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In Wirklichkeit war es keine Frage, sondern eine Aufforderung. Guillaume hatte sich Eustace zugewandt und streckte ihm die Rechte entgegen, um ihm wieder auf die Beine zu helfen.

Die dunklen Augen des Provenzalen musterten ihn prüfend. Es war nicht zu erkennen, ob Eustace de Privas begriff, dass jener junge normannische Edelmann, den er aus reiner Gefälligkeit in seine Reihen aufgenommen hatte, in diesem Augenblick versuchte, ihn an Macht und Geltung zu überflügeln. Dennoch kam er zu einem raschen Entschluss. »Ich bin bereit, Bruder«, versicherte er, während er sich aus eigener Kraft auf die Beine raffte. »Bereit, gemäß dem Schwur zu handeln, den ich gegeben habe, und nötigenfalls auch mein Leben dafür einzusetzen. Aber ich bin nicht bereit, unsere Mitbrüder und alle anderen, die sich der Teilnahme an diesem Feldzug verschrieben haben, dreist zu belügen – und wenn dir deine Ehre etwas wert ist, solltest du es auch nicht sein.«

»Hier geht es nicht um Ehre, Eustace. Es geht darum, den Sieg und die Macht in den Händen zu halten! Begreifst du das nicht?«

»Ich begreife nur, dass du mich in Versuchung führen willst, gerade so, wie der Teufel unseren Herrn Jesus einst in Versuchung zu führen suchte. Aber es wird dir nicht gelingen.«

»Du wirst deine Meinung ändern, glaub mir. Schon sehr bald.«

17.

Küste nördlich von St. Symeon

Zur selben Zeit

»Chaya?«

Conn hatte sich vorsichtig genähert. Nachdem sie den ganzen Tag über geritten waren und die vorletzte Etappe bewältigt hatten, lagerten sie unweit der Hafenstadt St. Symeon. Von hier aus waren es nur noch wenige Stunden bis Antiochia. Ihre gemeinsame Reise würde am folgenden Tag enden, doch Conn wollte Chaya nicht verlassen, ohne sich mit ihr ausgesprochen zu haben.

»Darf ich mich zu Euch setzen?«

Sie hatten ihr Lager in einem Pinienwald aufgeschlagen, der sowohl hinreichend Schutz als auch Feuerholz für die Nacht bot. Im Westen grenzte er an einen Strand, der zum Meer hin sanft abfiel. Hierher hatte sich Chaya zurückgezogen. Den Stoff ihres Mantels um die Schultern gehüllt, saß sie auf einem Felsen und blickte in die untergehende Sonne, von der nur noch ein letzter schmaler Rest am Horizont zu sehen war.

Einen Augenblick hatte es den Anschein, als hätte sie Conn nicht gehört. Dann jedoch wandte sie sich zu ihm um. »Setzt Euch«, forderte sie ihn auf und rückte ein wenig zur Seite.

Conn nickte dankbar und nahm ebenfalls auf dem Felsen Platz. Eine Weile lang blickten sie auf die glitzernde See, deren Widerschein Chayas Gesicht in goldfarbenes Licht tauchte und es geradezu überirdisch schön erscheinen ließ.

»Berengar bewacht das Lager«, sagte Conn schließlich, um das Schweigen zu brechen. »Und Bertrand ist losgezogen, um die Lage auszukundschaften. Der Schafhirte, dem wir heute Nachmittag begegneten, sagte, dass bereits Kreuzfahrer vor Antiochia eingetroffen seien. Wenn es so ist, müsst Ihr Euch beeilen.«

Sie nickte, und zu seiner Überraschung glitt ein Lächeln über ihre anmutigen Züge. »Habt Dank, Conwulf«, sagte sie. In diesem Moment versank auch der äußerste Rand der glühenden Sonnenscheibe hinter dem Horizont, und es wurde schlagartig kühler.

