucht, ihn inmitten von Staub und Getümmel jedoch nicht ausmachen können. Erst jetzt fand sie ihn.

Zu spät.

»Vater«, schluchzte Chaya abermals, während sie verzweifelt überlegte, wie sie die Blutung stillen konnte. Aber das wenige, was ihre Mutter ihr über die Heilkunst beigebracht hatte, würde nicht ausreichen, um die Wunde zu verschließen, die die Klinge des Mordbrenners geschlagen hatte. Der alte Isaac war dem Tod geweiht, der schon jetzt mit klammer Hand nach ihm griff.

»Chaya«, murmelte der Kaufmann, wobei seine blutigen Hände nach den ihren tasteten. Seine Augen waren leer, und sie wusste nicht, ob er sie überhaupt noch sehen konnte.

»Ich bin hier, Vater«, flüsterte sie deshalb und ergriff seine Hände – und erschrak insgeheim darüber, wie kalt sie bereits waren. Dennoch schien ihn die Berührung zu beruhigen. Sein Atem, eben noch keuchend und stoßweise, wurde gleichmäßiger.

»Sei … sei nicht traurig, mein Kind«, presste er mühsam hervor. »Ich werde deine Mutter wiedersehen … werden wieder vereint sein vor Gottes Angesicht.«

»I-ich weiß, Vater«, hauchte sie. Tränen quollen aus ihren Augen.

»Bedaure nur, dass Mission nicht zu Ende … nun an dir, Aufgabe zu erfüllen …« Er ließ sie los und wühlte sich mit bebenden Händen unter seine zerschlissene Robe. Als sie wieder zum Vorschein kamen, umklammerten sie den Köcher mit dem Buch von Ascalon. Das Leder war blutbesudelt. »Nimm es an dich, Tochter. Nun ist es an dir … zu Ende zu bringen, was vor langer Zeit begonnen …«

»Aber ich bin kein Träger wie du, Vater«, wandte Chaya entsetzt ein. Der Gedanke, mit dieser Aufgabe allein und auf sich gestellt zu sein, ängstigte sie zu Tode.

»Doch, das bist du«, widersprach der alte Isaac. Obwohl das Leben mit jedem Augenblick mehr aus ihm wich, brachte er ein mattes Lächeln zustande. »Kennst das Geheimnis … ebenso gut wie ich.«

In ihrer Verzweiflung brauchte sie einen Moment, um zu begreifen. »Du … du weißt es?«, fragte sie fassungslos. »Du weißt, dass ich das Buch gelesen habe?«

»Schon lange. Anfangs darüber gegrämt … aber nun weiß ich, nur deiner Bestimmung gefolgt … Nimm das Buch, Chaya. Nimm es an dich und bringe zu Ende, was mir nicht …« Er verstummte, als eine Woge von Schmerz durch seinen gepeinigten Körper fuhr. Seine Gesichtszüge verzerrten sich. Dennoch behielt er den Köcher fest in den Händen. Als sich seine Glieder wieder entkrampften, reichte er ihn Chaya.

Zögernd nahm sie das Behältnis entgegen – um unverhoffte Zuversicht zu fühlen, als sie das alte Leder berührte, so als ob eine unsichtbare Kraft von dem alten Gegenstand ausging, die sie erst in dem Augenblick spürte, als sie ihn zum ersten Mal rechtens in ihren Händen hielt, als seine neue Trägerin.

»Sei unbesorgt, Vater«, versicherte Chaya mit einer Ruhe, deren Ursprung sie selbst nicht zu ergründen vermochte. »Ich werde die Schrift mit meinem Leben beschützen. Und ich werde nicht zulassen, dass Ar…«

»Sprich den Namen nicht aus«, beschwor ihr Vater sie in einem letzten Aufbäumen verbliebener Lebenskraft. Seine Augen weiteten sich dabei, und er starrte sie eindringlich an. »Vertraue niemandem und offenbare das Geheimnis keinem Unwissenden, sei er nun jüdischen oder anderen Glaubens, hörst du?«

»Ich verspreche es«, erwiderte sie, nun wieder mit den Tränen ringend. Dabei schob sie den Behälter unter ihr eigenes Gewand, wo sie ihn von nun an tragen würde.

»Du musst dafür sorgen, dass das Buch … Antiochia erreicht«, fuhr ihr Vater stockend fort. »Ezra wird wissen … was damit zu geschehen …«

Seine Worte gingen in ein langgezogenes Stöhnen über. Erneut verzerrten sich seine Züge vor Schmerz. Als er die Augen wieder öffnete, war sein Blick fliehend und gehetzt, so als ob ihm klar wäre, dass ihm nur noch wenige Herzschläge blieben.