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Der Mönch hatte alle Möglichkeiten durchgespielt, die sich ihm boten, hatte Szenarien ent- und wieder verworfen, aber ihm war klar gewesen, dass etwas geschehen musste, ehe sie die Stadt am Orontes erreichten. Die Schwärmerei des jungen Angelsachsen für das jüdische Mädchen hatte schließlich die ersehnte Lösung gebracht, wenn auch anders als zunächst vorgesehen. Berengars Plan war es gewesen, Conwulf gegen das Mädchen aufzubringen und ihn auf diese Weise dazu zu bewegen, ihr das Geheimnis zu entlocken. Dass das genaue Gegenteil geschehen war, hatte der Mönch zwar nicht voraussehen können – was verstand er schon von derlei Dingen? –, aber es diente seinen Zwecken nicht weniger trefflich.

Die Gelegenheit, auf die er seit Wochen gewartet hatte, kam, als die beiden Liebenden ihren Platz am Felsen verließen und in jugendlicher Tollheit zum Wasser eilten, um ihr sündhaftes Treiben dort fortzusetzen. Ihre Kleider jedoch blieben zurück – und Berengar handelte.

Rasch setzte der Mönch aus dem Strauchwerk, das den Strand säumte, und eilte zu dem Felsen. Ein Blick zu den beiden, die sich in wollüstiger Umarmung am Ufer wälzten, zeigte ihm, dass sie mit anderen Dingen beschäftigt waren. Dennoch beeilte er sich.

Atemlos durchwühlte er ihre herrenlos im Sand liegenden Kleider. Im Schatten, den der Felsen gegen das Mondlicht warf, konnte er kaum etwas erkennen, aber dann fassten seine Hände einen festen, länglichen Gegenstand und zogen ihn hervor.

Es war ein etwa ellenlanger Köcher aus gegerbtem Leder. Im fahlen Licht des Mondes konnte Berengar erkennen, dass sein flüchtiger Eindruck ihn nicht getäuscht und er es an jenem Tag tatsächlich für einen kurzen Augenblick gesehen hatte.

Signum Salomonis.

Das Siegel Salomons.

18.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als Chaya das Lager verließ, noch halb trunken von der Wärme der zurückliegenden Nacht, halb ernüchtert von der Kälte des Morgens.

In aller Eile packte sie ihre Sachen und schlich aus ihrem Zelt, nicht ohne Conn, der an der noch schwelenden Glut des Feuers schlief, einen letzten, liebevollen Blick zuzuwerfen. Dann wandte sie sich ab und huschte zu den Tieren.

Sie besänftigte ihren Maulesel, indem sie ihm eine Rübe zu fressen gab. Während das Tier kaute, sattelte sie es und führte es so leise wie möglich vom Lager weg. Noch ein letzter Blick über die Schulter, und sie wähnte sich frei – ein Irrtum, wie sich schon wenige Schritte später herausstellte.

»Wohin des Wegs?«

Chaya erschrak, als plötzlich eine dunkle Gestalt zwischen den Bäumen hervortrat und ihr den Weg versperrte. Beinahe hätte sie laut geschrien, aber dann erkannte sie, dass es kein anderer als Berengar war.

»Ihr seid es«, seufzte sie erleichtert.

»Ich bin es«, bestätigte der Mönch. Im Zwielicht der Dämmerung waren seine Züge kaum zu sehen, aber Chaya glaubte zu erkennen, dass sie ungewohnt harsch und grimmig waren. »Ist es erlaubt zu fragen, was Ihr hier tut?«

»Ich verlasse das Lager«, erwiderte Chaya leise.

»Ohne Abschied zu nehmen? Ohne Euren Dank zu bekunden für die Hilfe, die man Euch zuteil werden ließ?«

Chaya nickte. »Ich weiß, wie undankbar Euch das erscheinen muss. Aber ich musste in letzter Zeit so häufig Abschied nehmen, dass ich es nicht noch einmal ertragen würde. Versteht Ihr das?«

»Vielleicht«, gestand der Mönch zu, dessen Züge sich daraufhin ein wenig entspannten. »Aber ich bezweifle, dass Conwulf es verstehen wird. Ich bin ein einfacher Ordensmann und verstehe nicht viel von derlei Dingen, Chaya. Aber selbst ich kann sehen, dass der Junge Euch gern hat. Ihr ihn nicht auch?«

Chaya blickte zu Boden, eine Antwort blieb sie schuldig. Dafür konnte sie spüren, wie sich ihr schlechtes Gewissen regte.

»Warum bleibt Ihr nicht einfach?«, fragte der Mönch.