»Wir haben kaum gesprochen in den letzten Tagen.«

»Nein«, stimmte sie zu. »Das haben wir nicht.«

»Ich möchte mich entschuldigen«, sagte Conn leise. »Was ich getan habe, war plump und ungehörig. Ich bin ein Narr gewesen und möchte, dass …«

Ihr Blick ließ ihn verstummen. Zu seiner Überraschung las er keinen Zorn darin, sondern nur Bedauern. »Nein«, widersprach sie. »Das wart Ihr nicht.«

»Aber …«

»Ich habe nicht Euretwegen mit Zurückweisung reagiert«, erklärte Chaya sanft, »sondern meinetwegen, Conn. Um meines Vaters willen. Es gibt etwas, das ich tun muss, eine Aufgabe, die ich zu erfüllen habe, und ich darf mich durch nichts von meinem Weg abbringen lassen. So habe ich es meinem Vater versprochen.«

»Was ist das für eine Aufgabe?«

»Das kann ich Euch leider nicht sagen.«

»Ihr könnt es mir nicht sagen? Obschon ich Euch das Leben gerettet und Euch sicher durch das Feindesland geleitet habe?«

»Wofür ich Euch von Herzen dankbar bin«, versicherte sie. »Ich erwarte auch keineswegs, dass Ihr versteht, was mich bewegt, aber ich kann es Euch auch nicht erklären.«

»Weshalb nicht? Weil ich Christ bin und Ihr eine Jüdin?«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist keine Frage des Glaubens, Conwulf. Nicht in diesem Fall.«

»Was dann?«, bohrte Conn weiter. »Worum geht es bei dieser geheimnisvollen Mission, die Ihr zu erfüllen habt? Denkt Ihr nicht, dass ich ein Recht habe, es zu erfahren?«

»Ich sagte es Euch schon, Conwulf.« Äußerlich blieb Chaya gelassen, ihre Stimme jedoch begann zu beben. »Es ist das Vermächtnis meines Vaters.«

»Das sagtet Ihr. Aber worum genau handelt es sich dabei?«

»Das kann ich Euch nicht sagen, und ich bitte Euch inständig, mich nicht weiter danach zu fragen.« Die wachsende Verzweiflung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Chayas Augen glänzten feucht, und einmal mehr verwünschte Conn sich für seine Narrheit.

Verdammter Berengar!

Die Reden des Mönchs hatten ihm den Verstand verwirrt und ihn misstrauisch gemacht. Warum nur konnte der Benediktiner seinen Argwohn nicht einfach für sich behalten?

»Verzeiht«, erwiderte Conn und blickte betreten zu Boden, wo er mit der Stiefelspitze im Sand stocherte. »Ich wollte Euch nicht bedrängen, Chaya. Es ist nur …« Er brach ab und suchte nach passenden Worten. »Ich würde Euch gerne helfen, aber das kann ich nicht, wenn Ihr Euch mir nicht anvertraut.«

Sie benutzte einen Zipfel ihres Kopftuchs dazu, sich die Augen zu wischen. Dabei kehrte ein zaghaftes Lächeln auf Ihre Züge zurück. »Das ist sehr fürsorglich von Euch.«

»Aber Euer Vertrauen zu mir geht nicht weit genug, als dass Ihr mir Euer Geheimnis offenbaren würdet«, fügte er ohne Bitterkeit hinzu. »Das verstehe ich.«

»Nein. Mein Vertrauen zu Euch hat nichts damit zu tun, Conwulf, das müsst Ihr mir glauben.«

»Ich kann es Euch nicht verdenken, Chaya – denn auch ich habe Euch nicht alles anvertraut«, gestand Conn. Fast flüsternd fügte er hinzu: »Andernfalls hätte ich Euch erzählt, was damals in London wirklich geschehen ist.«

»Das müsst Ihr nicht«, wandte sie ein.

»Ich habe Euch von Nia berichtet«, sagte er rasch, ehe er es sich anders überlegen konnte, »aber ich habe Euch nicht erzählt, wie sie gestorben ist. Sie wurde ermordet. Brutal vergewaltigt von einem Ritter, der ebenfalls unter dem Banner des Kreuzes reitet.«

»Conwulf!« Chayas Entsetzen war spürbar. »Ist das wahr?«

Er nickte, brachte es jedoch nicht fertig, ihr in die schreckgeweiteten Augen zu sehen. »Als ich sie fand, war sie nur noch ein blutiges Bündel, und das Leben war dabei, aus ihr zu entweichen wie Wasser aus einem löchrigen Gefäß.«

»Wie entsetzlich! Und der diese grässliche Untat verübt hat …«

»… ist ein Ritter des Kreuzes mit Namen Guillaume de Rein«, vervollständigte Conn grimmig. Es kostete ihn Überwindung, den Namen des Mörders auszusprechen. Aber es lag auch etwas Befreiendes darin.

»Aber warum habt Ihr …?«

»Ihr wollt wissen, warum ich mich dem Feldzug dennoch angeschlossen habe?«, erriet Conn ihre Gedanken.