Chaya schaute auf. »Pater Berengar, in den vergangenen Wochen habe ich Euch als ebenso klugen wie weitsichtigen Menschen kennengelernt, und als solcher wisst Ihr, weshalb ich nicht bleiben kann. Conwulf und ich gehören unterschiedlichen Welten an. Daran wird sich nichts ändern, nicht heute und nicht morgen.«

»Vielleicht habt Ihr recht. Die Zeiten – und speziell diese unheilvollen Tage – sind nicht reif für einen Christen und eine Jüdin. Geht also in Frieden und blickt nicht zurück, so ist es am besten für beide.«

Chaya nickte. »Habt Dank«, sagte sie und neigte das Haupt. Berengar trat zur Seite, um ihr den Weg frei zu machen. Nach wenigen Schritten jedoch blieb sie noch einmal stehen und wandte sich um. »Pater?«

»Ja, mein Kind?«

»Bitte bestellt Conn meine Grüße. Sagt ihm, das ich ihm von Herzen zugetan bin und mir nichts sehnlicher wünschte, als mit ihm zusammen zu sein, aber …« Sie verstummte. Tränen traten ihr in die Augen, und eben jener Abschiedsschmerz, den sie hatte vermeiden wollen, schnürte ihr die Kehle zu.

»Ich weiß, mein Kind.«

»Werdet Ihr es ihm ausrichten?«

»Das werde ich«, versicherte der Mönch.

»Danke«, sagte Chaya. »Friede mit Euch.«

»Und mit Euch, mein Kind.«

Chaya wandte sich endgültig ab. Den Maulesel am Zügel hinter sich herziehend, durchquerte sie den Wald, bis sie auf die schmale Straße stieß, die von Alexandretta kommend zum Wadi al-Qifaysiya führte. Dort stieg sie in den Sattel und folgte dem Pfad nach Südosten, nicht ohne vorher ihr Haar und einen guten Teil ihres Gesichts unter den Windungen ihres Turbans zu verbergen.

Im Osten ging die Sonne auf und tauchte die Hügelkuppen in bernsteinfarbenes Licht – die Düsternis in Chayas Herz jedoch vermochte sie nicht zu vertreiben.

Unentwegt sah sie Conns Gesicht vor sich, seine freundlichen Züge, das dunkelblonde Haar, die milde blickenden blauen Augen. In seiner Nähe hatte sie zum ersten Mal nach dem Tod ihres Vaters wieder frei geatmet, hatte sie sich sicher und geborgen gefühlt, ohne deshalb ihres Willens und ihrer Selbstbestimmung beraubt zu sein. Niemals in ihrem Leben hätte sie vermutet, dass genau das geschehen könnte, wovor ihr Vater sie immer gewarnt und was er mit einer arrangierten Heirat geglaubt hatte verhindern zu können: Sie hatte sich in jemanden verliebt, der nicht jüdischen Glaubens war.

Es sich einzugestehen, schmerzte. Scham erfüllte sie, das Wissen, etwas Verbotenes getan und ihren Glauben verraten zu haben, und sie war in gewisser Weise dankbar dafür, dass der alte Isaac die Welt verlassen hatte, ohne je davon zu erfahren. Aber da war ebenfalls Zuneigung, das wärmende Gefühl einer neuen Liebe – auch wenn sie zum Scheitern verurteilt und die bittersüße Erinnerung an jene gemeinsame Nacht alles war, was blieb.

Entsprechend widersprüchlich waren Chayas Empfindungen, als sie die Ausläufer des Wadi al-Qifaysiya erreichte, jener fruchtbaren Senke, die sich bis nach Antiochia hinein erstreckte. Einerseits war Chaya erleichtert darüber, dass ihre Reise nun bald zu Ende sein würde, andererseits erfüllte sie tiefe Wehmut. Mit aller Macht versuchte sie, ihre Gedanken an Conn zu verdrängen und sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Ihr Ziel war das Haus Ezra Ben Salomons, dem sie das Buch von Ascalon übergeben und damit das Vermächtnis ihres Vaters erfüllen würde. Weiter versuchte sie nicht zu denken.

Die trutzigen Mauern Antiochias tauchten jenseits der grünenden Olivenhaine auf, und Chaya überquerte die Brücke, die sich über den Orontes spannte und zum westlichen Stadttor führte, inmitten eines Stromes von Flüchtlingen.

Aus allen Himmelsrichtungen kamen sie zusammen und drängten in die Stadt: Bauern aus der Umgebung, aber auch Tagelöhner, fahrende Handwerker und Kaufleute, die sich davor fürchteten, den Barbaren aus dem Norden in die Hände zu fallen. Wie es hieß, hatten die ersten Kreuzfahrer den Orontes bereits erreicht. Nicht mehr lange und sie würden vor den Toren stehen und Einlass begehren. Da nicht zu erwarten war, dass die seldschukischen Machthaber ihnen freiwillig öffneten, würde ein erbitterter Kampf die Folge sein, der auch das Umland in Mitleidenschaft ziehen würde.